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Ausgabe:

1916 Nr. 14

Spalte:

319-320

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Bittlinger, Ernst

Titel/Untertitel:

Monistisches Christentum. Gegen die Naturphilosophie des Professors Ostwald und den Kirchenaustritt 1916

Rezensent:

Titius, Arthur

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319

Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 14.

320

Bundesgenoffen des Chriftentums' umftempelt und vom
Atheismus der Zukunft ein Weltanfchauungsverbot erwartet
, bis er fchließlich dem Antichrift huldigen wird.
M.s Aneignungsfähigkeit in allen Ehren, fie zeigt ein erhebliches
Maß von geiftiger Freiheit und Unerfchrocken-
heit. Aber fein Umftempelungsverfahren übertrifft in
methodifcher Leichtfertigkeit faft noch das moniftifche
Denken. Ein Beifpiel: ,Die „Weltfeele" des Monismus ift,
klar erfaßt, von dem „persönlichen Gott" des Chriftentums
nicht mehr zu unterfcheiden'. ,Daß er zugleich der
Überweltliche ift, dem diefe Welt ihr, Dafein verdankt,
ift ein Plus, eine Zugabe des Chriftentums.' Ähnlich
wird er mit der Wunderfrage, mit dem Unfterblichkeits-
problem ufw. im Handumdrehen fertig. — Nicht ohne
Sympathie und doch mit berechtigter Schärfe bekämpft
Bittlinger16 Oftwalds Naturphilofophie und dema-
gogifche Kirchenfeindfchaft; feine Polemik halte ich,
wiewohl der Ausdruck mehrfach vorfichtiger gewählt fein
könnte, in einer Fülle von Einzelheiten wie auch im
Ganzen für recht glücklich. Faft garnicht, m. E. zu wenig,
folgt er O. auf das Gebiet der Naturphilofophie: „Alles
Falfche, alles Schiefe, alles Halbe, alles Unausgedachte
bei O., es liegt auf dem Gebiet des Empfindens,
des Wertens, der Kunft, alfo auf dem Gebiete der
inneren gegebenen Wirklichkeit, die neben der
äußeren Wirklichkeit das Objekt des Wiffens ift. O.s
Urteile über die Kunft im engern Sinne, über die
Gefchichte, über die Sprache, über die Religion
find verfehlt'. B.s Stärke liegt nicht fo in der fyfte-
matifchen Entwicklung, wie in der Kraft und Klarheit,
mit der er unmittelbar erfaßte Lebenswahrheit zum
Ausdruck bringt: Jede wiffenfchaftliche Wahrheit verhilft
dem Menfchen dazu, das Leben tiefer zu erfaffen
und darum auch tiefer zu erleben' (25). Lebenserfahrungen
machen, kontrollieren, weitergeben — und die
religiöfen Lebenserfahrungen find die tiefften, fchwierig-
ften — ift unendlich fchwerer als diefe Tätigkeit in
chemifchen und phyfikalifchen Erfahrungen' (36). ,In
Wahrheit ift der Glaube an den Wert des Lebens jedes
Menfchen letzte große fittliche Tat' ,Bejaht der Menfch
fich felbft, fo bejaht er zugleich die ganze Welt, foweit
er fie erfuhr, er bejaht die Menfchheitsgefchichte und
das menfchliche Wefen und den Allwillen' (51. 53). ,Die
Menfchheit braucht zu allererft als Grundlage der Kultur
eine möglichft umfaffende und möglichft in die Tiefe
gehende Gefinnungsgemeinfchaft; es läßt fich kaum
etwas Kulturwidrigeres denken als der Verfuch, die bisherigen
großen Volkserziehungsfaktoren, die Kirchen, zu
fchwächen, zu zerftören.' ,Welke Blätter fchütteln und
dürre Äfte brechen, macht wahrlich keinen Gärtner.
Eigenes pflanzen und dann betreuen, das zeigt, was
einer kann und was einer nicht kann' (80 f.). Diefen
Grundgedanken ftimme ich voll zu, während ich manchen
Theorien B.s gegenüber (z. B. feiner Identifizierung von
Kunft, Religion und Lebenswertung und feinem Determinismus
) Vorbehalte machen muß. Auf alle Fälle bleibt
beftehen: ,Das notwendige Sicherheitsgefühl des Menfchen
braucht noch ganz andere Gedankenbildungen, als
fie die exakte Wiffenfchaft gewährleiften kann' (55).

Grützmacher17 ftellt feft, daß Nietzfches auf den
Darwinismus begründete Moralanfchauung, abgefehen
von Reminiszenzen bei Horneffer innerhalb der monifti-
fchen Bewegung nicht rezipiert fei und daß der in diefer
herrfchende Sozialeudämonismus und Kulturevolutionismus
mit den moniftifchen Prämiffen im Grunde wenig zu
tun habe. Zwifchen der Auffaffung der Ethik als einer
Form oder Provinz der Naturwiffenfchaft und dem Be-
ftreben, den tatfächlichen fittlichen Problemen gerecht

16) Bittlinger, Pfr. Liz. Ernft: Moniftifches Chriftentum. Gegen
die Naturphilofophie des Profeffors Oftwald u. den Kirchenaustritt. (96 S.)
8°. Leipzig, M. Heinfras Nachf. 1914. M. 1.20

17) Grützmacher, Prof. Dr. R. H.: Moniftifcheu. chriftliche Ethik
im Kampf. (V, 68 S.) gr. 8°. Leipzig, A. Deichert Nachf. 1913. M. 1.20

zu werden, fchwanke die moniftifche Ethik unficher hin
und her, wie die divergierenden Äußerungen über Freiheit
, den Gegenfatz von gut und böfe ufw. erweifen.
Dagegen ließen fich die bekannten Einwendungen gegen
den tranfzendenten Charakter der chriftlichen Ethik, ihre
asketifch-peffimiftifche Art, ihre autoritative Begründung
u. dgl. leicht zurechtweifen. Im wefentlichen kann ich
dem zuftimmen; befonders möchte ich auf die eingehende
Kritik von Jodl (namentlich feine Synthefe von
Wohlfahrtsmoral und Evolutionismus 23 ff.) und von
Oftwalds energetifchem Imperativ (29 ff, 41 ff) aufmerk -
fam machen.

Wenigftens hingewiefen fei noch auf das umfaffende
Werk von Klimke18, das allerdings zu weit zurückliegt,
als daß eine Befprechung noch angezeigt wäre. Es enthält
eine umfaffende und fehr beachtenswerte Befprechung
der modernen Geiftesftrömungen. Neben den Ausführungen
über die ,materialiftifchen', beffer: naturaliftifchen
Syfteme (unter denen freilich feltfamerweife auch der
,Hylozoismus' eines Fechner, Paulfen, Wundt erfcheint!)
find Darfteilung und Kritik der vielfach verwandten Im-
manenzphilofophie, aber auch der Aktualitätstheorie und
des pfychologifchen Monismus von behenderem Intereffe.
Der Standpunkt des Verfaffers charakterifiert fich dadurch
, daß er den Monismus als methodologifches Prinzip
anerkennt (591), felbft dem formalen oder kritifchen
Materialismus als heuriftifchem Prinzip einen gewiffen
Spielraum zugefteht (67), wie er denn auch die natura-
liftifche Tendenz ,alle privaten und öffentlichen Verhält-
niffe mit vollerem Bewußtfein auf der Erkenntnis der
Natur und ihrer Gefetze aufzubauen und mit größerer
Konfequenz und Einheitlichkeit die Kulturarbeit an die
Arbeit der Natur anzuknüpfen' (256) als berechtigt gelten
läßt. Dagegen lehnt er mit Beftimmtheit den konftitu-
tiven Monismus in allen feinen Formen ab, auch in der
idealiftifch-fpiritualiftifchen im Unterfchiede vom Theismus
, der den Dingen ein eigenes reales Sein und Wirken
, zugleich aber Gott abfolutes Sein beilege (185 f.).

Göttingen. A. Titius.

18) Klimke, Friedrich, S. J.: Der Monismus uud feine philofo-
phifchen Grundlagen. Beiträge zu einer Kritik moderner Geiftesftrömungen.
(XXIII, 620 S.) gr. 8°. Freiburg i. B„ Herder. M. 12—; geb. M. 13.40

Richter, Pfr. G.: Der ezechielifcheTempel. Eine exegetifche
Studie über Ezechiel 40fr. (Beiträge zur Förderg. chriftl.
Theologie 16,2.) (91 S. m. 1 Tafel.) 8°. Gütersloh,
C. Bertelsmann. M. 1.80

Der Verfaffer gibt zunächft feine Überfetzung von
Ez. 40—42. 43, 13—17. 46, 19—47, L2 (S. 9—19) und dann
die Erläuterungen zu ihrer Begründung (S. 20—91). In
einer Einleitung fpricht er fich über einiges Grund-
fätzliche aus. Mit Recht weift er u. a. darauf hin, daß
man dem ungewöhnlich verdorbenen Texte anmerkt, wie
die Abfchreiber und Punktatoren oft felbft nicht ver-
ftanden haben, was fie abfehrieben und punktierten. Dagegen
möchte er abfichtliche Textänderungen nicht annehmen
, da folche Vertufchungen nur bei nebenfächlichen
Partien in Betracht kämen, während der Grundriß der
wichtigeren Baulichkeiten klar hervorträte. Für die Her-
ftellung des Textes fordert er neben der Benutzung der
Septuaginta mit Recht auch die freie Konjektur. Inwieweit
ein befriedigend ficherer Text erhofft werden kann,
darüber mag der einzelne Bearbeiter m. E. nach Lage
der Dinge verfchiedener Meinung fein, bis zu einem gewiffen
Grade fpielt felbft das Temperament dabei mit
herein. Mir fcheint wefentlich mehr unficher zu bleiben,
als Richter annimmt. Septuaginta läßt uns bei verzweifelten
Stellen ja vielfach ganz im Stich, und bei der Art des
Stoffes läßt fich mit Konjekturen verhältnismäßig fchwer
und oft gar keine Sicherheit gewinnen. Auch kommt man
nicht mit der Annahme unabfichtlicher Textänderungen