Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1916 Nr. 1

Spalte:

4-5

Autor/Hrsg.:

Deussen, Paul

Titel/Untertitel:

Die Philosophie der Bibel 1916

Rezensent:

Steinmann, Theophil

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

3

Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 1.

4

es fich um Rudimente traditioneller Anfchauungen handelt,
die auf ihre fichere Begründung angefehen oft auf gleicher
Stufe mit andern religionsgefchichtlichen Hypothefen
flehen. An nicht wenig Stellen erkennt man, von welchem
Erfolg des Verf.s Studienreife nach Paläftina für die Bewältigungfeiner
Aufgabe gewefen ift. Eine ausgezeichnete
Bereicherung des Buches find die zahlreichen Abbildungen,
die mit Gefchick ausgewählt find. Es liegt in der Natur
der Sache, daß bei der ungeheuren Fülle des hier verarbeiteten
Stoffes Ref. in nicht wenig Fällen anders ent-
fcheiden würde als der Verf., ich verzichte daher auf derartige
Auseinanderfetzungcn und befchränke mich auf
die Begründung des oben ausgefprochenen Urteils. Volz
vertritt S. 9fr. die Anfchauung, daß die Lade fowohl
Symbol der Nähe Gottes als auch Behälter der beiden
Tafeln des Gefetzes war. In diefe Lade waren die Tafeln
des Dekalogs gelegt, damit diefelbe fo fichtbar die großen
Grundgedanken der mofaifchen Religion darftellte, die
Nähe des machtvoll gnädigen Gottes, der Israel half, wenn
es feinen Willen tat, das Wohnen eines heiligen Gottes
unter einem heiligen Volk. Diefe ganze Anfchauung hat
in unfern alten Quellen, wie V. behauptet, keinen Grund,
erft in der deuteronomiftifchen Literatur wird die Lade
zum Behälter der Gefetzestafeln; übrigens wird man der
Anfchauungen der alten Zeit über die Lade auch kaum
gerecht, wenn man fie das Symbol der Gegenwart
Gottes nennt. Und wie will V. mit unfern alten Quellen
über Mofe die Behauptung vereinigen, daß für Mofe die
Opfer etwas Indifferentes waren, Mofes nur in ähnlicher
Weife wie Luther pietätvoll gegen die Zeremonien feiner
Zeitgenoffen war, ja daß er feinem Volk in der Sinaizeit
im Namen Gottes gefagt hatte, daß diefer ihr Gott mit
dem Gehorfam des Willens, mit der Erfüllung der heiligen
Gebote verehrt fein wolle, und daß dem gegenüber und
ohne dies die Opfer keinen Wert haben? Wo gibt es
in unfern Quellen auch nur einen Schatten von Beweis für
diefe Behauptung? Glaubt V. in der Tat, daß wir ein
wiffenfchaftlich.es Recht [haben, in diefer Weife Mofe vom
Boden feiner Zeit loszulöfen? So hoch er auch feine Zeit
überragte, die Geftalten des Schlangenbefchwörers und
Errichters der Nechufchtan, des Magiers und Wundertäters
mit dem Zauberftabe zeigen, daß auch er in ge-
wiffem Sinn in feiner Frömmigkeit und religiöfen Anfchauung
in feiner Zeit wurzelte. Auch die fchwankende
Dekalogtradition hätte doch V. in Bezug auf derartige
Behauptungen zurückhaltender machen follen. Eine Andeutung
der hier vorliegenden Schwierigkeiten hätte auch
pädagogifch einen nicht zu unterfchätzenden Wert gehabt,
wie nicht minder eine fchärfere Heraushebung der Tatfache
, daß das religiöfe und kultifche Leben zweifellos
mit durch Elemente, die auf außerjahviftifchem Boden
erwachfen find, beeinflußt ift. Es fehlt zwar nicht an
zarten Andeutungen da und dort, aber es tritt nicht klar
und fcharf genug heraus, fo daß der unkundige Lefer
leicht darüber fortlieft, jedenfalls nicht zum Bewußtfein der
Tragweite diefer Erfcheinung kommt.

Doch Ref. will mit dem Verf. über derartige Dinge
nicht weiter rechten — es ließe fich noch manches z. B.
über die m. E. durch nichts gerechtfertigte Gruppierung
des Stoffes fagen — es könnte fonft leicht der Eindruck
erweckt werden, als wäre der Ref. fich nicht der ganzen
Schwierigkeit der Aufgabe gerade in diefem Falle bewußt,
und als fehle es ihm an Anerkennung und Dankbarkeit
für das Geleiftete. Das ift keineswegs der Fall. Der
Verf. wie der Calwer Verein verdienen unfern lebhaften
Dank, dem ich nur den Wunfeh hinzuzufügen hätte, daß
man auch im übrigen Deutfchland dasfelbe Maß von Ver-
ftändnis und Weitherzigkeit hätte, das uns in der hier
erkannten und im Ganzen erfreulich gelöften Aufgabe
entgegentritt.

Straßburg i/E. W. Nowack.

Deufren, Prof. Dr. Paul: Die Philolophie der Bibel. (XII,
304S.)8<>. Leipzig, F. A.Brockhaus 1913. Geb. M. 5.50

Nicht die etwaigen philofophifchen Elemente in der
Bibel herauszuftellen, fondern ganz eigentlich die in ihr
enthaltene Philofophie zu behandeln, ift die Meinung
diefes Buches. Da nun aber der tatfächliche Inhalt der
Bibel nicht Philofophie ift fondern Religion, ift das Re-
fultat der Bemühung: die biblifche Religion auf dem Pro-
kruftesbett der — refp. einer beftimmten Philofophie. Sind
wir wirklich noch nicht weiter in der philofophifchen Behandlung
der Religion?

Da Deuffen uns keine eindringende religionsphilofo-
phifche Analyfe der biblifchen Religion auf gefchichtlicher
Grundlage gibt, fondern lediglich eine — ftellenweife geradezu
naive — philofophifche Deutung und Kritik der biblifchen
Vorftellungen, hätte die Sache auf wenigen Seiten
erledigt werden können. Statt deffen haben wir ein Buch
von 288 Seiten. Das Meifte von diefen 288 Seiten hat
mit feiner Philofophie der Bibel herzlich wenig zu tun.
In der Kürze werden da die Dinge durchgefprochen, die
man in theologifchen Unterfuchungen zur alt- und neu-
teftamentlichen Einleitung, Gefchichte Israels, israelitifchen
Religionsgefchichte und altteftamentlichen Theologie, neu-
teftamentlichen Zeitgefchichte ufw. ausführlicher behandelt
findet. Auch das alte Ägypten wird auf etwa 20 Seiten
berückfichtigt, davon, 5 Seiten Überficht über die Ge-

: fchichte des Landes. Äußere Gefchichte der babylonifchen
und affyrifchen Reiche und Quellen zur Gefchichte der
babylonifch-affyrifchen Kultur nehmen etwa 7 Seiten in
Anfpruch. Ein ausführlicherer Abfchnitt handelt von der
Religion der Iranier, davon die knappe Hälfte von der
äußeren Gefchichte der iranifchen Stämme und von der
Sprache und Literatur der Iranier. Diefer Abfchnitt
fchiebt fich zwifchen ,Die Hebräer bis zum babylonifchen
Exil' und ,Die Religion des alten Judentums', da letztere
nach Deuffens Meinung das, was fie vom althebräifchen
Monotheismus vorteilhaft unterfcheidet, entfeheidenden
Einflüffen der iranifchen Religion verdankt. So teilt alfo
der Verf. in der Hauptmaffe des Buches in Kürze dem
Lefer mit, was er auf Grund feiner Befchäftigung mit
all' diefen Dingen fich über diefe mancherlei Fragen für
eine Meinung gebildet hat. Durch diefe Menge gefchicht-
lichen Stoffes gewinnt das Ganze einen hiftorifchen An-
ftrich. Es wird aber nicht wirklich vom gefchichtlich
Gegebenen aus in die Tiefe gearbeitet. Und daß die
Dinge keineswegs immer fo einfach entfehieden find, auch
davon erhält der fonft Uneingeweihte bei diefer Art Mit-

| teilung von ihnen natürlich keinen Eindruck. An all
(liefen Meinungen des Verfaffers Kritik zu üben, muß
Ref. den Fachleuten der betreffenden Forfchungsgebiete
überladen.

Von der ,Philofophie der Bibel' handelt ftreng genommen
nur eine geringe Anzahl von Abfchnitten des
ganzen Buches: Vorzüge und Mängel des althebräifchen
i Monotheismas (IV, 6), in ,Die Religion des Judentums'
1 Abfchnitt 3 und 4 über ,das böfe Prinzip neben dem
| guten' und ,die Unfterblichkeit der Seele', .Philofophifche
Elemente der Lehre Jefu' (VII, 5), .Philofophifche Elemente
in der Lehre des Apoftels Paulus' (VIII, 2) und dann der
I kurze Schlußabfchnitt .Kern und Schale des Chriftentums'.
Von welcher Art die Auseinanderfetzung über den
althebr. Monotheismus ift, das kennzeichnet am bellen
feine Bezeichnung als ,eine Hypothefe, welche unter
allen philofophifchen Theorien1, die je über Wefen
und Entftehung des Weltalls aufgeftellt worden find, die
verwegenfte und unmöglichfte ift' (S. 118). Der altjüdifche
Glaube an eine diesfeitige Vergeltung wird als .letzte Kon-
fequenz der theiftifchen Weltanfchauung' bezeichnet (S. 121).
Der Mythus vom Sündenfall wird als ,fehr achtbarer
Verfuch' anerkannt, ,von hebr. Boden aus die Entftehung

1) Die Sperrungen von mir.