Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1916 Nr. 11

Spalte:

251-253

Autor/Hrsg.:

Scheel, Otto

Titel/Untertitel:

Martin Luther. Vom Katholizismus zur Reformation. 1. Bd.: Auf der Schule und Universität 1916

Rezensent:

Kawerau, Gustav

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

251

Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. II.

252

fpiegeln, an lehrreichen Beifpielen. Preuß geheimnift für
mein Gefühl zu viel in Dürers Kunft hinein, um .Lutherifches'
in ihr feftzuftellen. Ift es fchon ein fehr unficherer Boden,
die ,fromme Stimmung, die Dürers religiöfes Werk durchzieht
', auf Verwandtfchaft oder Identität mit der Luthers
zu prüfen, fo ift die Einzeldeutung ganz gekünftelt (z. B.
das Fehlen des Heiligenfcheines auf den Apoftelbildern
zur Urftandslehre — Fehlen des donum superadditum —
in Beziehung zu fetzen.)

Den Befchluß macht Mirbt mit einem Beitrag zur
Miffionsgefchichte. In fehr intereffanten Ausführungen
wird das Problem: Chriftentum und Eingeborenenrecht
erläutert. Während die deutfche Kolonialpolitik einerfeits
das Beftehende möglichft zu erhalten fucht, andrerfeits
Alles befeitigt, was fich mit den zivilifatorifchen Zielen
nicht verträgt, muß das Chriftentum Volksfitten, die mit
ihm unvereinbar find, bekämpfen, lockert das Gefüge der
heidnifchen Gefellfchaftsordnung, um auf der anderen Seite
mit feiner Ethik vorhandene Rechtsanfchauungen zu vertiefen
. M. verfteht vortrefflich zu zeigen, daß hier wirklich
Probleme vorliegen.

Zürich. Walther Köhler.

Scheel, Prof. D. Otto: Martin Luther. Vom Katholizismus
zur Reformation. 1. Bd. Auf der Schule u. Univerfität.
(XII, 309 S.) gr. 8°. Tübingen, J. C. B. Mohr 1916.

M. 7.50; geb. M. 9.50

Im Jahre 1846/47 ließ Karl Jürgens in drei Bänden
von zufammen über 2100 Seiten feinen ,Luther von feiner
Geburt bis zum Ablaßftreit' erfcheinen als erfte Abteilung
eines dann aber nicht weiter fortgefetzten Werkes ,Luthers
Leben'. Eine für feine Zeit verdienftvolle, fleißige Arbeit,
aber freilich jetzt nicht mehr genügend, denn das Quellenmaterial
ift gewachfen, die Quellenkritik ift methodifcher
geworden, die Frageftellung präzifer. Scheels Arbeit ift
berufen, Jürgens abzulöfen und zu erfetzen. In zwei Bänden
will er Luthers Werdegang ,vom Katholizismus zur Reformation
' uns vorführen; diefer erfte behandelt fein Leben
,auf Schule und Univerfität' bis zur Kataftrophe, die ihn
ins Klofter führte. Je fpärlicher die direkten Quellen hier
fließen, um fo mehr muß durch Erforfchung der Umwelt
, der äußeren fowie der geiftigen und religiöfen Ver-
hältniffe, unter die der junge Luther geftellt war, Einblick
zu gewinnen verflicht werden. So werden uns die Stätten,
an denen er heranwächft, Eisleben und Mansfeld, Magdeburg
und Eifenach, fchließlich Erfurt nach ihrer damaligen
Geftalt und Befchaffenheit gefchildert; hier wird die
Darftellung auch wirkfam unterftützt durch alte Stadtpläne
und Stadtbilder, wobei ich nur bedauere, daß für
Eifenach kein deutlicher und befriedigender orientierender
Plan gegeben werden konnte. Die Tradition über
Luthers Jugend wird auf ihren Quellenwert fcharf geprüft.
Befonders drei Stücke in ihr trifft Scheels Kritik: die
Armut, in der der Knabe aufwuchs, die Minderwertigkeit
der Mansfeld er Schule, die Verfchüchterung des
jugendlichen Gemütes teils durch Verprügelung, teils durch
die religiöfen Einflüffe (mittelalterliches Chriftusbild). Ge-
fchickt ftellt Scheel das Material zufammen, das den
wirtfchaftlichen und fozialen Aufftieg des Vaters L.s beweift
; aber bleibt nicht dabei fein Selbftzeugnis beftehen,
daß er feine Eltern in harter Arbeit und in knappen Ver-
hältniffen noch gefehen hat? Richtig ift, daß L. die
Unterrichtsmethode der Mansfelder Schule nirgends fpeziell
angeklagt hat; feine Klagen gelten der mittelalt. Schule
überhaupt von den Fortfehritten aus, die er fpäter an der
humaniftifchen Schule beobachtete. Aber beftehen bleibt
m. E., daß L., der gewiß nicht einer weichlichen Erziehung
das Wort redete, ebenfo den Eltern wie feinem Lehrer
eine gelegentlich zu harte und unverftändige Ausübung
der Strafgewalt nachgefagt hat. Bei der Elaftizität des
jugendlichen Gemüts beweift das natürlich noch nicht

eine freudlofe, verdüfterte Kindheit. Ebenfo ift Sch. im
Recht, wenn er L.s Äußerungen über das auch in feine
Jugend feine Schatten werfende Bild des richtenden
Chriftus, von dem man zu den Heiligen flüchtet, nicht
für ausreichend hält, danach allein die religiöfe Grund-
ftimmung des Knaben zu zeichnen; denn er hat auch
erfreulichere Einwirkungen erfahren. Den feltfamen Heiligen
des Mansfelder Volkes Jodute' fchildert Sch. S. 26
nach Dreffer; warum verweift er nicht auf Luther felbft,
Weim. Äusg. 44, 791? Der Quellenkritik, die er S. 8 f.
und 33 an Luthers Erzählung von feinem Mansfelder
Kurrendefingen übt, kann ich nicht zuftimmen. Er läßt
nur die Tifchrede Weim. Ausg. I, 59 gelten, beanftandet
dagegen den ausführlicheren Bericht im Genefis-Komm.
W. A. 44, 548. Diefer fei ja nicht von L. felbft in den
Druck gegeben, auch nicht von ihm vor dem Druck geprüft
. Gilt nicht dasfelbe von den Tifchreden? Nun enthält
aber der längere Bericht genaue Erinnerungen an die
Zeit (Weihnachtszeit, nicht wie Sch. angibt, am Weihnachtstag
), an Art und Inhalt der Gefänge (quatuor voci-
bus, de puero Jesu nato in Bethl.), an die Örtlichkeit
(letztes, ifoliert liegendes Gehöft). Sollte fich der Herausgeber
des Kommentars das aus den Fingern geflogen
haben? Aber Sch. fagt: auf den Dörfern fang die Kurrende
nicht. Mir fcheint die Frage zu fein: gehörten
damals zur Mansf. Kirche auch gewiffe Dörfer? Das
Singen der Schüler befchaffte doch wohl dem Kantor
einen Teil feines Einkommens; warum follten dann ein-
gepfarrte Dörfer frei geblieben fein? Gegenwärtig find
zwei Dörfer pfarramtlich mit Mansf. verbunden, ich weiß
nicht, ob damals fchon. Übrigens zeigt Tifchr. W. A.
III, 103, wo L. auf diefe Gefchichte als eine den Tifch-
genoffen bekannte anfpielt, daß er fie öfters erzählt hat. —
Wertvoll find die Unterfuchungen über L.s Schuljahr in
Magdeburg. Die ,Nullbrüder' können nur die Brüder vom
gem. Leben fein, die im Domgebiet wohnten. Diefe unterhielten
keine eigne Schule; wenn fie L.s Lehrer waren, ift
nicht an eine der Kirchfchulen, fondern nur an die Dom-
fchule zu denken. Dann muß dies Schuljahr auch für die
mufikalifche Ausbildung L.s von Wert gewefen fein, weil
die Domfchüler in der Domkirche zu fingen hatten. Befonders
forgfältig geht er der feelforgerlichen ,pietiftifchen'
Einwirkung der Brüder auf die Schuljugend nach und
erwägt den etwa von hier aus auf L. geübten Einfluß.
Aber diefer gedenkt, fo oft er auch briefliche Berührungen
fpäter mit Brüdern hat, niemals einer derartigen Einwirkung
. Es fcheint mir daher recht zweifelhaft, eine
folche anzunehmen. Sch. fchüttet hier fehr wertvolle
Forfchungen über die Tätigkeit der Brüder, befonders in
Niederdeutfchland aus; aber ift es nicht für eine Lutherbiographie
des Guten zu viel und gehörte eigentlich an einen
andern Ort? Diefe Bemerkung drängt fich mir mehrfach
auf. So in den ausführlichen Studien über den Cisio
Janus; genügte da nicht ein Hinweis auf Pickels ausführliche
Erörterung? Oder wenn er, um die Teilnahme der
Lateinfchüler am Kirchendienft in Mansfeld zu veran-
fchaulichen, den Kirchendienft der Wittenberger Lateinfchüler
1533 uns ausführlich nachweift? Oder wenn er,
da Luther in Erfurt Jura ftudieren wollte, felbft die Frage
nach dem Alter der dortigen Juriftenfakultät unterfucht?
Wir fehen aus folchen Abfchnitten, wie ausgedehnt feine
Vorftudien gewefen find; aber wäre nicht größere Be-
fchränkung in der Mitteilung folcher Wege feiner For-
fchung für die Abrundung der Biographie von Vorteil
gewefen? — Für die Eifenacher Jahre intereffiert feine
Kritik an der fpäteren Ausfchmückung des Verhältniffes
Luthers zum Cottafchen Haufe. Den Kern, daß er dort
Aufnahme gefunden, will er, wenn auch nur mit einem
Fragezeichen fefthalten. Dies Fragezeichen fcheint mir
gegenüber Ratzebergers Angabe, verbunden mit der des
Mathefius nicht geboten zu fein. L.s .andächtiges Singen'
will er nicht auf den Kurrendegefang vor den Türen,
fondern auf fein Singen in der Kirche beziehen; möglich,