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Ausgabe:

1916 Nr. 1

Spalte:

386-387

Autor/Hrsg.:

Cotlarciuc, Nico

Titel/Untertitel:

Homiletische Formalstufentheorie 1916

Rezensent:

Eger, Karl

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Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 16/17,

386

in die der Wertlehre, um dann freilich in feiner univerfal-
gefchichtlichen Konftruktion lediglich von der europäifchen
Kultur zu handeln, die .zweifellos' die einzige wirkliche
Kultur der Menfchheit fei und daher ohne Weiteres an
ihre Stelle gefetzt werden darf! Damit ift die Sache frei-
lich fehr vereinfacht: das Griechentum fetzt fich ohne
Weiteres an Stelle der Menfchheit wie bei den alten
Humaniften.

Das Hauptftück bildet die univerfalgefchichtliche
Konftruktion oder die Idee der Menfchheit als der
Verwirklichung des Syftems der abfoluten Werte in einer
logifch vermittelten Wertfolge. Zu diefem Zweck wird
noch das Syftem der Werte als Sinn der Gefchichte im Einzelnen
formuliert. Es ift ein Syftem, beftehend aus den
eigentlich abfoluten oder .Vollendungswerten' d. h. Religion,
Wiffenfchaft und Kunft und den uneigentlich abfoluten, beweglichen
und fortfchrittlichen .Beitragswerten 'd.h. Recht,
Staat und Sittlichkeit. Zwifchen allen diefen Werten beftehen
Spannungen. In ihrem Auseinandertreten zur gegenfeitigen
Spannung befteht der Anfang der Kulturgeschichte, ihre
endgiltige Harmonie ift Ende, Stillftand und Ziel der Gefchichte
. Damit ift ein Bewegungsprinzip gewonnen, einErfatz
für die Hegelfche Dialektik. Das Ziel wird demgemäß in
zwei Etappen erreicht, erft die Ausföhnung freier Geiftig-
keit mit der ftaatlich-rechtlich-fittlichen Ordnung, fodann
die Harmonifierung der inneren Spannung zwifchen den
Werten der freien Geiftigkeit felbft. Ift das erreicht, dann
kommt das Ende. Alfo der vollendete liberale Rechts-
ftaat, den der Verf. heute für wefentlich erreicht anfleht,
als Träger einer humaniftifchen Bildung, die als volle
Harmonie erft noch erreicht werden muß. Ein nähere
Gliederung des Bewegungsprinzips bringt dann die Unter-
fcheidung fynthetifcher d. h. autoritativer und analytifcher
d. h. individualifierter und freier Kulturperioden. Eine
fynthetifche ging in Homer und der mythifchen Periode
der Griechen voran, das Griechentum bedeutet die erfte
analytifche Epoche, das Mittelalter eine neue autoritär-
fynthetifche und darauf folgt feit der Renaiflance die
erneuerte analytifche Periode, die mit der Romantik in
neue Synthefe übergeht und von ihr aus zur vollen und freien
Harmonie in ungebrochener Entwickelung der europäifchen
Kultur bis zum Ende der Gefchichte führen wird.
Wertfpaltung und Wertverföhnung bei wefentlicher unveränderter
Identität der Werte felbft ift das Wefen
des Prozeffes, der von der Undifferenziertheit der Werte
durch ihre Differenzierung zu ihrer endgiltigen romantifchen
Verföhnung fortfchreitet. Dabei ift klar, daß die eigentliche
Verwirklichung des Syftems der abfoluten Werte
bereits das Griechentum ift. Es ift dem Verf. auch ,das
goldene feiige Zeitalter' S. 566, dem er nur noch einiges
aus der chriftlichen und modernen Periode zufetzen möchte.
Ein romantifiertes Hellenentum: das ift der Sinn der Gefchichte
, das Gefetz der Menfchheit, das inhaltlich erfüllte
Syftem der Werte, der Maßftab aller Urteile, das zeitlos
giltige Ideal. Das wird zum Schluffe nachgewiefen an der
Entwickelung der einzelnen Werte felber, der eigentlich
abfoluten in Religion, Philofophie und Kunft und der uneigentlich
abfoluten in Staat und Sittlichkeit. Von Homer
bis zur Romantik geht hier jedesmal der Weg. Die Einigung
und Spaltung und die Übergänge vom erften zum
zweiten und zu neuer Einigung, das ift der Erfatz für das
Bewegungsprinzip der Hegelfchen Dialektik. So entliehen
vier Skizzen je eine der Religionsgefchichte, der Kunftge-
fchichte, der Philofophie-Gefchichte und der Staatenge-
fchichte des Abendlandes. In jeder ift das hiftorifche Material
fehr frei verwendet. Es find Dichtungen etwa im Stile
von Robert Hamerlings gefchichtsphilofophifchen Epen,
Ausdruck der Perfönlichkeit des Verf. und ihrer poetifch-
dialektifchen Auffaffung des Hellenentums, das ihm die
Menfchheit ift. Hiftorifche Erkenntniffe find das nicht, fondern
ein philofophifches Epos. Man wird es gleichwohl
nicht ohne Sympathie und Bewegung lefen, weil es eine
eigentümliche, oft feine, immer menfchlich edle und gefühlvolle
Auffaffung des Lebens ift. Freilich mit dem
Syftem der abfoluten Werte und mit der empirifchen
Gefchichte hat das nicht mehr viel zu tun und mit der
Menfchheit gar nichts. Es ift das Syftem des abfoluten
Philhellenismus mit etwas chriftlicher Verinnerlichung und
etwas liberaler Staatsidee verfetzt.

Berlin. Troeltfch.

Dunkmann, Prof. D. Karl: Das Gebet des deuUchen Volkes.

Akademifche Reden über das Vaterunfer. (62 S.)
gr. 8°. Dresden, C. L. Ungelenk 1915. M. 1 —

Aus dem Titel fchließt man auf Kriegspredigten. Auch
laffen einige Sätze (S. 4. 25. 26. 41. 58) vermuten, daß es
sich um Predigten handelt, die im Kriege gehalten find.
Oder find diefe Stellen nachträglich eingefügt? S. 41
Z. 8 ff. v. u. im Verhältnis zu Z. 10 v. o. könnte diefer
Gedanke nahe liegen (,Laßt doch einmal einen Krieg ausbrechen
____.. Und nun haben wir plötzlich diefen Krieg').

Jedenfalls: Kriegspredigten im eigentlichen Sinn find es
nicht; die Kriegsfituation ift nirgends richtunggebend.
Es find Vaterunferpredigten, wie fie auch fonft gern in
Reihen gehalten werden. Gegenüber vielen anderen ähnlichen
Reihen haben fie einige erhebliche Vorzüge. Sie
verzichten darauf, all das traditionelle Drum und Dran,
die bekannte Benennung der 7 Bitten ufw., wieder mitzuführen
; und fie laffen das Hin und Her der Exegefe
homiletifch aus dem Spiel. Aber auch von diefem Negativen
abgefehen, gebührt ihnen mancherlei Anerkennung.
Ohne fchematifche Teilung, aber in klarem Gedankenaufbau
, ohne viele Bibelzitate, aber in voller Verfenkung
in den Text, ohne reichliche Gegenwartsfchilderung, aber
in ftändiger innerer Beziehung zur allgemeinen Lage (nur
nicht zur Kriegslage) der Zeit greift D. feft die Hauptgedanken
des Herrngebets heraus und entwickelt fie in
einer fowohl fachlich feinen wie perfönlich anfaffenden
Weife zu einheitlich gefchloffenen, ftark wirkenden Predigten
. In der Länge find fie fehr verfchieden; die kür-
zefte ift 4 Seiten lang, die längfte 8V2 (das Stück über
den Befchluß ift wohl keine felbftändige Predigt?); die
kürzeren am Anfang fcheinen mir noch beffer gelungen
als die längeren; fehr gut ift namentlich die erfte: ,Herr,
lehre uns beten!' Einige Teile find etwas hoch gehalten;
aber wir erinnern uns: es find .akademifche Reden'. In
der äußeren Faffung find fie durchaus .modern'; im Gedankengehalt
vermeiden fie jede Polemik; jeder Evange-
lifche kann fie lefen, ohne fich in feiner Sonderftellung
angegriffen zu fühlen. Alfo eine gute Sammlung, für die
wir dankbar find.

Gießen. M. Schi an.

Cotlarciuc, DD. Nico: Homiletilche Formalltufentheorie.

Eine neue homilet. Methode nach pfycholog. Grund-
fätzen. (X, 104 S.) 8°. Paderborn, F. Schöningh 1915.

M. 2.60

Vf., früher erzbifchöflicher Kathedralvikar in Lemberg
, anfangs 1914 zum Profeffor für praktifche Theologie
in Czernowitz defigniert und mit zweijährigem Urlaub auf
eine Informationsreife zur Vorbereitung auf dies Amt
gefchickt, hat während der Zeit in Wien und München
ftudiert und fich mit feinen Intereffen befonders auf die
Pfychologie geworfen. Er fucht eine neue Methode für
die Predigt daraus zu gewinnen, daß fie, die Beeinfluffung
der Hörer in den Vordergrund Hellend, die Wirkung auf
die drei Seelenvermögen, Verftand, Gefühl und Willen,
der Hörer auf die drei Stufen der Überzeugung, Gefühlsanregung
und Überredung verteilt. Und zwar follen diefe
drei Stufen in der angegebenen Reihenfolge für die Anordnung
der Predigt maßgebend fein, der erfte Teil der
Predigt foll die Überzeugung der Hörer zum Zweck haben,
der zweite die Gefühlsanregung, der dritte die Überredung,