Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1916 Nr. 1

Spalte:

9-10

Autor/Hrsg.:

Hildebrandt, Edmund

Titel/Untertitel:

Michelangelo. Eine Einführung in das Verständnis seiner Werke 1916

Rezensent:

Stuhlfauth, Georg

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

9

Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 1.

IO

zu ,hypothetifchen Ausblicken', gelangt. Er fteht auf
den Schultern von K. Müller und W. Götz und gibt eine
fcharffinnige und gewiffenhafte Arbeit, wenn ich auch im
einzelnen noch viele Fragezeichen fetzen würde, wo der
Verfaffer getroft Behauptungen aufftellt.

Ich möchte mich hier auf zwei Bemerkungen be-
fchränken. K. glaubt S. uff., die erfte Regel habe nur
aus dem Eingang und K. 1 der Regel v. 1221 beftanden.
Ich halte das an und für fich für unwahrfcheinlich, denn
ich glaube, daß Innocenz III einer fo inhaltslofen Regel
nicht einmal die mündliche Zuftimmung erteilt hätte.

Aber unmöglich wird die Vermutung K.s m. E. durch 1 Gel. 32,
wo ausdrücklich getagt ift: Pauca tarnen alia inseruit, quae omninc- ad
conversationis sanctae usum necessario imminebant. Das kann fich nicht,
wie K. S. 12 meint, auf fpätere Eiufchaltungen zur Regel von 1210 beziehen
, denn Cel. fahrt fort: venit proiude Romam cum omnibus dictis
fratribüs desideraus niinium sibi a domino Papa Innocentio tertio quae
scripserat coufirmari. Alfo diefe Beifügungen zu den Schriftftellen ftanden
fchon in der urfprünglichen Regel. Wenn deshalb Jordan c. Ii z. B.
Faflengebote als Bettandteile der erften Regel anfuhrt, fo hat man kein
Recht zu behaupten, daß er dabei ,ganz ficher an die erweiterte Form
der Regel v. 1210' dachte, wie K. S. 15 fagt. Auch kann man das
Zeugnis von Spec. perf. c. 26, wonach der Name fratres minores fchon
in der erften Regel Hand, nicht kurzerhand bei Seite fchieben, wie K.
S. 28 Anrn. I tut, muß vielmehr m. E. I Gel. 38 darnach auslegen:
Ordinem fratrum minorum primitus ipse plantavit et ea scilicet occa-
sione hoc ei nomen imposuit. K. legt S. 27 diefe Stelle falfch aus.
Alfo die Vermutung K.s über den Inhalt und Wortlaut der erften Regel
fcheint mir unhaltbar.

Das andere, was ich beanftanden muß, ift das allzu-
ftchere Hantieren mit Jahreszahlen. Immer wieder, wenn
mit getrofter Sicherheit, befonders in I c. 3 (S. 26—42),
Jahreszahlen für Kapitel angefetzt find, frage ich mich:
woher will er denn diefe Zahlen ableiten? Der Schrift-
fteller, von dem man am eheften fichere Jahreszahlen
gewinnen kann, Jordan, verfagte bisher gerade am wich-
tigften Punkt, bei dem Kapitel, von dem die erfte Aus-
fendung der Miffionare nach Deutfchland ausging. Nachdem
nun aber, wie mir fcheint, diefe Frage durch die
Bafler Ordenschronik entfchieden und zwar gegen K.
entfchieden ift, ift eine ganze Menge von Zahlenangaben
K.s über den Haufen geworfen. Man kann da gar nicht
vorfichtig genug fein. An diefen Zahlen hängt aber vielfach
auch die Sache. In weitem Maß kann ich mich
einverftanden erklären mit der Behandlungsweife und den
Refultaten im zweiten und dritten Teil der Arbeit, wo die
Entftehung und Bedeutung der Regel von 1223 dargelegt
wird, doch kommt K. da nur feiten zu neuen und anderen
Ergebniffen, als fie bisher fchon von verfchiedener Seite
herausgeftellt worden waren. Aber es ift intereffant, wenn
auch nicht immer ganz überzeugend, wie die verfchiedenen
Phafen der Entwicklung neben einander geftellt und aufgehellt
werden. Doch glaube ich, daß man hinftchtlich
der Stellung des Ordens zur Wiffenfchaft und zum Befttz
noch mehr hätte aus den Regeln und anderen Quellen
finden könnten.

Die deutfche Überfetzung der urfprünglich böhmifch
gefchriebenen Abhandlung ift durchaus flüffig und gut.

Stuttgart. Lempp.

Hildebrandt, Edmund: Michelangelo. Eine Einführung in
das Verftändnis feiner Werke. (Aus Natur und Geiftes-
welt, 392.) (VII, 108 S. m. 43 Abbildgn. u. Titelbild.)
Leipzig, B. G. Teubner 1913. M. 1—; geb. M. 1.25

Aus den Vorträgen des Verfaffers im Rahmen der
volkstümlichen Kurfe Berliner Hochfchullehrer ift ein ganz
vortreffliches Büchlein geworden. Voller Begeifterung
und tief erfaßt von dem großen Gegenftand, doch ohne
Phrafe, voll felbftändigen reifen Urteils, das fich der
Kritik nicht vertagt, dabei mit hohem, pädagogifchem
Takt der Aufgabe angepaßt, ift es vorzüglich geeignet
zur Einführung in das Verftändnis der Werke und — dürfen
wir über den Wortlaut des Titels hinaus beifügen — der
Perfönlichkeit des größten Genius der Kunft, der als
Bildhauer und Architekt die Berten feiner Zunftgenoffen

noch um Haupteslänge überragt, als Maler nur in Rem-
brandt einen gleichgroßen Riefen neben fich hat und aus
feiner überreichen Seele auch als Dichter Hervorragendes
geftaltet hat. Der Frage nach den Mitteln zu tieferem
Eindringen in die Geifteswelt Michelangelos dienen die
literarifchen Fingerzeige am Schluffe des reichen und doch
nicht überladenen Bändchens; ihnen gehen als Anhang
acht auserlefene Gedichte des Meifters voran. Einzelnes,
wie die Auffaffung des Mofes u. a., Icheint mir eine wirkliche
Förderung der Wiffenfchaft zu fein. Wäre nicht
Krieg, Hildebrandts Michelangelo müßte längft feine zweite
Auflage haben. Wir wünfchen fie ihm bald trotz des
Krieges.

Berlin. Georg Stuhlfauth.

Haentjes, Dr. A. H.: Remonstrantsche en Calvinistische Dog-
matiek in verband met elkaar en met de ontwikkeling
van het dogma. (XII, 203 S.) gr. 8°. Leiden, A. H.
Adriani 1913. fl. 2.75

Eine Darftellung der remonftrantifchen Dogmatik wird
von vornherein auf reges Intereffe rechnen können; das
neue und beffere gegenwärtige Verftändnis der Aufklärungsbewegung
ift auch den Remonftranten zugute
gekommen, die zu den Prolegomena der Aufklärung
gehören, aber jeder Kenner der Sachlage weiß, daß gerade
in den Niederlanden, diefem Tummelplatze der verfchie-
denartigften Strömungen, auch noch ein ganzes Bündel
wiffenfchaltlicher Fragen fteckt. Eine davon ift die intimere
Kenntnis des Remonftrantentums. Die hätte Verf.
bieten follen und fich damit den Dank aller erworben.
Aber leider hat er diefe günftige Gelegenheit verpaßt,
verfchmäht jede Weite des Gefichtsfeldes und befchränkt
fich auf einen Vergleich der Institutiones theologicae des
Simon Episcopius mit der Institutio Calvins, wozu er dann
fein eigenes Urteil fügt, das an G. Laffon (Zur Theorie
des chriftlichen Dogmas 1907) und Hegel orientiert ift.
Auf diefe Weife geht die fo dringend wünfchbare und
wertvolle Einftellung der Remonftranten in die Geiftes-
entwicklung der Menfchheit völlig verloren, und an ihre
Stelle rückt ein Beitrag zur Gefchichte der Dogmatik.
Dankenswert ift auch diefer natürlich, aber es ift nicht
das, was fich aus dem Thema hätte machen laffen, und
man muß Beträchtliches aus Eigenem hinzufügen, um ein
Gefamtbild zu erzielen. Mit der vergleichenden Aneinanderreihung
der loci theologici ift zu wenig geboten.
Wenn man z. B. lieft: ,Episcopius beftreitet die dei cog-
nitio ex revelatione und fteüt gegenüber die dei cognitio
ex ratione hominum', fo find das Fundamentalgedanken,
die in ihrem grundlegenden Werte gewürdigt werden
müffen. Der Hinweis auf den ontologifchen, kosmologifchen,
teleologifchen Gottesbeweis, das argumentum e consensu
gentium und die Gewiffensftimme (S. 17) genügt da nicht,
es muß vielmehr die hier vorliegende Emanzipation der
Vernunft klar gemacht werden. Episcopius fagt deutlich
(S. 18 Anm. 1): auxilio rationis rectae ad cognitionem
dei perveniri potest, und die Offenbarung ift nur utilis . .
Läßt er fie immerhin noch gelten, aber durch die ratio
kritifiert werden, fo hat H. ganz richtig gefehen, daß ein
glatter Ausgleich zwifchen Vernunft und Offenbarung nicht
gefunden ift. Daß bei der Bibelerklärung der fogen.
sensus grammaticus im Vordergrund fteht, befremdet bei
der humaniftifchen Grundlage der Remonftranten nicht.
Kann er den sensus spiritualis nicht ganz ausfchalten, fo
charakterifiert fich Episcopius damit als Mann der Übergangszeit
, nicht minder, wenn er den sensus rationalis
überall klarzumachen fucht oder die Kanonizität der neu-
teftamentlichen Schriften auf den apoftolifchen Urfprung
begründen will, daneben aber auf die göttliche Infpiration
rekurriert. Urteilt H. hier treffend, fo hat er fich durch
moderne Reflexion (,was ift Naturnotwendigkeit anders
als Freiheit Gottes?') die Wertung der wichtigen Gegen-
überftellung der creatio ex liberrima voluntate und ex

**