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Ausgabe:

1916 Nr. 14

Spalte:

332

Autor/Hrsg.:

Ebert, Ludwig

Titel/Untertitel:

Der kirchenrechtliche Territorialismus in Bayern im Zeitalter der Säkularisation. Ein Beitrag zur Geschichte des Verhältnisses von Staat und Kirche in Bayern 1916

Rezensent:

Zscharnack, Leopold

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Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 14.

332

heit aus, daß der letzte Urfprung aller Sittlichkeit im Dunkel
liegt. Am Begriff des Gewiffens ift dies leicht nachweisbar.
Auch die Kantfche Formel genügt nicht, da die Frage,
nach welchen Kriterien man zu urteilen habe, ob ein Ge-
letz ein allgemeines Gefetz' werden könne, offen bleibt. Herbart
letzte bekanntlich hier feine Unterfuchung an und legte
in der Formulierung von fünf fittlichen Ideen einen Maß-
ftab vor zur Entfcheidung über gut und bös, recht und
unrecht. Unfer fittliches Bewußtfein liefert uns keine fertige
Tugendlehre, wohl aber moralifche Urteile, die eine Quelle
fittlicher Grundanfchauung bilden, aus der in methodifcher
Weife eine praktifche Philofophie abgeleitet werden kann,
welche die wefentlichen moralifchen Grundfätze umfaßt,
nach denen unfer Leben fich zu richten hat. Die Moral
verhält fich oder follte fich vielmehr zum pofitiven Recht
verhalten wie die reine zur angewandten Mathematik. Der
Gefetzgeber entlehnt aus der Moral die reine Rechtslehre,
d. i. die Lehre von den Grundprinzipien des Rechts, um
fie auf die foziale Mechanik anzuwenden. Allerdings ent-
fpricht die pofitive Gefetzgebung diefem Verhältnis zwifchen
Moral und Recht niemals vollkommen, weil fich in dem
Entftehungsprozeß des Rechts der foziale Machtfaktor,
der durch das Klaffenintereffe diktierte Wille der jeweils
herfchendennormfchaffendenGefellfchaftsklaffeneinfchiebt.
Die Richtung der Kulturentwicklung geht allerdings dahin,
dem Moralprinzip auf Gebieten menfchlicher Betätigung
Neuland zu erobern in dem Maße, als die Empfindlichkeit
des fozialen Gewiffens wächft. Für die Fortbildung {
des Rechts muß der ethifche Standpunkt, das Seinfollende,
maßgebend fein. Das Rechtsgefühl erweift fich dabei
als eine bedeutfame Hilfe.

Wenn dann der Verf. den Satz aufftellt, daß die
Rechtsentwicklung mit dem Wandel der ethifchen An-
fchauungen gleichen Schritt halten müßte, fo verwickelt er
fich in einen unlösbaren Widerfpruch. Wenn das Seinfollende
wandelbar ift, fo ift es ein hölzernes Eifen. Nun erklärt
der Verf. S. 136, daß das oberfte Moralprinzip zwar unwandelbar
, die abgeleiteten praktifchen Grundfätze der
Moral aber wandelbar und dem Wechfel der Zeiten unterworfen
feien. Dagegen dürtte wohl eingewendet werden,
was denn das unwandelbare oberfte Moralprinzip fei und
welche Bedeutung es habe, wenn die aus ihm abgeleiteten
praktifchen Grundfätze wandelbar und dem Wechfel der
Zeiten unterworfen feien. Wie kann eine fo relativiftifche
Auffaffung der Ethik der Rechtswiffenfchaft und der Gefetzgebung
fefte Richtlinien gewähren? Und wie foll der
Richter fich verhalten, foweit es ihm zufteht, die Moral
zu einer ftändig belebenden Quelle der Rechtfprechung
zu machen, wenn diefer Regulator einem fchrankenlofen
Subjektivismus unterworfen ift? Da wird ihm auch keine
Soziologie, an welche der Verf. am Schluß feiner Arbeit
fich wendet, etwas helfen können. Sie foll die Aufgabe I
übernehmen, die objektiven Kriterien fozialer Zweckmäßigkeit
aufzudecken. Bis fie gelöft ift, foll die Frage, welche |
Moral der Richter zu feiner Richtfchnur zu nehmen habe,
dahin beantwortet werden: ,nicht eine vergangene, aber
auch nicht eine höchftens zukünftige, fondern die gegenwärtige
'. Aber was ift die gegenwärtige? —
Jena. W. Rein.

Referate.

Elenco alfabetico delle pubblicationi periodiche esistenti nelle biblio-
teche di Roma e relative a scienze morali, ftoriche, filo-
logiche, belle arti ecc. Con saggio di indice sistematico per
quelle dedicate a discipline teologiche, bibliche e orientali-
stiche. (Scripta Pont. Instituti Biblici. Subsidia bibliographica.I.)
(XVI, 406 S.) gr. 8». Rom, (M. Bretfchneider) 1914. L. 6.50 [
Die Herren Gabrieli und Silvagni, Bibliothekare an der Acca-
demia dei Lincei, haben fich zufammengetan, ein alphabetifches
Verzeichnis der in 45 römifchen Bibliotheken befindlichen perio-
difchen Veröffentlichungen aus dem Gebiet der Geifteswiffen-
fchaften zu liefern. Sie find fich der Mangelhaftigkeit eines erften
Verfuches wohl bewußt, waren fie doch mangels gedruckter Vorarbeiten
(mit Ausnahme des deutfchen Archäologifchen Inftituts) |

darauf angewiefen, fich die Titel überall zufammenzufuchen. Wer
ihre Arbeit nicht nachprüfen kann, darf fie doch dankbar anerkennen
, denn auf alle Fälle bringt fie einen leidlich ficheren
Überblick über das Vorhandene. Für uns, die wir durch den
Reichtum unferer Bibliotheken verwöhnt find, dünkt das Vorhandene
nicht allzu viel. Sprechen doch die Verfaffer felbft von
dem numero straordinariamente e dolorosamente grande an Zeit-
fchriften, der fich in Rom fühlbar macht. Leicht ließe fich das
auch für die deutfchen Zeitfchriften nachweifen. Wäre das päpft-
Iiche Bibelinftitut nicht, fo würde es jedenfalls um die Erreichbarkeit
theologifcher deutfcher Zeitfchriften fehr fchlecht beftellt fein.
Freudig erftaunt man, wenn man fieht, daß die Zeitfchrift für
Kirchengefchichte mit je einem Exemplar in fieben Bibliotheken
faft an der Spitze aller vorhandenen Periodika marfchiert. Auch
unfere Literaturzeitung ift dreimal vorhanden: im Bibelinftitut,
in der Vaticana und — feit 1894 — in der Casanatense. Der
Druck ift Tauber, nur beim Hinrichsfchen Katalog (K 17) ift allerhand
Unglück paffiert. Das Sigel VD (bei K 28) ift dem Ref.
undeutlich geblieben (ob Druckfehler für VE?). Der Romfahrer
legt das Buch mit gemiichten Gefühlen aus der Hand. Wird er
fo bald daraus Nutzen ziehen können?
Gießen. G. Krüger.

Berefchit Rabba, mit kritifchem Apparat n. Kommentar vonj.
Theodor. (Lfg. IX, 1. Hälfte.) Parafcha 60ff. (S. 641—680.)
Lex. 8». Berlin 1916. Bojanowo (Pofen), Rabb. Dr. J. Theodor.

M. 2—

Die von uns an diefer Stelle fchon früher beklagte Langfam-
keit im Fortfehreiten der (feit 1903 erfcheinenden) fo wichtigen
erften kritifchen Textausgabe des bedeutfamften Midrafch ift jetzt
zur zeitweiligen Stockung geworden! Infolge des Weltkrieges ift
es nämlich unmöglich, das zur Fortfetzung (Parafcha 64 ff.) benötigte
handfehriftliche Material für den kritifchen Apparat, foweit
es fich in den Bibliotheken des feindlichen Auslandes befindet
, zu erlangen. Richtiger wäre es gewefen, mit der Veröffentlichung
erft zu beginnen, wenn das kritifche Material vollftändig
gefammelt war.

Leipzig. Erich Bifchoff.

Ebert, Ludwig: Der kirchenrechtliche Territorialismus in Bayern
im Zeitalter der Säkularifation. Ein Beitrag zur Gefchichte
des Verhältniffes von Staat und Kirche in Bayern. (9. Heft
der Sekt. f. Recht- und SozialwifT. d. Görresgefellfchaft.)
(X, 98 S.) gr. 8°. Paderborn, F. Schöningh 1911. M. 4—
Die Gefchichte der Säkularifationen in Bayern hat Alfons
Maria Scheglmann in feinem großen dreibändigen Werk 1903—1908
bis zum Jahre 1803, dem Höhepunkt der Säkularifationstätig-
keit, fo eingehend und auf Grund eines fo ausgedehnten Materials
behandelt, daß wefentliche Ergänzungen kaum möglich fein dürften
. Sie hat auch Ebert in dem hier zu charakterifierenden Buch,
wenigftens was die erften Jahre betrifft, nicht gebracht, obwohl
er fleißig im München-Freifinger Ordinariatsarchiv und im Münchener
Königl. Oberbayrifchen Kreisarchiv wie in der gedruckten
älteren Literatur geforfcht hat, um das Verhältnis der bayrifchen
Regierung zum bifchöflichen Ordinariat in Freifing während der
Zeit von 1800 bis zum Religionsedikt vom 24. März 1809 quellenmäßig
darzuftellen. Denn auf diefes Spezialthema befchränkt fich
Eberts Studie, um an der Hand der von Scheglmann in Bd. III, I
gefchilderten Freifinger Entwicklung die beiden für die ganze
Bayrifche Kirchenpolitik in der damaligen Epoche charakteri-
ftifchen Gedanken des Territorialismus und der Säkularifation zu
illuftrieren. Über Scheglmann hinaus führen die Abfchnitte, die
fich auf den durch die Säkularifation notwendig gewordenen Neubau
beziehen, u. a. die Konkordatsverhandlungen zur Herftellung
einer in fich gefchloffenen bayerifchen Landeskirche, die Fragen
der Neuorganifation der Pfarreien famt der Neuregelung der
Pfarrdotation und der Dotation der Bistümer, der kirchlichen
Vermögensverwaltung u.a., die eherechtlichen Reformen und dergl.
mehr. Hierin liegt u. E. der Hauptwert der E.fchen Studie, die
trotz des katholifchen Standpunktes des Verfaffers diefe ganze,
dem Katholiken bekanntlich recht anftößige Entwicklung mit ruhiger
Objektivität und ftrenger Sachlichkeit behandelt, — in der
Hinficht allerdings Scheglmanns oft ja recht derber Art überlegen.

Berlin-Steglitz. Leopold Zfcharnack.

Merkel, Dr. Franz Rud.: Der Naturphiloroph Gotthilf Heinrich Schubert
u. die deutfehe Romantik. (IX, 151 S. m. 1 Bildnis.) 8°.
München, C. H. Beck 1913. M. 3.50

G. H. Schubert (1780—1860) ift aus feiner fpäteren Wirk-
famkeit in Erlangen und München Vielen als ,der freundliche
Führer aus dem Reiche der Natur in das Himmelreich' (Hafe)