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Ausgabe:

1916 Nr. 1

Spalte:

260-261

Autor/Hrsg.:

Hilling, Nikolaus (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Quellensammlung für das geltende Kirchenrecht, insbesondere zum Gebrauche bei akademischen Seminarübungen 1916

Rezensent:

Sehling, Emil

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259

Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. I i.

260

Verftandes und unabhängig von ihm gegeben fein. Mit
diefer phänomenologifchen Vorausfetzung ift eine zweite
realiftifche gegeben: der Erfcheinung muß etwas entsprechen
, ,ein von der Sinnlichkeit unabhängiger Gegen-
ftand'. (Ding an fich felbft; ,kaufale' Entfprechung'.) Die
rationaliftifch-metaphyfifche Vorausfetzung nimmt in der
ratio Erkenntnisbedingungen a priori an, die das Seiende
in fich abbilden (Denken: Erkennen): ,Es ift ein Dogmatismus
des reinen Denkens, der Kants Kritizismus des Erkennens
zugrunde liegt'. Die logifche Vorausfetzung behauptet
die geftaltende Kraft der Urteilsfunktion des
Verftandes auch für die Synthefis. Die methodologifche
endlich bezieht fich auf die transzendentale Methode.

Die Kritik Erdmanns erfolgt im wefentlichen vom
Standpunkte und mit den Mitteln feiner Pfychologie. Wer
wie ich der Überzeugung ift, daß Kritizismus und Pfychologie
nicht dasfelbe ,Objekt' zum Gegenftand ihrer Unter-
fuchungen machen, wird diefe Kritik a limine ablehnen
muffen. Für Erdmann ift, wie er felber ausführt, Vorausfetzung
feiner Kritik, daß die apriorifchen Bedingungen
möglicher Erfahrung fehr wohl aus der Erfahrung abzuleiten
feien, weil fie eben nicht fchlechterdings unabhängig
von jeder (pfychologifchen) Erfahrung entfpringen (siel)
und gültig find. Die Anwendung der finnespfychologifchen
Analyfe, die Umbildung der Spontaneität zur Reaktivität,
(die Vorausfetzung einer unabhängigen Wirklichkeit), die
Überfetzung des Transzendentalen ins Pfychologifche, die
möglichft experimentell geftützte Selbftbeobachtung als
unverrückbarer Ausgangspunkt der Unterfuchung mit einer
nachträglichen Synthefe der anfteigenden Verwicklungen,
der Gedanke einer Entwicklung der uns eigenen feelifchen
Funktionen und Inhalte(l) aus weniger differenzierten Funktionen
und Inhalten der Tierwelt, kurz die Idee eines
biologifchen Evolutionismus, der felbft über Art, Zahl,
Funktion von Kategorien, Ideen, über Apperzeption ufw.
aufklären foll, alles das find Einzelheiten der Erdmannfchen
Kritik, die Kants Kritizismus letzten Endes garnicht
treffen, weil fie das Wefen der transzendentalen Methode
verkennen. Schon die oben erwähnten hiftorifch-fach-
lichen Vorausfetzungen zeigen, daß Erdmann Kants Kritizismus
,dogmatifch' interpretiert; denn diefe Vorausfetzungen
nehmen an, daß Kant (mit einer Vertaufchung
der Objekte!) eine Erkenntnis der pfychifchen Vorgänge
des Erkennens gelehrt habe.

Ebenfo erledigt fich der Vorwurf gegen die dogma-
tifche Annahme einer Grenzenlofigkeit des Denkens, durch
den Hinweis darauf, daß das ,Denken' in Kants Kritizismus
keine pfychologifche Rolle fpielt. Seltfam berührt
die Polemik gegen die intellegible Eigenart der Vernunft
z. B. im Hinblick auf das Sittengefetz, als ob deffen un- j
verbrüchlich bindender Charakter aus der tatfächlichen ;
pfychologifchen Natur erklärt werden könnte. In der
Wendung gegen die Lehre von dem mundus intelligibilis,
insbefondere in der Behauptung, daß die Annahme von
Milieuwirkungen auf die differenzierten Funktionen notwendig
fei, zeigt fich befonders deutlich der Grundirrtum
diefer ,pfychologifchen' Kritik. Der Entwicklungsgedanke
gilt nicht einmal für die ,fpeziellen' Funktionen (gefchweige
denn für die .allgemeinen', auf die es Kant allein ankommt
) fondern nur für die pfychifchen Vorgänge, in
denen fich die .Gefetze' .manifeftieren'; nicht für die ein- I
zelnen Vorgänge felber, fondern für das in ihnen, was fie zu j
einem pfychifchen Vorgang macht. Hier und nur hier hat die !
entwicklungsgefchichtlicheBetrachtungGefetzefeftzuftellen. I
Kants Kritizismus aber wird von ihr garnicht getroffen, j
Der hiftorifche Teil verdient einen Ausbau und eine (
quellenmäßige Prüfung feiner Grundlagen. ' Er ift auch I
methodifch anregend. Der kritifche Teil enthält in ge- j
drungener Kürze einige der Haupteinwände pfychologifcher i
Interpretation gegen Kants Kritizismus. Er verlangt eine
gründliche, allfeitige Widerlegung, zu der hier nur eine 1
Ichwache Andeutung gegeben werden konnte.

Bremen. _ Bruno Jordan.

Alt haus, Lic. Paul: Der Friedhof unferer Väter. Ein Gang
durch die Sterbe- und Ewigkeitslieder der evangel.
Kirche. (94 S.) kl. 8°. Gütersloh, C. Bertelsmann 1915.

M. 1.20

Die kleine Schrift ift die Umarbeitung und Erweiterung
von Auffätzen, die in der Allg. Ev.-luth. Kirchenzeitung
1913 erfchienen find. Sie will nichts anderes fein
als ein Führer durch befonders wertvolle Teile unferes
Gefangbuches. Berückfichtigt wird faft ausfchließlich das
Sterbe- und Ewigkeitslied der lutherifchen Kirche des
16./17. Jahrhunderts, inbefondere das des dreißigjährigen
Krieges, als deren befonderes Charisma jene Liedergattung
(mit Recht) angefehen wird. Nur ftellenweife werden
die Linien nach rückwärts und vorwärts ausgezogen. Die
Würdigung der Lieder nimmt in erfter Linie die in ihnen
zum Ausdruck kommenden frommen Gedanken in Betracht
; daneben geht fie aber auch auf ihre fpezififch
dichterifchen, öfters auch auf ihre mufikalifchen Vorzüge
ein. Kritik an der einfeitigen Richtung der Liedgedanken
auf das feiige Jenfeits im Gegenfatz zum irdifchen Jammertal
fehlt nicht ganz, doch tritt fie hinter der Betonung
ihrer Vorzüge (der Kunft feiigen Sterbens) im Gegenfatz
zur modernen Diesfeitsfrömmigkeit abfichtlich ftark zurück.
Die Zufammenhänge mit der mittelalterlichen Stimmung
werden da und dort angedeutet, aber mit Zurückhaltung. —
Ich glaube, daß fowohl die Wertung der einzelnen Lieder
wie der Einblick in die durch das Ganze hindurch zu
verfolgende Gedankenentwicklung erheblich gewonnen
hätte, wenn A. rein chronologifch vorgegangen wäre, ftatt
nach den Rubriken: Begräbnislied, Lied von der Vergänglichkeit
, Gebet um ein feiiges Ende, das Lied vom
Heimgang, das Lied von der Ewigkeit, der jüngfte Tag
einzuteilen. Derartige Rubriken, a potiori des Inhalts benannt
, find für den Benutzer des Gefangbuchs nötig und
nützlich — bei einer Arbeit wie der vorliegenden nötigen
fie zur Zerreißung vieler der beften und fchönften Lieder,
und auch die Willkür in der Verteilung der Gedanken
auf die einzelnen Rubriken (viele WiederholungenH kann
nicht vermieden werden. So erhält man vom Ganzen
keinen einheitlichen, gefchloffenen Eindruck, während man
die warm und fromm empfundenen, geift-, gemüt- und
gefchmackvollen Ausführungen im einzelnen gern auf fich
wirken läßt. Was dem hymnologifch nicht gefchulten
Lefer die knapp hingeworfene Bemerkung, J. H. Schein
fei eines der 3 großen S, fagen foll, ift nicht erfindlich.

Halle a. S. K. Eger.

Quellenlammlung für das geltende Kirchenrecht, insbefondere
zum Gebrauche bei akadem. Seminarübgn., hrsg. v. Prof.
Dr. Nik. Hilling. 8». Bonn, P. Hanftein 1915. je M. — 80

1. Heft. Hilling, Prof. Dr. Nik.: Die Erlaffe des Papftes
Pius X. üb. den Priefterberuf u. die Standespflichten u. Standesrechte
der Geiftlichen. (56 S.) — 2. Heft. Hilling, Prof. D. Nik.: Das
fummarifche Prozeßverfahren in Disziplinar- u. Straffachen der Geiftlichen
u. die Amtsenthebung der Pfarrer im Verwaltungswege. (50 S.)
— 3. Heft. Hilling, Prof. Dr. Nik.: Die kanonifche Form der Ver-
löbniffe u. der Ehefchließung. (51 S.)

Unter diefem Titel beabfichtigt der verdienftvolle
Herausgeber des Archives für katholifch.es Kirchenrecht
eine Quellenfammlung für das geltende Kirchenrecht, vor
allem der wichtigften Gefetze aus der jüngften Reform-
und Kodifikations-Periode Pius X. in einzelnen, felbftän-
digen Heften erfcheinen zu laffen.

Zur Zeit liegen drei folcher Hefte vor. Das erfte umfaßt
die Erlaffe über den Priefterberuf und die Standespflichten
und Standesrechte der Geiftlichen, ein Thema,
welches für das Studium katholifcher Theologen von be-
fonderem Werte ift und daher mit Recht verdiente, an die
Spitze geftellt zu werden; diefes Heft bringt 12 Stücke, als
letztes das Motu proprio ,Quantavis diligentia' über die
Standesgerichtsbarkeit.