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Ausgabe:

1916 Nr. 14

Spalte:

317-318

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Maurenbrecher, Max

Titel/Untertitel:

Christentum oder Monismus? 1916

Rezensent:

Titius, Arthur

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Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 14.

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beleuchtet; der katholifche Standpunkt des Verfaflers
wird nur mit Zurückhaltung geltend gemacht. Befonders
intereffant ift V.s fpätere (1863) Ablehnung der Urzeugung
als unbewiefen (S. 39), die freie Stellung dem
Darwinismus gegenüber (53 ff.), die Annahme einer ur-
fprünglichen Verfchiedenheit der menfchlichen Raffen
(58 ff), insbefondere der Streit mit Rudolf Wagner
(72—91), aber auch die kraffe Freiheitsleugnung (93 ff.)
und die Proklamation der Revolution als Gefetz der
politifchen Entwicklung (100 ff.).

Einen Monismus, der fich von dem Häckel-Oftwald-
fchen fehr merklich unterfcheidet, vertritt, von .Nietzfche
und dem Sozialismus und früher vom Chriftentum herkommend
, Maurenbrecher10. Ihm ift das Chriftentum
,zu kindlich, zu leicht, zu troftreich', denn über das
Grauen vor der Wirklichkeit täufcht es hinweg in illusionärem
Vertrauen auf eine Liebe, das doch der Weltlauf
Lügen ftraft. Gewiß wächft auch der menfchliche
Wille aus dem Urquell des Werdens hervor, ,aber daneben
auch Sinnlofigkeit, nutzlofe Qual und Zerftörung'.
Es gilt daher einen neuen männlichen Lebensftil zu
Schaffen, der die Natur überwindet und die Welt erlöft.
Die hier vollzogene Überbietung des Naturalismus ift
gewiß zu begrüßen; aber foll fie nicht in leeren Titanentrotz
umfchlagen, fo muß fie fich mit Ehrfurcht und
Verantwortlichkeitsgefühl verbinden und in den Zufam-
menhang mit dem Göttlichen und Ewigen ftellen, wie das
in vortrefflicher Weife Arnold Meyer ausführt. In der
Tiefe erfaßt ift Chriftus männlicher und mächtiger als
Nietzfche.

Stickers11 vertritt fcharffinnig, aber nicht überall
durchfichtig und gefchmackvoll die Auffaffung, daß eine
vernunftgemäße Welterfaffung nur dem philofophifchen
Denken möglich fei, daß aber fehr verfchiedenartige
Löfungsverfuche des Weltproblems (die er klaffifiziert)
denkbar feien und darum vornehmlich gegenfeitige Toleranz
und klares Bewußtfein über die Voraussetzungen
des eigenen Standpunktes von nöten feien. Seinen be-
fonderen Zorn erregt es, daß auf dem Moniftenkongreß
zu Düffeldorf (1913) Häckel ,auch den idealiftifchen Monismus
Hartmanns und den konkreten Monismus von
Drews' in den allgemein über ,die großen Myfterien des
herrfchenden Glaubens' verhängten Bann eingefchloffen
habe, und fo fallen zahlreiche, z. T. gutfitzende Hiebe
wider Häckel, Oftwald und die Verwafchenheit (d. h.
angebliche Vorausfetzungslofigkeit) der ,Moniftik'. Nicht
.Monismus' müffe die Lofung lauten, fondern vielmehr
Kampf von allen Seiten .gegen das überaus anmaßende
konfervativ-konfeffionelle Autoritätsdogma'.

Drews12 will den .heute fo anfpruchsvoll fich gebärdenden
naturaliftifchen Monismus' zur Selbftbefin-
nung führen, indem er ihm die .Gefchichte der Weltanschauung
mit befonderer Berückfichtigung des Einheitsstrebens
unferes Denkens' als Spiegel vorhält. Ob dies
Ziel erreicht wird, Steht dahin, aber jedenfalls bat er eine
umfallende Darftellung der religiöfen und metaphyfifchen
Spekulation des Altertums von den Veden und dem Tao-
teking bis zum Abfchluß des Neuplatonismus zuftande gebracht
, die das lebendige Ringen mit den letzten Problemen
des Menfchengeiftes nach den ihm geläufigen Kategorien
des Hartmannfchen Denkens vorführt und beurteilt. Der
naive naturaliflifche Monismus wird auf dem Boden der
hellenifchen Religionen nie völlig überwunden, wohl aber
in der indifchen (Schon in den Brahmanas, vollends im
Buddhismus) und der jüdifchen Religion. Die philo-

10) Maurenbrecher, Dr. Max, u. Prof. Arnold Meyer: Chriftentum
od. Monismus? Diskuffion, geh. am 2. 2. 1914 in Zürich. (VIII,
54 S.) gr. 8°. Annaberg, Grafer (1915). M. 1.20

11) Stickers, J.: Moniftifchc Möglichkeiten. Hiickel, Oftwald u.
der Moniftenbund. (VIII, 80 S.1 8". Dresden, B, Sturm 1419. M.

12) Drews, Prof. Dr. Arthur: Gefchichte des Monismus im Altertum
. (Synthefis, V. Bd.) (XI, 429 s-) 8°- Heidelberg, C. Winter 1913-
M. 6 —; geb. M. 7 —

fophifche Spekulation führt in Indien und Hellas zunächst
zum .abstrakten' Monismus, d. h. einer Einheit, die auf
bloßer Abstraktion von der .Welt, ihrer Vielheit und Bestimmtheit
beruht (Deußens Überschätzung ilt darnach zu
korrigieren S. 81 ff.), bei Plato zu einem ideal-rationalen,
bei Biotin fogar zu einem konkret idealiftifchen Monismus
(Sofern hier die Ideenwelt ,als eine Vielheit inhaltsvoller
konkreter logifcher Gestalten und Funktionen' erscheint
, S. 397). Auch tritt hier ,der intelligible Charakter
der wahren Wirklichkeit und die Identität des eigenen
denkenden Subjekts mit deren objektivem Schöpfer' zutage
. Doch fehlt es ihm wie der Antike überhaupt an
der Synthefe der als notwendig erkannten Einheit mit
der Vielheit und Bestimmtheit der gegebenen Wirklichkeit
, fo daß Schließlich immer wieder Ideen- und
Sinnenwelt fich zu einem Selbständigen Einzelleben los-
! reißen und Sich dualiftifch gegenübertreten. — Auf Einzelheiten
einzugehen, wozu mancher Anlaß vorläge, muß
ich mir verfagen und hebe nur hervor, daß eine Studie
über die Stellung des Christentums zum Monismus einem
befondern Werke vorbehalten ift.

Zu den beften Auseinanderfetzungen zwifchen Monismus
und Protestantismus gehören Traubs13 Vorträge
über den M. als Weltanfchauung und Ethik, die die
Schwächen des M. aufzeigen, während in einem dritten
,unfer Glaube' charakterisiert und moniftifchen Einwendungen
gegenüber gerechtfertigt wird. Der moniftifchen
Überschätzung der Wiffenfchaft wird mit Vaihinger entgegengehalten
, daß alles Denken mit Begriffen arbeitet,
die nicht dem Wefen der Dinge, fondern dem menfchlichen
Erleben entstammen, und daß diefes auch auf anderem
Wege, dem der unmittelbaren Gewißheit, zu einem
Erkennen von Wahrheit führt; das gilt auch vom religiöfen
Erlebnis der Einheit mit dem Unendlichen. Auf
ethifchem Gebiet bedroht der rechnende Intellektualismus
die heroifche Hingabe an das Ideal und führt zu
neuem Dogmatismus, zu einer Gewaltherrfchaft der
Naturforfcher und Ärzte. An die Tiefen des Sittlichen
Problems, die Menschenwürde, die Selbstbestimmung des
Willens, die helfende Liebe reicht die ethifche Auffaffung
des Monismus überhaupt nicht heran. Jene innerfte Sittliche
Kraft des Geiftes und Gewiffens, die den Menfchen
befähigt, Herr der materiellen Kultur zu bleiben, ift das
entfcheidende Gotteserlebnis, und in ihm bleibt der Blick
der Zukunft, die Gott fchöpferifch heraufführt, zugewandt.
Alles Ruhen in Gott und in feiner Vergebung dient nur
dazu, den Willen zum Ideal zu Steigern und vor Ermattung
und Mutlofigkeit zu bewahren. Diefe wertvollen
Ausführungen werden leider im dritten Vortrag mit einer
Polemik gegen Kirche und kirchliche Tradition verbunden,
deren Schroffheit zwar aus Traubs perfönlichen Erleb-
niffen verständlich ift, aber doch weit über das Ziel
hinausfchießt.

Hans14 bietet eine vornehme aber blaffe Charakteristik
der Theorien des naturaliftifchen (Häckel-Oftwald)
und pantheiftifchen (Drews) Monismus und macht die Notwendigkeit
geltend, Immanenz und Transzendenz Gottes
zu verbinden; übrigens ift er bereit, einzuräumen, daß
,in Gottes Wirken neben dem, das in bewußt gewollter
Form gefchieht, ein Unbewußtes einhergehen' mag (20),
eine intereffante aber prekäre Bemerkung, die konfequent
durchdacht auf eine Theogonie in Sendlings Sinn führen
müßte. — Wie auch ein Streng bibelgläubiger Theolog
aus den Giftblumen des Monismus Honig Saugen kann,
zeigt uns Mumsfen 15, der den M. zu einem .unfreiwilligen

13) Traub, Lic. G.: Monismus u. Proteftnntismus. 3 Vorträge. Hrsg.
vom Hamburger Proteftantenverein. (63 S.) S°. Berlin, Prot. Schriften-
verein 1913. M. 1 —

14) Hans, Julius: Was ift Monismus? Vortrag, geh. am II, Februar
1913 in Börfenfaal in Augsburg. (24 S.) 8". Augsburg, Gebr.
Reichel 1913. M. —30

15) Mumsfen, Paft. Rudgar: Monismus und Chriftentum. Fine
neue Antwort auf e. alte Frage. (32 S.) kl. 8°. Hamburg, Agentur des

, Rauhen Haufes 1914. IL — 30