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Ausgabe:

1916 Nr. 1

Spalte:

370-371

Autor/Hrsg.:

Kurze, Georg

Titel/Untertitel:

Der Engels- und Teufelsglaube des Apostels Paulus 1916

Rezensent:

Bauer, Walter

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369

Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 16/17.

370

Königreich Gottes 'HW tVCtya des sffib» (S. 51). Überhaupt
wird das N. T. äußerft feiten angeführt. Die minutiöfe
Vergleichung des Mifchnatextes mit der Tofephta (S. 6
—11), welche nebenbei bemerkt nicht beigedruckt ift,
führt zu keinem ficheren Refultat. ,Ich halte danach die
Thefe Zuckermandels, wonach die T(ofephta) die alte
paläftinenfifche Mifchna ift, nicht für unwahrscheinlich'.

Die in der Einleitung in extenfo angeführten Gebet-
ftücke aus der Neujahrsliturgie find als nützlich zu bezeichnen
. ,Das Dargebotene ift auch dazu beftimmt,
Kenntniffe über den heutigen jüdifchen Kultus und damit
zugleich Verftändnis desfelben unter den Chriften zu verbreiten
' (S. VII). Wenn jedoch (S. 65 ff) im Kapitel .Mittelalter
und Neuzeit' bloß das Ümtanne toqeph angeführt
und ausführlich behandelt wird, dann weiß man nicht,
warum der ganzen reichhaltigen fynagogalen Poefie des
Mittelalters mit keinem Worte gedacht wird. Manche
Bibelftellen find als folche nicht erkannt, daher nicht als
Zitate bezeichnet worden. So CBtitt Sin bSfl'SJ^J pH "'S
npm lrfbab (S. 48 und S. 52) ift yllxXXI 5;"nsn rnpai
VTjy (S. 66"plene n3fh)ift Ezech. XXXIV l2;fi»rm afb "»Ä
fr}Tf ÜfVfa taltfa DK ^p Mgrj HiDa (S. 67) ift eine finngemäße
kombinierende Anwendung von Ezech. XVIII 32
rran rvizja pEnx penn und Ezech. XVIII 23 inwa «bn
tVTf] TOrT-pL Uberhaupt ift gar keine Aufmerkfamkeif
auf den fogenannten Mufivftil und deffen aus diefen Texten
remitierendes hohe Alter gelenkt worden.

Druckfehler find (S. 57) ftatt »J^ltS^ D^Ml

(S. 58) ftatt Dyian und mächte (S. 63 Z. 13)'für mache".
Wien. J. Miefes.

Wernle, Prof. D. theol. Paul: Antimilitarismus und Evangelium.

(88 S.) 8°. Bafel, Helbing 6k Lichtenhahn 1915. M. 1.25
Kattenbufch, F.: Über Feindesliebe im Sinne des Chriften-
tums. (IX, 70 S.) 8°. Gotha,F. A. Perthes 1916. M. 1 —

Die Schriften von Wernle und Kattenbufch ragen
aus der Flut der Kriegsfchriften hervor und verdienen
eine befondere Behandlung.

Wernle fchreibt als Schweizer für den gegenwärtigen
Schweizer Militärdienft gegen den Schweizer Antimilitarismus
. Daher der warme und anfaffende Ton feiner Schrift.
Er erhöht den Reiz des Lefens und beeinträchtigt nicht
den Wert der allgemeinen Gedanken. W. unterfcheidet
einen Antimilitarismus aus mangelndem Gemeinfchafts-
gefühl (philifterhafter oder äfthetifcher Individualismus)
oder aus übertriebenem Gemeinfchaftsgefühl, mag er
nun mit dem fozialdemokratifchen Programm des internationalen
Proletariats oder mit der chriftlichen Idee des
übernationalen Reiches Gottes begründet werden. Die
Vertreter diefer Idee, die fchweizer Religiös-Sozialen 1 find
Wernles Hauptgegner; mit ihnen fich auseinanderzufetzen
ift feine eigentliche Aufgabe. Gern läßt er fich von ihnen
vor der Gefahr eines weltförmigen Chriftentums warnen,
er felber aber muß fie warnen vor eigenwilliger Prophetie,
vor utopifchen Schwärmereien, und vor allem vor der
unchriftlichen Lieblofigkeit, nicht nur felber in der Stunde
der Gefahr das Vaterland im Stich zu laffen, fondern auch
noch ihren Brüdern, die bereit und verpflichtet find, das
Vaterland zu verteidigen, durch ihre antimilitariftifche

1) Ihr Führer Ragaz hat im Winter 1914/15 Tor der Zürcher Frei-
ftudentenfchaft einen Vortrag gehalten. .Uber den Sinn des Krieges
(Zürich, Art. Inftitut Orell Füßli. 47 S. 8». M. — 80). Hier erklart er
den Krieg als Kataftrophe des Imperialismus, Militarismus, Kapitalismus,
kurz unterer ganzen modernen Kultur, der es, im Gegenfatz zum katho-
lifchen Mittelalter der Kreuzzüge, an Einheit und fittlicher Orientierung
fehle. Er erhofft und prophezeit als Ergebnis der Kataftrophe einen
dauerhaften Frieden mit Abrüftung, ein Parlament der vereinigten Staaten
Europas und der Erde mit fozialiftifch-genoffenfchaftlicher Wirtfchafts-
und Lebensordnung. Wenn jemand folch ein Gemifch von romantifcher
Gefchichtsbetrachtung und apokalyptifchen Hoffnungen vorträgt, fo wundert
man fich nicht, daß er, obwohl er die Frage nach der .Schuld' als
politifche Kannegießerei bezeichnet, doch im öfterreichifch-ferbifchen
Konflikt die Hauptfchuld bei öfterrcich findet!

Propaganda das Gewiffen zu verwirren. In dem Streit
um die Stellung des Evangeliums hält W. feinen Gegnern
zuerft das Wort entgegen: .Gebet dem Kaifer, was des
Kaifers ift'; in den Bereich diefes Wortes gehöre unter
den jetzigen VerhältnilTen unbedingt auch der perfönliche
Waffendienft (früher wurden mit den Steuereinkünften
Söldner geworben). Dann widerlegt er forgfältig die Einwände
feiner Gegner, in drei Gruppen, t. Die Idee des
Reiches Gottes. — Sie fteht nicht im Gegenfatz zum
Staat, diefer ift vielmehr eine Vorftufe zum Reich Gottes.
2. Die bekannten Worte der Bergpredigt. — Sie find
keine Rechtsordnung, fondern ein höchftes Ideal persönlicher
Liebesgefinnung, neben dem Rechtsordnungen nötig
waren und find. 3. Der Geift Jefu. — Er widerftreitet
gewiß dem Krieg und arbeitet an feiner Überwindung.
Aber fo lange nun einmal Kriege find, darf er nicht dort
zurückgezogen werden, wo er am nötigften ift. — Noch
zwei wertvolle Bemerkungen hebe ich hervor. Eine doo--
matifche: die Nachfolge Jefu ift uns nur im befcheidenen
Maße befchieden. Wie wir nicht Luthers Kämpfe im Klofter
nachzumachen haben, fo erft recht nicht Gethfemane
und Golgatha. Das hat Jefus in der Tat für uns erlitten.
Und eine ethifche: es ift ein verwerflicher religiöfer Egoismus
, nur das eigene Gewiffen rückfichtslos zu befriedigen,
unbekümmert um die Verwirrung der fremden Gewiffen.

Die Unterfuchung von Kattenbufch ift infofern
enger als Wernle's, weil er nicht unterfucht, ob der Krieg
fittlich berechtigt ift (vgl. darüber feine Schrift ,Das fitt-
liche Recht des Krieges', angezeigt Th. L. Z. 1907, 339),
fondern zeigen will, wie die Feindesliebe fich im Kriege
bewähren foll. Aber, und infofern ift K. weiter als W.,
nicht nur im Kriege, fondern zunächft im Frieden. So
gibt es zwei Teile, denen eine Sorgfältige kritifche Besprechung
der einschlägigen Worte Jefu und Pauli vor-
angefchickt ift. Der erfte Teil kommt zu dem Ergebnis:
die Feindesliebe bewährt ihren Charakter als drajcr/ darin,
daß fie den Feind von feiner Feindfchaft befreit, weil fie
vorausfetzt, Feindfchaft fei dem, der fie hege, in Wahrheit
felber ein Leid. Die Liebe kann und foll immer erziehend
wirken. Daher wird fie unter Umftänden .widerftehen'
rnüflen. Selbft wenn Jefus, was K. bezweifelt, das (irj
uvxiGxrvai zw jcovtjqw feinen Jüngern als Leitftern mitgegeben
hätte, würden wir das Recht haben, den Buchstaben
preiszugeben, um dem Geift (der Liebe) gerecht
zu werden. Im zweiten Teil (Feindesliebe im Kriege)
verteidigt K. folgende Grundsätze 1. Den Volksfeind
nicht als per fönlichen Feind anfehen und behandeln,
2. unnötige Härten vermeiden, 3. das Völkerrecht treu
innehalten, 4. politifchen Anftand wahren. Wenn K.
Schließlich noch fragt, ob Feindesliebe den Grund zum
Kriege geben könne (womit viele Engländer ihren Krieg
gegen uns rechtfertigen), und geneigt ift, diefe Frage
wenigftens grundfätzlich zu bejahen (wenn er auch für
die Praxis immer Rom. 12, i8f. empfiehlt): fo muß ich
diefe Frage auch prinzipiell rund verneinen. Kein Volk
darf fich felbft zum Richter und Erzieher eines anderen
aufwerfen. Gott mag ein Volk als richtendes und erziehendes
Werkzeug gebrauchen; aber Richter bleibt
er und gibt dies Amt keinem Andern (Jef. 10,5—16I).
Wer es fich eigenmächtig anmaßt, fündigt wider die
Demut und fällt unweigerlich in Heuchelei (Rom. 2,17 ST.).
— Ich darf aber nicht Schließen, ohne die reiche Fülle
feiner und treffender ethifcher Einzelbeobachtungen mit
befonderem Dank zu erwähnen. Daß K. mit der besonnenen
, gerechten Umficht echter Wiffenfchaft fchreibt,
ift felbftverftändlich.

Hannover-Kleefeld. Schufter.

Kurze, Dr.Georg: Der Engels- und Teufelsglaube des Apoltels

Paulus. (VIII, 168 S.) gr. 8°. Freiburg i. B., Herder

I9IS- M. 5.50

K. meint, daß die bisherige Forfchung, mit Einfchluß

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