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Ausgabe:

1916 Nr. 1

Spalte:

257-258

Autor/Hrsg.:

Steinmann, Theophil

Titel/Untertitel:

Die Frage nach Gott. Gesammelte Aufsätze 1916

Rezensent:

Thieme, Karl

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Seite 1

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257

Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. Ii;

253

die Stelle der Schöpfung, an der fie in der Arbeit ift. Und
zwar nicht in feinem Verftehen, Wiffen und Erfinden,
fondern in feinem Wollen, Fühlen und wirklichen Leben',
S. 94, oder: ,In der Religion fteht der Menfch grundfätz-
lich auf der wirkenden, den Stoff bearbeitenden Seite'
S. 102, in denen etwa die Quinteffenz des Buches zum
Ausdruck kommt, find doch recht einfeitig. Damit hängt es
dann wohl zufammen, daß B. felbft fich, wie es fcheint,
ein wenig zu fehr in der Rolle eines Schöpfers gefällt.
So wird er um der Religion der Zukunft willen ungerecht,
nicht fo fehr gegen die Religion der Vergangenheit —
macht er doch z. B. über die Askefe des alten Chriften-
tums fehr feinfinnige und verftändnisvolle Bemerkungen
— wie gegen die Religion der Gegenwart. Denn das von
ihr gezeichnete Bild dürfte von den Vertretern des Chri-
ftentums der Gegenwart aller Richtungen als Zerrbild
empfunden werden. Trotzdem legt man auch diefes Buch
nicht ohne Dank aus der Hand und vielleicht mit dem
Gefühl, trotz allen Widerfpruchs im Einzelnen im tiefften
Grunde mit ihm eins zu fein.

Iburg. Thimme.

Steinmann, D. Th.: Die Frage nach Gott. Gefammelte Auf-
fätze. (VIII, 314 S.) gr. 8°. Tübingen, J. C. B. Mohr
1915. M. 6—; geb. M. 7.50

Von deu zehn Stücken diefer dankenswerten Sammlung find nur
drei kürzere neu. Die fchou früher veröffentlichten Abhandlungen und
Artikel, von denen mehrere wohl bei allen Syftematikern als bedeutend
gelten, liegen hier teils nur mit geringen Änderungen teils in ftärkeren
Umarbeitungen vor. Ihre Überfchriften find: .Begriff und gefchichtliches
Wefen des religiöfen Theismus'; ,Das volle Bewußtfein der Wirklichkeit
Gottes für unfere Zeit' (60S.I; ,Die lebendige Perföulichkeit Gottes als
religiöfes Erlebnis' (65 S.); .Gottes Immanenz und Transzendenz'; ,Der
chriffliche Vorfehungsglaube und das moderne Weltbild'; ,Naturgefetz,
Gott und Freiheit. Eine Studie zum Problem des Determinismus und
Indeterminismus' (54 S.); .Wunderglaube, Vorfehung und Welterkenntnis.
Zur Auseiuanderfetzung mit Jon. Wendland'.

Die neuen Auffätze find: ,Gott als Perfönlichkeit und
als abfolute Potenz'; ,Zur Auseinanderfetzung mit P. Mezger
und Th. Haering' und ,Zur Auseinanderfetzung mit Th.
Kaftan'. Kaftan fühlte fich darauf,als Vertreter der offenbarungsgläubigen
Theologie' zu der Abhandlung in der
.Neuen kirchl. Zeitfchrift' (1915, 169—199) verpflichtet ,Der
Gott der Propheten und der Gott der Philofophen'. Sie
beftimmte Steinmann, ebenda S. 458—486 über .Theologie
und Gottesglaube' eine Darftellung zu geben, die für das
Verftändnis feiner Theologie wichtig ift. Daß er fich auch
hier als Philofoph verrate, dabei bleibt Kaftan (ebenda
1916, 140).

Offenbarungsglaube und Philofophie, der Gott des
Propheten aus Nazareth, ,in dem Gott uns fuchen kam'
(Steinmann), und der Gott der Philofophen des Geiftes-
lebens — wenn Steinmanns Dogmatik das Problem ihrer
glaubenswiffenfchaftlichen Synthefe zu löfen verflucht, fo
darf man das Offenbarungsgläubige an der feinigen nicht
verkennen. Allerdings entnimmt St. den Gottesglauben
nicht wunderbaren äußeren Heilsereigniffen. Gottesoffenbarungen
find ihm geiftesgefchichtliche Fakta, deren
Konzentrationspunkt die Innerlichkeit Jefu ift. ,Das ift
gar nicht zweierlei: Entwicklung der Religion und Gottesoffenbarung
, fondern es ift ein und dasfelbe' (S.67). Dabei
ift St. ein religionshiftorifcher Dogmatiker, der das Außer-
chriftliche berückfichtigt .lediglich zum Zweck genauerer
Erfaffung gerade des Befonderen der chriftlichen Überzeugungsgewißheiten
' (NkZ 1915, 47 0- Daß Steinmanns
Synthefe den Glauben ausfchließen muß, in den .tieferen
Verborgenheiten des geiftesgefchichtlichen Zufammen-
hanges' (S. 152) fei Gottes Offenbarungswirken zu befon-
derem Wirken von Einzelfakta angefchwollen, habe zu-
höchft Jefu Innerlichkeit .wunderbar' gewirkt, fehe ich
ebenfowenig ein, wie ob fich ihm das Problem Jefus und
das Bittgebet' — über diefes Gebet disputiert er mit
Mezger und Haering — befriedigend löft. Aber in feiner
letzten Darftellung in der NkZ tritt deutlich heraus, daß

fein .konfequenter Monotheismus', fein rückfichtslofes
Dringen auf Gottes reftlofe Allverurfachung verankert ift
in fpezififch chriftlichen, an Jefus erlebten Überzeugungsgewißheiten
. Jene paulinifch-auguftinifche Paradoxie, die
die Konkordienformel (XI, 7. 62) wie Thomas (z. B. sec.
sec. Summae theol. qu. 161, art. 3) mit dem Hofeaworte
,Daß du verdirbft, die Schuld ift dein; aber dein Heil
fteht allein bei mir' ausdrückte, gilt ihm als der befte
Anfatzpunkt unfrer theologifchen Begriffsbildung über
Gottes Beziehung zur Welt im allgemeinen und fein Walten
in ihr. ,Gerade hier eröffnet fich uns das eigentümliche
Intxuva des chriftlichen Theismus' (S. 480).

Ich wüßte kaum eine beffere Schule des Sichverftehens
auf das Jenfeits maffiver Dogmen und Theologumena als
Steinmanns Buch. Es übt im richtigen theologifchen
Agnoftizismus, in der kritifchen Einficht, daß kein Men-
fchengeift erkennen kann, wie Gott es eigentlich macht, zu
fein, was Er wirklich ift. Es vertritt meifterlich die Dogmatik
als eine IVoblemwiffenfchaft, die den Gott der Philofophen
fich nicht vom Leibe hält, als ob er nicht förderlich
wäre wie für den Gottesbegriff fo fogar für den Gottesglauben
. Denn gerade ,die Wiffenfchaft, recht benützt,
macht Gott größer in unfern Augen, indem uns lein weltwaltendes
Wefen erfichtlich über unfer menfchliches und
fehr endliches Faffungsvermögen hinauswächft' (S. 260/1).

Leipzig. K. Thieme.

Erdmann, Benno: Kritik der Problemlage in Kants transzendentaler
Deduktion der Kategorien. (Sitzungsberichte
derKönigLPreuß.Akad. d. Wiff. Philof.-hiftor. Kl. 1915,
XI.) (S. 190—219.) Lex. 8°. Berlin, G. Reimer. M. 1 —

Diefe Unterfuchungen wollen nach Abficht des Ver-
faffers .lediglich den gefchichtlichen Tatbeftand und Ent-
wicklungszufammenhang philofophifcher Lehren feftftellen';
fie wollen .gegenüber der moderniiierenden philofophifcheh
Gefchichtsforfchung Kant zurückgeben, was ihm gehört';
,fie wollen nicht die Fragen beantworten, was uns Kant
fein kann, oder was er uns nicht fein foll, fondern verdeutlichen
helfen, was Kant war und was wir find'.

In dem erften hiftorifchen Teil erwähnt der Verfaffer
zunächft die vier Redaktionen des Grundproblemes der
Kritik der reinen Vernunft, der von Kant fogenannten
Deduktion der Kategorien: 1. die urfprüngliche Auflage
der Kr. d. r. V. mitfamt ergänzenden Nachlaßnotizen
wohl aus der Zeit bald nach dem 20. Januar 1780. 2. die
Prolegomenen 3. die Anmerkung zur Vorrede der metaphy-
fifchen Anfangsgründe der Naturwiffenfchaft 4. die zweite
Auflage der Kr. d. r. V. Er weift fodann hin auf die
beiden verfchiedenen Grundriffe, auf denen fich die
Architektonik des Hauptwerkes erhebt. In dem erften,
fynthetifch konftruierten Grundriß bildet die transzendentale
Deduktion den Mittelpunkt der transzendentalen
Analytik und damit der transzendentalen Logik überhaupt.
Im zweiten, analytifch orientierten Grundriß bleibt die
zentrale Bedeutung der transzendentalen Deduktion infofern
verfteckt, als das Problem der Analytik den Problemen
der Afthetik und Dialektik koordiniert ift. Weder auf die
Verfchiedenheiten der vier Redaktionen noch auf die Unklarheit
, die durch die zuletzt erwähnte Doppelanlage
gefchaffen wird, geht Erdmann mit Abficht genauer ein.

Das Problem der transzendentalen Deduktion hängt
ausfchließlich an den Kategorien, deren Problem in ftatu
nascendi wir aus der Frageftellung des Briefes an Marcus
Herz vom Februar 1772 kennen.

,Das tiefere hiftorifche Verftändnis des Gedanken-
zufammenhanges der transzendentalen Deduktion hängt
an der Einficht in die Vorausfetzungen, die ihm zugrunde
liegen.'

Erdmann fucht folgende Vorausfetzungen des Kritizismus
zu erweifen: Das Mannigfaltige der Sinnlichkeit muß
als unverbundenes Mannigfaltige vor der Synthefis des