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Ausgabe:

1916 Nr. 1

Spalte:

379-382

Autor/Hrsg.:

Bavink, Bernhard

Titel/Untertitel:

Allgemeine Ergebnisse und Probleme der Naturwissenschaft 1916

Rezensent:

Beth, Karl

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Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr, 16/17.

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faffende Biographie geben, fondern er bietet ein Lebensund
Charakterbild für das katholifche Volk. In anderen
Kreifen wird fein Buch kaum Verbreitung finden; die
ausführliche Einleitung über die kirchenpolitifchen Kämpfe
in Baden im 19. Jhd. ift ganz vom Standpunkt des Zentrums
aus gefchrieben. Dabei ift H. nicht kritiklos gegen
das Phantaftifche bei St., wohl auch nicht gegen die
Übertreibungen feiner Polemik. Treffend ift der Hinweis,
wie fehr St. noch von der Romantik beeinflußt war; nimmt
man hinzu, daß zu feinen Lieblingsfchriftftellern Gotthelf
gehörte, der große Realift, fo hat man in der Verbindung
von beiden ein Stück Erklärung von St.s Kunft und Kraft.
Als Anhang find ein paar befonders fchöne oder charak-
teriftifche Stücke feiner Schriften abgedruckt.

Zu denen, die durch ihn der katholifchen Kirche zugeführt
wurden, gehört Kordula Wohl er. Seit die 3. Aufl.
des Mayerfchen Buchs erfchien, ift fie geftorben (6. 2.
1916). Sie gehörte zu den gelegensten katholifchen Er-
bauungsfchriftftellerinnen unferer Tage. 1845 geboren,
Tochter des als Dichter und Komponiften hochbegabten
und zu unrecht vergeffenen mecklenburgifchen Pfarrers
Joh. Wilh. Wöhler, von großem Ernft und inniger Frömmigkeit
, fühlte fie fich früh zu katholifchem Wefen hingezogen
; eine Reife nach dem Süden beftärkte fie darin.
St.s Schriften veranlaßten fie, heimlich in Briefwechfel mit
ihm zu treten. Als die Eltern davon erfuhren, war fie
innerlich fchon entfchieden. 1870 trat fie über; die Kämpfe
um des Papftes Unfehlbarkeit, die in denfelben Tagen
proklamiert wurde, haben ihr anfcheinend keine Schwierigkeiten
gemacht. Sie lebte dann meift zu Schwaz in Tirol,
den Idealen katholifcher Frömmigkeit treu ergeben; in
der Ehe, die fie mit einem gleichgefinnten Manne einging
, nahmen fie beide ,Maria und Jofef zum Vorbild'.
M.'s Buch enthält die Gefchichte ihrer Hinwendung zum
Katholizismus, und wenn auch manches darin von feiten
der evangelifchen Angehörigen K. W.'s anders dargeftellt
werden würde, fo ift doch folch urkundlicher Bericht von
pfychologifchem Intereffe. Den Grundftock bilden St.'s
Briefe an fie und ihr Tagebuch; ihre Briefe hat St nicht
aufbewahrt. Nahe liegt der Vergleich mit Luife Henfel,
die auch eines evangelifchen Pfarrers Tochter war. Aber
diefe lebte, wenn auch zu den Kreifen der Romantik und
Reftauration hingezogen, doch in Berlin in der milden
Luft der erften Jahrzehnte des 19. Jhd.'s, K. W. dagegen
in Mecklenburg zu der Zeit, wo das erneute Luthertum
am festesten war. So erfcheinen hier Menfchen, Verhält-
niffe, Kämpfe härter (doch ift K. W. in Verbindung mit
ihren Angehörigen geblieben). Daß nicht alle folchen
Übertritte rein aus den Lebenserfahrungen heraus zu erklären
find, fieht man gerade hier. Eine genaue Kennerin
diefer Lebensgefchichte fagte, als fie das Buch gelefen
hatte: ,K. war eben katholifch geboren'. Es gibt reli-
giöfe Temperamente, die ihren Träger von vornherein zu
einem anderen Bekenntnis hinziehen, als das ift, in dem
er aufwuchs.

Berlin. H. Mulert

Bavink, Dr. Bernhard: Allgemeine Ergebnille und Probleme
der Naturwiffenfchatt. Eine Einführg. in die moderne
Naturphilofophie. (XIII, 314 S. m. 19 Fig. u. 2 Tafeln.)
gr. 8°. Leipzig, S. Hirzel 1914. M. 6 — ; geb. M. 7 —

Diefes Werk eines Phyfikers hat den Vorzug, auf
dem Grunde einer gleichartigen Betrachtung alles Welt-
gefchehens eine gefchloffene Weltbetrachtung vorzuführen
und, bei aller klar ausgefprochenen Referve bezüglich der
zahlreichen Haltpunkte, vor denen die einzelnen Zweige
der Wiffenfchaft heute flehen und für unbeftimmte Zeit
flehen bleiben werden, die mutige Überzeugung des wiffen-
fchaftlichen Idealismus zum Ausdruck zu bringen und zu
betätigen, daß es den vereinten Anftrengungen der For-
fchung in der Tat gelingt, die feften und wohlzufammen-
fügbaren Baufteine für ein möglichft vereinheitlichtes Ver-

ftändnis des Weltganzen und feiner ihm organifch zugehörigen
Teile herbeizubringen. Metaphyfifche Fragen
find dabei möglichft zurückgeftellt, und auf theologifche
Intereffen wird nur in kurzen Schluß- und feltenen Zwifchen-
bemerkungen der einzelnen Hauptftücke hinübergelenkt.
Gerade um deswillen dürfte das Werk dem Theologen,
der die Probleme fehen will, wie fie wirklich vor den
Blicken des naturwiffenfchaftlich arbeitenden Menfchen
entfliehen und Geftalt gewinnen, um fo wertvoller fein.
Die naturwiffenfchaftlichen Hauptprobleme werden durchweg
in ihrer gegenwärtigen Faffung aufgezeigt und be-
fprochen, mit gefchickter Einfügung einiger gefchichtlicher
Überblicke. Der Gefamtftoff ift einfach in der Weife angeordnet
, daß die anorganifche Natur den Anfang macht,
die Lebewelt als eine ganze, fchließlich das Menfchenreich
im befonderen folgen.

Das erfte der fo fich ergebenden vier Hauptftücke
handelt von ,Kraft und Stoff in den zwei Abfchnitten
,Die Grundbegriffe der Chemie' (S. 2—44) und ,Die Grundlagen
der Phyfik' (S. 45—117). Die Frage auf die hier
letztlich alle einzelnen Erörterungen eingeftellt und zu-
gefpitzt erfcheinen, ift die alte philofophifche, wie es denkbar
fei, daß die Kraft auf die Materie wirkt. Die vom
Verf. gegebene Antwort läßt fich kurz fo zufammenfaffen,
die Frageftellung fei falfch, fei überhaupt finnlos, dann
wenigstens, wenn, wie doch billig, Stoff und Kraft im
Sinne der chemifchen und phyfikalifchen Wiffenfchaft aufgefaßt
werden. Zu diefem Ergebnis gelangt B., indem er
in gründlicher Darlegung und lichtvollem Gedankenfort-
fchritt von der Erwägung der Exiftenz von Molekülen
und Atomen, mit einer beachtenswerten Einfchaltung über
die Bedeutung phyfikalifcher Hypothefen, zu einer gedrängten
, aber deutlichen Darstellung der chemifchen
Atomistik und der Strukturchemie und fodann zur Betrachtung
phyfikalifcher Vorgänge übergeht. Diefe letztere
befchäftigt fich, entsprechend den neuesten Errungen-
fchaften der Phyfik mit allen wichtigen Erfcheinungen,
Effekten und Theorien, die mit der kinetifchen Wärmetheorie
, der elektromagnetifchen Lichttheorie und der
Lichtemiffion und -abforption zufammenhängen. Indem
fich der Verf. dabei in wünfchenswerter Deutlichkeit von
einem unfruchtbaren Kritizismus fern hält und einen wohltuenden
Realismus vertritt, legt er Wert darauf, an den
verfchiedenen Eck- und Schnittpunkten den modus proce-
dendi der Wiffenfchaft hervorzuheben, fonderlich um die
den Forfchungsergebniffen gleichfam immanente Tendenz
auf Vereinheitlichung der Erfaffung alles Welt-
gefchehens zu zeigen. Vornehmlich erfcheint ihm die
Elektronentheorie als der die Fäden aus fämtlichen Gebieten
der bisherigen Phyfik und Chemie zufammen-
faffende .Ariadnefaden', der ficher zur Einheit des phyfikalifchen
Weltbildes geleitet (S. 83). B. ift aufgrund
deffen, daß in allen noch fo verfchiedenartigen phyfika-
lifch-chemifchen Vorgängen letzten Endes ein und der-
felbe Grundtatbeftand vorliegt, überzeugt von der Konvergenz
aller Fortfehritte der Forfchung zur einheitlichen
Verknüpfung aller ihrer Refultate in die Einheit des
Weltbildes. Er legt den größten Nachdruck darauf, daß
Mechanik und Akuftik, Mechanik und Wärmelehre, Elektromagnetismus
und Optik, fogar fchon Elektromagnetismus
und Mechanik in einander laufen und ,die Chemie
bereits auf dem bellen Wege ift, den Anfchluß an diefen
gemeinfamen Zug zu erreichen', und er zweifelt nicht, daß
viele der neuesten Entdeckungen, ,weit entfernt, das Gebiet
der Forfchung nur abermals zu zerteilen und nur
neue endlofe Sonderdisziplinen aufzutun, doch auch zu
der größten Vereinheitlichung die Mittel geboten' haben
und in der Elektronenhypothefe fchließlich die Fäden aus
allen Gebieten zufammenlaufen (S. 103). Und fo ift B.
trotz feiner ablehnenden Haltung gegen den Panen-
ergetismus doch genötigt, die Materie für .einen mehr
oder minder ftabilen Vorgang' zu erklären und fchan
zu betonen, daß das Sein eines Atoms (z. B. Wafferftoff)