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Ausgabe:

1916 Nr. 15

Spalte:

341-342

Autor/Hrsg.:

Harnack, Adolf von

Titel/Untertitel:

Beiträge zur Einleitung in das Neue Testament. VII. Zur Revision der Prinzipien der neutestamentlichen Textkritik. Die Bedeutung der Vulgata für den Text der katholischen Briefe und der Anteil des

Rezensent:

Lietzmann, Hans

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34i

Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 15.

342

Harnack, Adolf v.: Beiträge zur Einleitung in das Neue
Teltament. VII. Zur Revifion der Prinzipien der neu-
teftamentlichen Textkritik. Die Bedeutg. der Vulgata
f. den Text der kathol. Briefe u. der Anteil des
Hieronymus an dem Überfetzungswerk. (III, 130 S.) 8°.
Leipzig, J. C. Hinrichs 1916. M. 4—; geb. M. 5—

Das vorliegende Buch fetzt die in den Berliner Sitzungsberichten
1915 S. 534ff. begonnene Unterfuchung über die
Bedeutung der Vulgata für die neuteftamentliche Textkritik
fort, indem es nunmehr die gefamten katholifchen Briefe
einbegreift: v. Harnack gibt eine griechifche Rücküber-
fetzung des hieronymianifchen Textes und bietet als
Apparat eine Angabe der abweichenden Zeugen für die
Stellen, an denen die neueren Herausgeber anders lefen
als Plieronymus. Es folgt eine Befprechung des Wertes
der Vulgata für den Text jedes einzelnen Briefes, in der
v. Harnack an zahlreichen Stellen (vgl. S. 126 f.) die hierony-
mianifche Lesart als den Urtext empfiehlt. Vieles davon
ift mir recht einleuchtend; andere Kritiker werden vielleicht
anders denken: aber es muß eben deshalb nachdrücklich
betont werden, daß die Bedeutung der ganzen Unterfuchung
anderswo liegt. Der Titel des Buches fordert zu
einer ,Revifion der Prinzipien der neuteftamentlichen Textkritik
' auf, und die tut wahrlich not und zwar eben in
der von v. Harnack eingefchlagenen Richtung: feine Arbeit
knüpft wieder an die Lehren des heute von der Menge
vergeffenen Meifters an, der als der letzte echte Kritiker
von Gottes Gnaden das Neue Teftament ediert hat, Carl
Lachmann. Tifchendorfs Entdeckerglück hat in demselben
Maße das kritifche Können von Generationen getötet, in
welchem es wertvolles Material in ungeahnter Fülle und
Güte befchaffte. Lagardes warnende Stimme erklang vergebens
: man trieb — und das gilt trotz des gegenteiligen
Anfcheins auch von Weftcott und Hort — Textkritik
ohneZufammenhangmitderKirchengefchichte: die Kodizes
ftanden in hohen Ehren, die Väterzeugniffe und Über-
fetzungen fchob man zur Seite. So kam noch jüngft
Hermann v. Sodens Riefenwerk zu Fall: möge es der
letzte Verfuch der Art fein!

Für die nächfte Generation wird entfagungsvolle, aber
dafür um fo ficherer fördernde Vorarbeit an Einzelproblemen
die gegebene Aufgabe bleiben: v. Harnacks Buch hat
eines der dankbarften glücklich bearbeitet. Die Vulgata
des N. T. ift keine Neuüberfetzung, wie die des A. T,
fondern nur Revifion des altlateinifchen Textes: das wiffen
wir durch des Hieronymus eigene Worte. Wie hat er
nun feine Vorlage behandelt? Das erläutert v. H. hübfch
durch eine Vergleichung des Jakobusbriefes in Vulgata
und dem Bobbiensis s. Wie verhält fich die Überfetzung
zum Original? Das wird Brief für Brief eingehend unter-
fucht. Dabei ftellt fich heraus, daß wir es in allen Fällen
mit Interlinearüberfetzungen zu tun haben, und daß jeder
Brief von einem andern Mann überfetzt worden ift; nur
L und II. Joh. flammen aus derfelben lateinifchen Feder.
Diefes aus den Texten felbft erfchloffene Refultat ftimmt
nun aber vortrefflich zu dem, was uns die Kanongefchichte
lehrt, und erhält von dort aus die nötige hiftorifche Beleuchtung
. Eine einheitliche Sammlung der katholifchen
Briefe kennt die ältere Zeit nicht: im Abendlande tauchen
fie einzeln oder in kleinen, mannigfaltig wechfelnden Gruppen
auf — fo find fie alfo auch einzeln überfetzt worden:
und eben wegen diefer befonderen Art der Einzelüberlieferung
ift der Wert des lateinifchen Textes gerade bei
den katholifchen Briefen befonders hoch anzufchlagen.
Für jede Überlieferungsgruppe der neuteftamentlichen
Schriften ift der Wert der Vulgata nicht nur möglicher-,
fondern auch wahrfcheinlicherweife verfchieden: das fpricht
v. Harnack S. 2 mit vollem Rechte aus. Es wird eine
dankbare Aufgabe fein, dem Vorbild der Harnackfchen
Arbeit zu folgen und die Vulgata der übrigen Teile des
N.T. zu unterfuchen: zunächft würde das CorpusPaulinum

wohl locken, deffen lateinifche Überfetzung vielleicht zuerft
durch Marcioniten in Rom eingeführt wurde. Aber auch
in einer andern Richtung fpornt das Buch zur Nacheiferung
an. Während nämlich alle uns erhaltenen griechifchen
Handfchriften der katholifchen Briefe auf den ,Siebenbrief-
kanon' in der Reihenfolge Jac, Petr., Joh., Jud. zurückgehn,
flammt die Pefchita aus einem Exemplar, welches nur die
drei großen Briefe Jac, I. Petr., I. Joh. enthielt. Solche
Exemplare benutzten aber auch die griechifchen Väter
Syriens und Kleinafiens im 4. Jahrhundert. Wer alfo die
Pefchita zurücküberfetzt und die Zitate des Johannes
Chryfoftomos, des Methodios und der Kappadokier damit
verbindet, gewinnt eine Handfchrift des Dreibriefkanons.
Analog wäre der ägyptifche Siebenbriefkanon zu er-
fchließen, und dann würde fich vielleicht ein anfchauliches
Bild der Textgefchichte diefer eigenartigen Briefgruppe
ergeben.

Dahin etwa muß der Weg gehn, der zu wirklicher
Erkenntnis der neuteftamentlichen Textprobleme führt,
und deshalb begrüße ich v. Harnacks Buch freudig als
einen entfchloffenen Schritt, der fich von den Irrungen
vergangener Jahrzehnte abwendet und den rechten Pfad
zum Ziele befchreitet.
Jena. Hans Lietzmann.

Baumftark, Dr. Ant: Die modeltianilchen und die konltan-
tinilchen Bauten am heiligen Grabe zu Jeruralem. Eine
Nachprüfg. der Forfchungsergebniffe v. A. Helfenberg
, Grabeskirche u. Apoftelkirche. Zwei Bafiliken
Konftantins, Band L (Studien zur Gefchichte u. Kultur
des Altertums. VII. Bd., 3. u. 4. Heft.) (XII, 174 S.)
gr. 8°. Paderborn, F. Schöningh 1914. M. 5.80

Helfenberg hatte, lediglich auf Grund feiner litera-
rifchen Unterfuchung, die Thefe aufgeftellt, Modeftus habe
nach der Verwüftung der Konftantinsbauten durch die
Perfer — aus Verfchen — dem heiligen Grabe, das ur-
fprünglich bei der jetzigen Helenakapelle verehrt wurde,
eine neue Stätte gegeben, und zwar da, wo vorher der
Altar in der Bafilika Konftantins geftanden hatte. Dagegen
habe er dann die Bafilika an die Stelle der früheren
Grabesrotunde gerückt und den Kreuzesfelfen an
neuer Stelle aufgebaut. Der dafür durch frühere Unter-
fuchungen wohl vorbereitete Baumftark hat es unternommen
, aus den literarifchen Quellenberichten die dagegen
fprechenden Ausfagen zu erheben. Seine Ausführungen
gelten zuerft dem Bau des Modeftos. Die Bafilika des-
felben galt nach den liturgifchen Quellen als die Kathedrale
des Baues, für deren befondere Größe beftimmte
Zeugniffe vorhanden find. Sie war alfo nicht ein unbedeutender
Notbau, fondern die Wiederherftellung des alten
Baus des Konftantin. Die Kranion-Kapelle jener Zeit
war nicht die ,Erdenmitte', welche nach Heifenberg die
alte Stätte des Kreuzes bewahrt haben foll, fondern die
jetzige Adamskapelle. Eine Marienkirche ftand nicht auf
dem jetzigen Südhof der Grabeskirche, fondern an der
Stelle der Kapelle der Franziskaner, was auch aus einem
Liede im Ofterkanon des hl. Johannes von Damaskus er-
fchloffen werden könne. Noch nach der Perferzerftörung
war das Obergefchoß des Umgangs der Auferftehungs-
rotunde vorhanden. Ihr Ort war alfo völlig erkennbar.
Eine bewußte Verlegung hätte dem frommen Empfinden
der Zeit ins Geficht gefchlagen. Daß die Bafilika örtlich,
nicht weltlich von der Anaftafis liegt, fetzt Breviarius de
Hierofolyma vor 460 voraus, und auch der Baubericht
des Eufebius weiß nichts anderes; denn der von Heifenberg
für das Gegenteil in Anfpruch genommene Satz in
1 Kap. 36 kann nur bedeuten, daß die Anaftafis fich nach
i Orten zu auf den Hof zwifchen ihr und der Bafilika ge-
j öffnet habe. Das zweifellofe Vorhandenfein eines füdlichen
Eingangs zu diefem Hofe erklärt, daß bei Aetheria die
I Bafilika ,hinter dem Kreuze' erfcheint. Wenn die Ana-

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