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Ausgabe:

1916 Nr. 12

Spalte:

279

Autor/Hrsg.:

Buchenau, Arthur

Titel/Untertitel:

Grundprobleme der Kritik der reinen Vernunft 1916

Rezensent:

Jordan, Bruno

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279

Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 12.

280

Ethik. (Wiffen u. Forfchen. Schriften zur Einführg. in 1
die Philofophie. 1. Bd.) (IX, 125 S.) 8°. Leipzig, F. j
Meiner 1913. M. 2—; geb. M. 2.60 j

Buchenau, Dr. Arth.: Grundprobleme der Kritik der reinen j
Vernunft. Zugleich e. Einführg. in den krit. Idealismus.
(Wiffen u. Forfchen. 3. Bd.) (VI, 194 S.) Ebd. 1914.

M. 3 —; geb. M. 3.60

Beide Werke find gedacht als Einführung in Kants
Ethik und Erkenntnistheorie, insbefondere in die Gedankengänge
der ,Grundlegung zur Metaphyfik der Sitten' und
der ,Kritiken'. Gleichzeitig wollen fie in die Probleme
der kritifchen Ethik und des kritifchen Idealismus überhaupt
einführen. Das Hiftorifche fteht alfo im Dienfte des
Syftematifchen. Die Darfteilung will allgemeinverftänd-
lich und doch wiffenfchaftlich fein. Pädagogifche Erfahrungen
bei Vorlefungen an der Volkshochfchule und am
Berliner Lehrerverein find nutzbar gemacht. Die Interpretation
des Kritizismus ift orientiert an den Grundüberzeugungen
der Marburger. Beide Werke Hellen Anforderungen
an das Nachdenken und Überdenken des Lefers,
fie verlangen ein energifches Durchdenken der Probleme,
fie erfordern außerdem gebieterifch die Ergänzung und
Vertiefung des Gelefenen durch eine gut vorbereitete
Lektüre der Werke Kants. Aus allen diefen Gründen halte
ich beide Einführungen für vortrefflich geeignet und me-
thodifch muftergültig, wenn ich auch gegen die Interpretation
im Ganzen und in Einzelheiten Bedenken habe.
Ein befonderer Vorzug ift der Verfuch, durch breite Erläuterungen
der Termini und Begriffe die Probleme klärend
vorzubereiten. Es ift auch pädagogifch richtig, daß eine
gradlinige Entwicklung der Probleme und ein einheitlich
zufammenhängender Aufbau des Ganzen verfucht wird;
aber es hätte doch auf die inneren Verwicklungen und
Problemverfchlingungen, auf die außerordentlich verkap-
felte und verfchachtelte Schichtung der Gedankenreihen
hingewiefen werden müffen. Es hätten dann freilich viele
Einzelheiten fehlen können. Aber mir fcheint, man follte
an den entfcheidenden Stellen noch mehr in die Tiefe
dringen und Gedanken, die nur mehr oder überwiegend
hiftorifch.es Intereffe haben, in folchen ,Einführungen' beifeite
laffen. Es liegt nicht nur die Gefahr nahe, daß
wir einen Wolfianismus in neuer Geftalt erleben, der
Lefer fieht fich vor allem einer übergroßen Fülle von
Gedankenentwicklungen gegenüber, die er fchwerlich bewältigen
kann und die er vor allem nicht auf die entfcheidenden
grundlegenden Problemftrukturen zurückzuführen
vermag. Der andern Gefahr, einen ,Marburger'
Kant darzuftellen, ift der kundige und vorfichtige Verfaffer
meift glücklich entgangen. Doch ift der logifche Idealismus
natürlich überall der richtunggebende Standort.
Während der erfte Band ein Regifter enthält, das nach
dem Mufter der Kritik-Ausgabe Valentiners auszubauen
wäre, fehlt dem andern Band leider ein Regifter völlig.

Bremen. Bruno Jordan.

Vorträge über wiffenlchaftliche und kulturelle Probleme der
Gegenwart, aus dem Fortbildungskurfus der baltifchen
literarifchen Gefellfchaft im J. 1913, v. A. Harnack,
L. v. Schroeder, L. Deubner, E. Troeltfch, K.
Girgenfohn, A. Fifcher, B. Harms, H. Raufch v.
Traubenberg, A. v.Antropoff. (IX, 173 S.) Lex.-8°.
Riga, W. Mellin & Co. 1913. M. 6.60

Die Vorträge, durch das gemeinfame Streben nach
einer Gefamtanfchauung des geiftigen Lebens der Gegenwart
zufammengehalten, bringen fehr Verfchiedenartiges
und doch überall Eigenartiges und Wertvolles. Am fernften
liegt dem Interelfenkreife unfers Blattes der an fich lehrreiche
Verfuch von B. Harms (,Volkswirtfchaft und Welt-
wirtfchaft') einer genauen Begriffsbeftimmung der ,Welt-

wirtfchaft' und ihres Verhältniffes zur ,Volkswirtfchaft'.
Raufch v. Traubenberg-Göttingen (der heutige Stand
unfrer phyfikalifchen Grundanfchauungen und ihre Stellung
zur Erkenntnistheorie) führt in die Abgründe der neueften
phyfikalifchen Theorien fiRelativitäts'theorie) hinein und
fieht in der unleugbaren Erfchütterung der ,mechanifchen
Anfchauungsweife', die heute ftattfindet, eine gleichzeitige
Bedrohung des aprioriftifchen (Kantifchen) Standpunktes.
Leider find feine Ausführungen für ein fo heikles Thema
allzu aphoriftifch. Über die ,chemifchen Elemente im
Lichte alter und neuer Forfchung' handelt v. Antropoff-
Riga und ftellt das ,periodifche Syftem' der chemifchen
Elemente, namentlich aber die Radioaktivität und die mit
ihr neu anhebende Spekulation über den Bau der Materie
lichtvoll und gemeinverftändlich dar. ,Die Lage der
höheren Schule in der Gegenwart und ihre Zukunft' erörtert
A. Fifcher-München in anregender Weife: Nicht als
Fachfchule zur Vorbereitung auf die wiffenfchaftlichen
und künftlerifchen Berufe, auch nicht als Begabungsfchule
zur Förderung einer Elite der hohen Spezialtalente, fondern
als Erziehungsfchule zur Einführung und Einfühlung
in die Werte der Kultur müffe die höhere Schule organi-
fiert werden. Das Gymnafium will diefe Erziehung durch
die langjährige, planmäßig konzentrierte Befchäftigung
der reifenden Jugend mit einer klaffifchen Kultur erreichen.
Der Weg ift damit richtig vorgezeichnet; nur muß es
nicht notwendig die hellenifche, es kann ebenfo gut, ja
beffer die ,deutfche Kultur der klaffifchen Zeit' fein. Sehr
einleuchtend, nur fürchte ich, daß die geiftige Produktivität
hier nicht im gleichen Maße freigelaffen würde
wie bei der Einführung in die uns fremde und doch fo
originale hellenifche Kulturwelt, v. Harnack hielt den einleitenden
Vortrag ,über wiffenfchaftliche Erkenntnis'. Er
unterfcheidet vier Stufen der Wiffenfchaft: die unterfte be-
fteht im Feftftellen, Analyfieren und Ordnen, die zweite ift
Erkenntnis des kaufalen Zufammenhanges der Dinge; fie
gibt fich oft als das Ganze; aber diefe Anmaßung fcheitert
an den Tatfachen der Jndividuation' und des .Lebens'.
Dies zu ftudieren in der Abrundung feiner Formen und
Exiftenzen, in ihrer Wechfelwirkung und ihrer auffteigen-
den Ordnung und fo die lebendige Welt in ihrer konkreten
Wirklichkeit kennen zu lernen, ift die dritte Stufe
der Erkenntnis. Die letzte ift die Erkenntnis des menfch-
lichen Geiftes mit feinen Normen und Werten und damit der
Gefchichte. Ziel der Erkenntnis ift hier, ,daß Evidenzen
entliehen in Bezug auf die Kräfte und die Richtungen'
und fo das Reich des Geiftes und der Freiheit fich ent-
fchleiert. Darüber hinaus ergibt fich noch die Aufgabe,
das Ganze in feiner Totalität zu erforfchen. Aber hier
vermag Philofophie über Analogien und Ahnungen kaum
hinauszukommen, die oft mehr eine moralifche als eine
intellektuelle Überzeugungskraft befitzen. Troeltfch will
begreiflich machen, wie ,die Reftaurationsepoche am Anfang
des 19. Jahrhunderts' das .große Jahrhundert', das
Zeitalter des .ideologifchen Individualismus' ablöfen konnte.
Von feiner ohnehin fchon äußerft gedrängten Überficht
über die treibenden Kräfte hier noch einen Auszug zu
verfuchen, hätte wenig Wert und ift kaum möglich. Das
Entfcheidende und innerlich Berechtigte war das Bedürfnis,
dem radikalen Individualismus gegenüber zu einer neuen
univerfellen Idee zu gelangen, die fich bald national (Steins
Staatsgedanke) bald kirchlich-konfeffionell färbte. Der
Schelling-Hegelfchen Gefellfchaftsidee, die in Staat und
Gefellfchaft die finnlich-endliche Offenbarung des Geiftes
erkennen lehrte, trat die Comte'fche naturaliftifche Soziologie
zur Seite. Den Hauptgewinn aus der Reftauration
hatte das kirchliche Chriftentum, deffen Exiftenz heute
,das fchwierigfte und gefährlichfte Kulturproblem* ftellt.
Heute, wo wir die Wahrheit und Macht der organifierten
Gefellfchaft in ungeahnter Weife erleben, würde Tr. felbft
vermutlich manches in feinem Vortrag in andre Beleuchtung
ftellen, vielleicht auch den Wert der Konfeffions1
kirchen. K. Girgenfohn.(Zur differentiellen Pfychologie