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Ausgabe:

1916 Nr. 14

Spalte:

329-331

Titel/Untertitel:

Festschrift für Wilhelm Jerusalem zu seinem 60. Geburtstag von Freunden, Verehrern und Schülern 1916

Rezensent:

Rein, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 14.

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der Arbeit der Brüdergemeine an der Jugenderziehung;
9. Anhang: Das Wefen, die Verfaflung und die Einrichtungen
der Brüderunitäten, Abriß der Gefchichte der
erneuerten Brüderunität, Zeittafel, der Beftand der Brüder-
unität ufw. — ift der Stoff gegliedert. Die Texte find
den verfchiedenartigften Quellen entnommen und finden j
in einem faft überreichen Bilderfchmuck eine wertvolle
Ergänzung. Das Buch dient nicht wiffenfchaftlichen
Zwecken, aber es bietet durch die fehr gefchickte Stoff- |
auswahl eine ganz ausgezeichnete Einführung in das, was
die Brüdergemeine in alter und neuer Zeit gewefen ift,
vor allem in ihren Geift. Ich zweifle nicht daran, daß es
auch dem Theologen gute Dienfte leiften kann.

Auf diefes Buch ftützt fich die Büttnerfche Darftellung,
die fich an weitere Kreife wendet.

Göttingen. Carl Mirbt.

Strunz, Franz: Die Vergangenheit der Naturforichung. Ein

Beitrag zur Gefchichte des menfchlichen Geiftes. (VI.
198 S. m. 12 Tafeln.) 8°. Jena, E. Diederichs 1913,

M. 4 —; geb. M. 5.50

Der immer rührige Diederichsfche Verlag hat die
Herausgabe eines Sammelwerkes ,Klafliker der Natur-
wiffenfchaft und Technik' unternommen, das von Franz
Strunz und Karl Graf Klinkowftroem redigiert wird und
als Gegenftück der moniftifchen Sammlung W. Oftwalds
freudig begrüßt werden darf. Strunz, der fich fchon als
Direktor der Wiener Urania große Verdienfte um die
Verbreitung naturwiffenfchaftlicher Volksbildung erworben
hat, leitet mit dem vorliegenden Buche die neue
Sammlung würdig ein. Wie er fich das Ziel gefleckt
hat, eine Methodologie und Didaktik der Gefchichte
der Natunviffenfchaften bezw. der Naturbetrachtung,
-bearbeitung und -Verwertung zu fchaffen, fo hat er auch
durch eine große Reihe von Spezialuntersuchungen über
einzelne Ausfchnitte aus der Gefchichte feiner Difziplin den
Grund für die gegenwärtige populäre Darfteilung gelegt.
Eine große Zahl jener Einzelforfchungen und überschauenden
Darftellungen wie feine Chemie im klaffifchen Altertum
, die Vorgefchichte der Chemie im Altertum, die
Gefchichte der Naturwiffenfchaften im Mittelalter, Monographien
über J. B. van Helmont, Paracelfus, Comenius
als Biochemiker, kommen hier zur Verwertung. Neu ift
das Kapitel über die heilige Hildegard von Bingen, die
,Naturforfcherin des Mittelalters', fowie dasjenige über
die Erfindung des europäifchen Porzellans. Strunz fußt
hier auf den fcharffinnigen Studien des bekannten Natur-
wiffenfchaftshiftorikers Hermann Peters, der I908 in der
Kahlbaum-Gedächtnisfchrift und in der Chem.-Zeitg. den
unwiderleglichen Beweis erbracht hat, daß nicht J. F. Bött-
ger, fondern Ehrenfried Walter v. Tfchirnhaus in den
Jahren 1694—99 mittels Brennfpiegelverfuche als erster das
Porzellan hergeftellt und darüber mit feinem Freunde
Leibniz korrefpondiert hat. — Die Beiblätter, welche
teils Bildniffe der befprochenen Perfönlichkeiten, teils
Fakfimiles nach alten Originalen bieten, find ganz vorzüglich
ausgeführt.

Wien.___K. Beth.

Feltlchrift für Wilhelm Jerulalem zu feinem 60. Geburtstag
v. Freunden, Verehrern u. Schülern. (III, 244 S. m
1 Bildnis.) gr. 8°. Wien, W. Braumüller 1915. M. 6 —

In der Widmung von A. Wildgans findet die Verehrung
der Schüler zu ihrem Lehrer einen würdigen und
warmen Ausdruck. Aus dem reichen Inhalt der Schrift
fei hier auf zwei Arbeiten befonders aufmerkfam gemacht:
M. Adler, Über den kritifchen Begriff der Religion und
J. Kraus, Sittlichkeit und Recht. Die Unterfuchung der
erft genannten Arbeit knüpft an Kant an: Sofern fich
die Religion auf eine überempirifche Ordnung bezieht,
muß fie auf jedes Wiffen von ihrem Gegenftand verzichten.

Die Religion hat mit ihren Begriffen von Gott und Seele,
Jenfeits, Unfterblichkeit und Heilsordnung aus dem Bereich
des theoretifchen Denkens auszufcheiden; Religion ift kein
Wiffen von der Welt und kann es nie werden. Damit
ift fie aber keineswegs herabgefetzt, vielmehr fteigt ihr
Inhalt aus einer viel größeren Tiefe unferes Wefens empor
als die Oberflächenerfcheinung unferes Wiffens fpiegeln
kann, eines Teiles von uns, den nur die Überfchätzung
eines wefentlich intellektualiftifchen Zeitalters für das
Ganze unferes Lebens ausgeben kann. Die Religion fällt
in die Sphäre des praktifchen Bewußtfeins. Ihr Wert
läßt fich nur vom Standpunkt des Willens erfaffen. Ihre
Wahrheiten erleben wir nicht als ein Gewußtes, Erkanntes,
fondern als ein unferm tiefften Wollen Entfprungenes.
Religion erweift fich als eine aus der Natur unferer gei-
ftigen Organifation hervorgehende, unfer Weltbild erft
vollendende Notwendigkeit. Diefe Gedanken füllen den
erften Teil der Abhandlung. Es folgt eine grundlegende
Unterfcheidung von Religion und Mythus, um dann das
Verhältnis zwifchen Religion und Moral darzulegen.
Auch hierin folgt der Verf. den Spuren Kants und vertritt
die Selbftändigkeit beider Gebiete, um fodann für
die Religion das Gebiet der Überzeugungen in Anfpruch
zu nehmen, die in der Art, in welcher die Menfchen den
Wert ihres eigenen Lebens und den Sinn der Kulturentwicklung
im ganzen bejahen, lebendig find. Das Spezi-
fifche der Religion erblickt der Verfaffer in Folgendem:
Religion ift keine Lehre im Sinne der dogmatifchen Be-
kenntniffe, Religion ift überhaupt kein Syftem irgend welcher
fertiger Einfichten, fondern fie ift eine fortwährend
in lebendigem Fluffe befindliche Richtung unferes Bewußtfeins
, in welcher die beiden Seiten desfelben, die
theoretifche und die moralifche, in eine Einheit inbezug
auf des Gefchick der Perfönlichkeit bezogen werden. Im
religiöfen Bewußtfein überfchreiten wir die Erfahrung nicht
mit objektiven Ausfagen, wie die Metaphyfik oder die
mythologifchen Volksreligionen, fondern in zwar bloß fub-
jektiven, aber unter der Vorausfetzung des Willens zu
einer Gefamtauffaflung der Welt notwendigen Annahmen.
Die Ideen von Gott und Unfterblichkeit belügen alfo nicht,
daß es etwas derartiges gibt, fondern nur, daß wir als
Wefen, die nach Einheit unferer Anfchauung ewig dur-
ftend und unfelig zufammenbrechen, nicht anders können,
als beider Exiftenz zu wollen. Nachdem der Verf. das
Spezififche der Religion in der einheitlichen Erfaffung
des Weltganzen in unferem Bewußtfein erblickt, wird er
zu der Frage gedrängt: Ift es noch richtig, dies Religion
zu nennen? Die Antwort lautet: Religion und Philofophie
find nur zwei verfchiedene Ausdrücke für ein und diefelbe
Problemlöfung. Der Verfaffer gelangt damit zu einer
Auffaffung der Religion, bei dem felbft die modernfte
bibelkritifche Form des evangelifchen Chriftentums doch
noch als eine Mythologie von dem Begriff der Religion zu
löfen ift. Die Religion als philofophifcher Glaube foll erft
geboren werden. Alle bisherige Philofophie war nur Geburtshelferin
für jenen künftigen Geifteszuftand der Menfch-
heit, in welchem Religion nichts anderes mehr fein wird
als in jedem Herzen lebendige Philofophie, und Philofophie
nichts anderes als in jedem Kopfe begründete Religion.
Selbftverftändlich darf die Religiöfität den Kindern nicht
mehr in mythologifchen, fondern in philofophifchen Begriffen
vermittelt werden. Es gilt den Kampf um die
Emanzipation der Mafien aus denFeffeln der dogmatifchen
Religion und kirchlichen Gewalt zu führen. —

Damit ift der Standpunkt des Verf. gekennzeichnet.
Einer Kritik bedarf es nicht.

Auf eine zweite Abhandlung foll hier noch die
Aufmerkfamkeit gelenkt werden: Sittlichkeit und Recht,
von Landesgerichtsrat Dr. Jofef Kraus (Seite 123—146).
Diefe Arbeit gilt der Unterfuchung der Frage, inwiefern
die Moral als Quelle des Rechts in Betracht kommt und
welche Rolle ihr in der Rechtsentwicklung und bei der
Rechtsanwendung zufällt. Der Verf. geht von der Wahr-