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Ausgabe:

1916 Nr. 10

Spalte:

226-227

Titel/Untertitel:

Zwingliana. Mitteilungen zur Geschichte Zwinglis und der Reformation. 1915. (Bd. III, Nr. 5 u. 6.) 1916

Rezensent:

Bossert, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 10.

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nität, der Graffchaft, der Niedergerichtsbarkeit, der Zölle
und Steuern, des Geleitsrechts ufw. Aber fie geben erft
in ihrer Bindung an ein Grundeigentum die nötigen Unterlagen
für die Bildung eines gefchloffenen Staates. St. zeigt
die verfchiedene Rechtsqualität des Mainzer Bodens: Lehengut
, erzbifchöfliches Tafelgut, Gut des Domkapitels und
der Eigenkirchen. Die politifche Entwickelung des Ver-
hältniffes zwifchen Reich und Kirche hat fodann manche
Störungen, manche Minderung und manche Laften für den
werdenden Staat gebracht. Es ift den Erzbifchöfen aber
fchon im 12. Jahrhundert möglich, reine Territorialpolitik
zu treiben. Eine befonders ftarke Unterftützung für das
Erzftift find im 12. Jhdt. die Reformklöfter geworden, die
in großer Zahl von den Hirfauern, Zifterzienfern, Augu-
ftinerchorherren ufw. im Mainzer Gebiet gegründet find.
Sie haben zwar dem Erzftift keine befonders große Erhöhung
der laufenden Einnahmen gebracht. Die Abgaben
find ungefähr fo groß, wie die der Klöfter unter befon-
derem päpftlichen Schutz an Rom — aber fie haben die
militärische Stellung des Erzbifchofs durch ein großes
Aufgebot an Minifterialen geftärkt. Außerdem haben fie
in hervorragender Weife für Abrundung des Erzftifts beigetragen
: alle den vielen Klöftern von der Gläubigen dargebrachten
Landfchenkungen treten in das Eigentum des
heiligen Martin, des Mainzer Stuhles. Nach deutlichen
Spuren einer beginnenden Territorialpolitik im 12. Jahrhundert
haben die Erzbifchöfe im 13. Jahrhundert den
werdenden Staat gegen mancherlei feindliche Gewalten
hüten müffen. Das Reich, das im 12. Jahrhundert mit
befonders fchweren Forderungen und Eingriffen die Entwicklung
der Mainzer Lande beeinträchtigt hat, tritt ganz
in den Hintergrund: die Privilegien Ottos IV. und vor
allem die Friedrichs II. für die geiftlichen Fürften zeigen
einen ganz andren Kurs. Der in den Städten fich gegen
die Stadtherren erhebenden Schwierigkeiten ift der Erz-
bifchof Herr geworden in Mainz: alle hohen ftädtifchen
Amtsftellen find fchließlich mit Minifterialen des Stifts
befetzt worden. Erfurt dagegen erreicht einige Selbftändig-
keit. Von bedeutenden Minifterialienaufftänden ift nur der
des Rheingrafen zu erwähnen, der erfolgreich unterdrückt ift.
Gegen angrenzende Landesherren ift das Stift weniger
glücklich gewefen: in Heften fetzt fich Sophie von Brabant
gegen Mainz durch, und zwifchen Thüringer Wald und
Harz verliert das Stift all fein Gut zum größten Teil an
die Landgrafen. Im Eichsfelde flößen die Mainzer In-
tereffen auf die der Herzöge zu Braunfchweig und Lüneburg
. Durch gegenfeitiges Entgegenkommen ift im 13.
Jahrhundert eine für Mainz nicht ungünftige Regelung
erzielt. St. fchildert ferner eingehend die durch die Erzbifchöfe
— fchon durch Adalbert I. — eingerichtete Verwaltung
des weitzerftreut liegenden Befitzes mit den in
ihrer Stellung immer fteigenden Vitztumen in Mainz,
Afchaftenburg, Erfurt und Rufteberg; er ftellt weiter dar
die mancherlei Reibungen, die zwifchen Eigenklöftern des
Stiftes und ihren Vögten, foweit fie fich nicht vogtlos
erhalten konnten, entftanden find, wenn die Vö°-te Minifterialen
waren; waren die Vögte Edle Herren, fo haben
fich Schwierigkeiten mit dem Stifte ergeben. Es fei
geftattet darauf hinzuweifen, daß A. Siedel in feinen
Unterfuchungen über die Entwickelung der Landeshoheit
. . . Verden (1915) zum Teil ähnliche Dinge erörtert
. Doch find die Mainzer Probleme vielgeftaltiger
und wefentlicher. Für ihre Darbietung dürfen wir St.
dankbar fein.

Leipzig. Otto Lerche.

Schreiber, Dr. Georg: Unterfuchungen zum Sprachgebrauch
des mittelalterlichen Oblationenwefens. Ein Beitrag zur
Gefchichte des kirchl. Abgabenwefens u. des Eigen-
kirchenrechts. Diff. (Freiburg i. Br.) (55 S.) gr. 8°.
Wörishofen 1913.

Diefe als vorläufiger Teildruck eines großangelegten
Werkes erfchienene Diflertation der theologifchen Fakultät
zu Freiburg i. Br. führt die von demfelben Verfaffer mit
feinem weithin anerkannten Werke ,Kurie und Klofter im
12. Jahrhundert', 2 Bde., Stuttgart 1910 (vgl. Theol. Lit Ztg.
1912, Sp. 78ff.), zumal da Bd. II. S. 92ff. im Kapitel:
,Oblationen'begonneneErörterungfort. Nach dem Teilftück,
das der gelehrte Verfaffer in diefem Heftchen bietet, zu
urteilen, kann die baldige Vorlage des ganzen Werkes
nur dringend gewünfcht werden. In dem erften der beiden
hier gedruckten Kapitel (2 und 3) werden die nach
Art der Darbietungl, nach Rechtsinhalt, und liturgifcher
Form ufw. fo fehr verfchiedenen Abgaben, Reichniffe,
Leiftungen und Gefchenke der Parrochianen, die im Mittelalter
fchlechtweg ,oblationes' genannt und unter den von
Raymund von Pennafort angezogenen Begriff der oblatio
quotidiana et usualis — im Gegenfatz zur vorher behandelten
oblatio im Sinne einer größeren Schenkung und
Landgabe — fallen, dargelegt und an einer Reihe von
Beifpielen erklärt. Als befonders wefentlich fcheint mir
die Feftftellung, daß fich diefe oblatio häufig mit dem
Rechtsinhalt der Stolgebühr deckt und daß fie dann auch
stola genannt wird, daß alfo fchon im 15. Jahrhundert von
der Stolgebühr (= stola) zu reden ift. Häufig wurden
diefe Oblationen nicht nur dem mit stola bekleideten
Priefter übergeben (daher der Name), fondern auf die
Enden feiner Stola gelegt Und fchon im fpäten Mittelalter
waren Leiftungen diefer Art (oblatio, stola, Stolgebühr)
ein klagbares Recht des Pfarrers oder Benefiziaten. In
den weiteren Ausführungen feiner Arbeit wendet fich der
Verfaffer der Unterfuchung fynonymer oder verwandter
Ausdrücke zu. Neben dem Worte oblatio finden Erörterung
die Ableitungen von offerre wie offerenda, ofifer-
torium, offerta, offeretum ufw., dann auch proferta und
proferenda. Aus einem recht großen Quellenmaterial hat
der Verf. zunächft das Vorkommen, fodann den Rechtsinhalt
und die liturgifche Bedeutung — die einander fehr
nahe flehen und fich oft ergänzen und gegenfeitig klären
— erörtert. Die endgültige Beantwortung aller auftauchenden
Fragen ift häufig noch hinausgefchoben; es
zeigt fich vielfach eine nach Ortsgebräuchen verfchiedene
Anwendung und Auslegung der zitierten Termini. Im
allgemeinen ift im Wellen des Reiches, noch mehr auf
franzöfifchem Boden, das Oblationenwefen ftärker ausgebildet
und damit find die Ausdrucksmöglichkeiten auch
reicher und mannigfaltiger, der Rechtsinhalt infolgedeflen
wieder fchwerer fixierbar: die liturgifche Form ift dabei
nicht immer reftlos greifbar. — Neuerdings hat Prof.
Schreiber feine Studien fortgefetzt mit einer gehaltvollen
Veröffentlichung in der Zeitfchr. d. Savigny-Stiftung f.
Rechtsgefchichte 1915 Kanon. Abtlg. V S. 4146": Kirch-
lifches Abgabenwefen an franzöfifchen Eigenkirchen aus
Anlaß von Ordalien ..., die auch dem Liturgiker neue
Arbeitsfelder aufdeckt.

Leipzig. Otto Lerche.

Zwingliana. Mitteilungen zur Gefchichte Zwingiis u. der
Reformation. Hrsg. vom Zwingliverein in Zürich 1915.
[Bd. III. Nr. 5 u. 6.] (S. 129-196) gr. 8°. Zürich,
Zürcher & Furrer. Je M. _75

Der neue Jahrgang bringt den Schluß der gehaltvollen
Abhandlung Farners über Zwingiis Entwicklung zum
Reformator und behandelt Zwingiis Eigenart nach vier
Seiten a) feine eigenen Pläne, b) die Entfremdung mit
Erasmus, c) die Loslöfung von Luther, d) Zwingiis Bruch
mit der Kirche. Es wäre fehr zu wünfchen, daß Farner
feine Arbeit als felbftändiges Buch mit vollftändiger Mitteilung
aller Belegftellen herausgäbe, auf welche er bis
jetzt nur mit Angabe des Fundorts hinweift. Denn eine

1) Dm Urbild der Oblatio haben wir in Apoftelgefch. 4,34.

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