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Ausgabe:

1916 Nr. 12

Spalte:

282-283

Autor/Hrsg.:

Tschernowitz, Ch.

Titel/Untertitel:

Die Entstehung des Schulchan-Aruch. Beitrag zur Festlegg. der Halacha 1916

Rezensent:

Bischoff, Erich

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281 Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 12. 282

des religiöfen Gedankens) weift auf die unleugbare Differenzierung
der religiöfen Erregbarkeit, wie fie in der
verfchiedenen Einfehätzung der Natur und des Geiftes-
lebens wie des Lebensfchickfals hervortritt. Schon die
Univerfalität der Objekte, welche den religiöfen Gedankenprozeß
auslöfen, ergebe als das eigentlich Wefentliche
die religiöfe Deutung der Objekte, die religiöfe Intuition.
So wenig diefe Deutung der Welt das Wefen der Religion
erfchöpft (die auch emotionale und ethifche Beziehungen
hat), fo gewiß ift fie ftets Suchen und Finden eines verborgenen
Sinnes der Welt. In die allgemeine Geiftes- und
Religionsgefchichte führen Auffätze von L. v. Schroeder
(die Arier und ihre Eigenart) und Ludwig Deubner
(die älteften Prieftertümer der Römer). Der bekannte
Indologe weift darauf hin, wie im Unterfchied von andern
Völkern die Arier fingend und philofophierend auf den
Plan der Weltgefchichte treten, und demgemäß ein großer,
kühner, weitfehauender Idealismus den Grundzug ihres
Wefens bildet, womit fich kräftiger Wirklichkeitsfinn verbündet
, daher fie auch in befonderm Maße das Volk der
großen Perfönlichkeiten find. Außerordentlich intereffant
ift es, wie Deubner die altePriefterordnung: Rex, Flamines,
Pontifex Maximus mit den Veftalinnen als Abfenker des
Rex und der Regina verftändlich zu machen weiß. Ur-
fprünglich vereinigt der König alle politifchen und fakralen
Funktionen in feiner Perfon. Um feine Kraft für die
politifchen Gefchäfte freizumachen, werden die Flamines
(zuerft der Flamen Dialis mit einer Fülle höchft läftiger
Ritualvorfchriften) abgelöft. Zugleich aber ift das Königspaar
in der Regia Träger des häuslichen Kultus, des
Janus und der Vefta und an ihre Stelle treten Veftalin
(urfprünglich eine) und Rex Sacrorum, die in fymbolifcher
Ehe verbunden find, wie fpäter Veftalin und der (relativ
fpät erft zur Bedeutung gelangte) Pontifex Maximus.

Göttingen. Titius.

Zurhellen, Otto: Helden und Heilige des Proteftantismus.

Eine Gefchichte evangel. Frömmigkeit in religiöfen
Reden. Hrsg. v. Elfe Zurhellen-Pfleiderer. (III, 103 S.)
8°. Tübingen, J, C. B. Mohr 1915. Geb. M. 2.50

Hackmann, H.: Am Strande der Zeit. Dritte Sammig. ausgewählter
Predigten. (VII, 309 S.) 8°. Berlin, K.
Curtius 1915. M. 3.50

Eberle, Hofftifts-Kanon. Prof. Dr. Franz Xaver: Sonn-
und Felttagsklänge aus dem Kirchenjahr. Ein Jahrgang
Predigten. 2 Bde. (VIII, 396 und IV, 351 S.) 8<>.
Freiburg i. B., Herder 1915. M. 6.60; geb. M. 840

Ein ganz verfchiedener homiletifcher Geift waltet in
diefen Predigten, fowohl was den ganzen Gehalt, wie auch
was die Art der Darbietung angeht. Zurhellen fpricht
noch einmal in diefen Predigten, die er vor dem Abfchied
ins Feld feiner Frau empfohlen hatte herauszugeben.
Eingerahmt von zwei Reden, die die Bedeutung einer
folchen Predigtreihe an der notwendigen Mannigfaltigkeit
uud an dem religiöfen Wert der Gefchichte dartun follen,
tritt uns eine Galerie von Führern des Proteftantismus in
homiletifchen Einzelbildern entgegen. Luther, Calvin, Paul
Gerhardt, Terfteegen, Leffing, Schiller, Schleiermacher,
Wichern — werden gründlich in ihrer Eigenart gekennzeichnet
und bewertet, wobei das fachlifche Urteil fehr
ftark die Neigung zügelt, wie z. B. vor allem bei Calvin
und Gerhardt. Ruhig und gerecht wird ftets die von einem
jeden Helden vertretene typifche Seite am ev. Chriften-
tum hervorgehoben und empfohlen, fodaß in der Schlußpredigt
ein univerfales Bild vom dem durch die Gefchichte
bereicherten Chriftentum erfcheint. So find die Predigten
ein Triumph des fich überall in religiöfes Leben gerecht
einfühlenden und aus dogmatifcher Enge jeder Art heraus-
ftrebenden modernen Proteftantismus. Nimmt man das
fchlichte Gewand dazu, dann hat man ein Beifpiel der von

Sülze empfohlenen Gefchichtspredigt. Daß fie viel Nachahmer
finden werden, ift zu bezweifeln; einmal erfordern fie
mehr Arbeit als der Durchfchnittspfarrer auf feine Predigt
zu verwenden pflegt, und dann werden fie den meiften Gemeinden
mehr als Vorträge denn als Predigten vorkommen.
Aber wer freiere Bahnen in der Predigt einfchlagen will,
dem wird diefes Teftament Zurhellens von großem Werte
fein.

Wohl auch zum letzten Male fpricht Hackmann
in diefem feinem dritten Predigtband homiletifch zu uns.
Er trägt dasfelbe Gepräge wie die erften Bände: feine
Kanzelreden an eine kleine verftändnisvolle Gemeinde,
die ihrem geiftlichen Führer in feine eigenartigen tiefen
und nicht am Weg liegenden Gedanken folgt; „das Echo
des Lebens, die Gefällten, des Unfaßlichen Spur" — das
find keine abgetretenen homiletifchen Gemeinplätze, fondern
Gaben einer Seele, die fein und tief erlebt und fagen
kann, was fie erlebt. Denn H. ist Meifter der Ausdrucksmittel
, der Gedanken- und Bilderfpräche, der Zitate, be-
fonders der poetifchen, der gewandten Einführung von
perfönlichen Reifeerinnerungen und wiffenfehaftlichen Partien
. So gelingt es ihm fpielend, die geiftige Welt, Gott
und Jefus, das Ideal des Lebens in feinen feinen Ver-
äftelungen, ftill und zart der Seele des Hörers und Lefers
zu nähern, fo daß man erhoben und erwärmt von dem
das Heilige im Gewand des Schönen darbietenden Prediger
fcheidet.

Ganz anders ift Eberle. Hier bringt glänzend und
beraufchend üppige Kanzelrhetorik edelften Katholizismus
zum Ausdruck. Eine ftarke und wirkungskräftige Chriftus-
religion fteht im Mittelpunkt, die im Sinne des alten
Dogmas Chriftus zur Sonne der Welt und des Lebens
macht, die die Welt der Heiligen weit überftrahlt. Alle
katholifchen Einrichtungen und Gedanken erfcheinen im
hellen Licht diefer poetifchen Chriftusreligion, die die
Entfcheidung des Willens verlangt und das Leben im
Sinne von allem Guten verwandelt. Dabei fällt kein Wort
gegen den Proteftantismus, nur manches gegen den modernen
Geift des Individualismus und Materialismus. Oft fpricht in
nicht übel angelegten theologifchen Partien der zukünftige
Profeffor; man merkt ihn auch an der typifierenden Art
der Anrede und Anwendung, die einer Hörerfchaft und
zwar einer dankbaren Hörerfchaft, aber keiner Gemeinde
entfpricht. Ohne viel Rückficht auf die jeder Predigt
vorgedruckte Bibelftelle wird das Sonntagsevangelium
in kleinen freien Dispofitionen erfaßt und oft finnig alle-
gorifch ausgelegt; von unferm hiftorifch-kritifchen Schrift-
verftändnis ift E. nicht' befchwert. Aber diefe Sprache!
Der ganze Glanz und die Fülle der alten Rhetorik fteigt
im Barockftil vor uns auf; das ganze Schmuckwerk der
Fragen, der Zitate, der Bilder, der Imperative, der Anti-
thefen, der Superlative, der Ausrufe entfaltet feine Pracht:
,0 feiiges Erlöfungsblut, feiig beraufchender Wein der
Kreuzeskelter, erglänze in den vielen taufend Opferkelchen
unferer Altäre und gieß der Verzeihung Zauber über den
Erdkreis'. Wie fchlicht ift dagegen der moderne Predigt-
ftil von Zurhellen, ein Unterfchied wie zwifchen der Münchener
Kajetanskirche und dem Frankfurter Hauptbahnhof.

Heidelberg. F. Niebergall.

Referate.

Tlchernowitz, Dr. Ch.: Die Entftehung des Schulchan-Aruch. Beitrag
zur Festlegg. der Halacha. (III. 79 S.) gr. 8". Bern, Akad.
Buchh. v. M. Drechfel. 1915. M. 2.40

Gleiches Staunen erregt der Wagemut des Berner Verlages
wie die Kühnheit des in Laufanne fchreibenden (und vielleicht
dort graduierten?) Verfaffers, mit einem nach Form und Inhalt fo
liederlichen, an Urteil und elementarer Bildung fo unreifen, mit
der einfehlägigen neueren Literatur höchft mangelhaft bekannten
und faft regelmäßig um den Kern der Sache herumredenden Werke
an die Öffentlichkeit zu treten. Nahezu jedes der hebräifch-ara-
mäifchen Zitate wird zur typographifchen Kataltrophe (Weiß'
VHntn "in in, die nächft Grätz meiltbenutzte Quelle, wird z. B.