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Ausgabe:

1916 Nr. 9

Spalte:

208-209

Autor/Hrsg.:

Müller, Johannes

Titel/Untertitel:

Reden über den Krieg. 1. - 4 1916

Rezensent:

Niebergall, Friedrich

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Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 9.

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fchweigend vorübergeht, in diefem Zufammenhang mit
Nutzen hätten weggelaffen werden können.

Halle a. S. K. Eger.

Wurm, Dr. A.: Kunft u. Seele. 1. Bd. Vom innerl. Chriften-
tum. (67 S. m. 60 Abbildgn. auf 30 Taf.) gr. 40.
München, Verl. d. Kunftanft. J. Müller 1914.

Geb. M. 5 —

Ein vornehm ausgeftatteter Band: das würdige Gefäß
eines würdigen Inhaltes! Der Titel klingt fentimental; wer
aber irgend im Buche davon etwas erwartet, geht fehl;
das Buch felbft ift, mit der unten zu bezeichnenden Be-
fchränkung, befte Religiofität. Und wenn es dem ernften
Verfaffer auch weiterhin gelingt, auf folcher Höhe zu bleiben,
fo ift diefe Weife der Bilderverwertung und Bilderbetrachtung
, die fo leicht zur Gefchmacklofigkeit und Verirrung
werden kann, eine ebenfo dankenswerte als muftergiltige
Tat. Das Werk W.s ift nicht für den Kunfthiftoriker
gefchrieben; Urfprung und Abficht ift religiös-pädago-
gifcher Art; nicht kunftgefchichtlich belehren will der
Verfaffer — fofern es gefchieht, gefchieht es mittelbar; er
will erbauen, predigen, religiös fördern und vertiefen, und
das Bild, eine Auswahl von Bildern foll ihm dabei helfen.
Der vorliegende Band fpricht in zehn Auffätzen, die man
noch zutreffender als religiöfe Vorträge bezeichnen möchte,
über wichtigfte Stücke des chriftlichen Lebens: Vom
Glauben; Das Himmelreich leidet Gewalt; Die Anbetung
Gottes im Geifte und in der Wahrheit; Sünde und Buße;
Erlöfung; Chriftus und die Seele; Im göttlichen Banne;
Die Liebe zum leidenden Heiland; Die Mutter des Herrn;
Der Friede Gottes. Diefe Themen follen zeichnen das
chriftliche Lebensideal im Sinne des Verfaffers, um die
Leier des Abftandes von demfelben bewußt und zur Ergreifung
desfelben geneigt zu machen. Zu jedem der
/Vorträge' gibt W. durchfchnittlich 6 — die Zahl fchwankt
in Wirklichkeit zwifchen 4 bis 9 — Bilder, meift Malerei,
vereinzelt Relief, die dem gefamten Text in ausgezeichneten
Reproduktionen folgen und dem Verfafler — nicht Träger
feines Wortes, fondern — Erläuterungen, Verdeutlichungen,
Veranfchaulichungen feiner religiöfen Gedanken, Ideale und
Forderungen find. Die in fich gefchloffenen ,Vorträge'
find Meifterftücke der Form wie des Inhaltes; als befonders
gelungen möchte ich den erften vom Glauben und den
dritten vom Beten anfehen.

Mit diefem Urteil über die Vorträge im ganzen ift bereits
gefagt, daß insbefondere auch die in fie verwobenen
Bilderanalyfen ausgezeichnet find. Man kann von einem
Bilde wie von Rembrandts Paulus oder Hans Thomas
Nikodemus und von deffen Verfuchung Chrifti und manchem
anderen nichts tieferes fagen als es der Verfaffer
in wenig Worten — auch dies ein Vorzug — getan. Man
fieht den Bildern gleichfam in die Seele und lernt fie
innerlich fchätzen und dadurch auch künftlerifch würdigen.
So enthält die feelifche Analyfe, auf die es dem Verfaffer
fchlechterdings nur ankommt, vielfach auch eine künftle-
rifche in nuce, die an fich ganz im Hintergrunde bleibt.

Die meifterliche Auswahl der Bilder gefchieht unter
dem, wie man einwenden könnte, wohl fehr fubjektiven, aber
fehr fruchtbaren und fehr kritilchen Maßftabe der Frage,
,ob und in welchem Sinne und in welchem Maße die
mit chriftlichen Gegenftänden fich befchäftigende Kunft
auch von chriftlichem Geift angehaucht, ergriffen, durchdrungen
ift' (Vorwort). Auf folcher Wage gewogen wird
manches .chriftliche' Kunftwerk als zu leicht befunden!
In der Reihe der Bilder W's findet fich kein Raffael (die
Madonna della sedia ift ihm nichts als die fchöne Römerin
mit dem kühlen Nixenauge, 58), kein Guido Reni, kein
Rubens! Um fo mehr Fra Angelico, Donatello, Dürer,
Rembrandt, Fritz Kuntz, Wilhelm Steinhaufen, Hans
Thoma u. dergl.! Tizian und Paolo Veronefe werden
fchlechterdings abgelehnt, da ihr gefamtes Werk wahrhaft
religiöfen Empfindens ermangelt (22). Auch Lucas
Cranachs bekannte ,Ruhe auf der Flucht' wird gelegentlich
gegen Stephan Lochners .Maria im Rofenhag' be-
ftimmt abgelehnt; denn dort ift .nichts zu fehen als eine
menfchliche wundernette Idylle mit biblifchen Perfonen
und Engeln, über die ein leicht religiöfer Goldftaub ge-
ftreut ift' (64). Man fieht: die Gefchichte der chriftlichen
Kunft, die der Verfaffer zu fchreiben beabfichtigt (Vorwort
) und hoffentlich einmal fchreibt, wird eine ftarke
Umrangierung im Bilder- und Künftlermaterial bringen,
und doch ift nach der Probe, die der gegenwärtige Band
enthält, ficher zu erwarten, daß jene chriftliche Kunftge-
fchichte nur wirklich echte, auch äfthetifch achtbare Kunft-
werke verarbeiten und vorführen wird.

Vereinzelte Katholizismen laffen über die Form des
Chriftentums und den Stand des Verfaffers keinen Zweifel.
Aber fchon die foeben genannten Namen der von ihm
vorzugsweife benutzten Künftler zeugen deutlich von der
religiöfen Weitherzigkeit, die ihm eigen ift. So erhebt
fich auch der Text faft durchweg über die konfeffionellen
Schranken und, auch wo er katholifch gefärbt ift, wird
er für den proteftantifchen Lefer doch nicht anftößig oder
gar polemifch. Ich möchte darum das Buch nicht bloß
gebildeten Katholiken fchlechtweg, fondern hier namentlich
auch evangelifchen praktifchen Theologen, die gerne
das Kunftwerk benutzen zur religiöfen Erbauung, aufs
angelegentlichfte und wärmfte empfehlen. Sie werden dem
Verfaffer das Buch und dem Referenten den Hinweis
danken. Die Vorträge, in denen der Verfaffer auch mit
der Befchränkung auf eine nur kleine Bilderzahl fich als
Meifter bewährt, find unmittelbar, bei einzelnen mutatis
mutandis oder unter gänzlicher Ausfcheidung des einen
und anderen, für religiöfe Erbauungsftunden mit Bildern
zu verwerten, und ich kann mir nur denken, daß eine
chriftliche Gemeinde, Stadt- oder Dorfgemeinde, der eine
folche Stunde der Erbauung mit Vorführung der Bilder
an der weißen Leinwand geboten ift, dankbar und wahrhaft
erbaut und gefördert Bild und Wort im Gedächtnis
behält.

Nur eines möchte ich dem Verfaffer felber empfehlen,
daß er nämlich feinem Hange zu Fremdwörtern fcharf
,auf die Finger fieht'; fie ftören zuweilen ftark und tun
dies doch immer ganz unnütz.

Berlin. G. Stuhlfauth.

Religiöfe Kriegsliteratur.

(vgl. 1915, Nr. 15)

J. Müller1 hat den Krieg erlebt als die mächtigfte
Erläuterung und Beftätigung von allem, was er je als fein
Bekenntnis und fein Wollen gedanklich zum Ausdruck
gebracht hat. Man muß geliehen, daß feine Auffaffungs-
formen der Welt und feine Ideale der Lebensgeftaltung
von dem ungeheuren Gefchehen des Krieges fehr vieles
zu erfaffen vermögen. Wenn es ihm immer darauf angekommen
ift, der innerften Wahrheit der Dinge und dem
Grundwillen der Menfchheit nachzufpüren, um diefem
geheimen Sinn des Lebens Verftändnis und Aufnahme
bei allen Willigen zu erfchließen, lo weiß er dem Kriege
genug Seiten abzugewinnen, die ihn in allen feinen Gedanken
und Beftrebungen kräftig fördern. Zuerft vermag
M. dem ungeheuren Erlebnis, das er für den Chriften
bedeutet, vortrefflich Ausdruck zu geben. Was man
felber gefühlt oder unklar erkannt hatte, dem verleiht er
Geftalt: der Krieg als Schickfal von ungemeiner elementarer
Gewalt, das notwendig dem Chaos der widereinander
ftehenden Menfchheit feinen Urfprung verdankt, das aber

1) Müller, Johannes: Reden über den Krieg. 1 — 4. 8°. München,
C. H. Beck 1915. je M. —50

I. Der Krieg als Schickfal u. Erlebnis. (47 S.) — 2. Der Krieg als
Not u. Auffchwung. (48 S.) — 3. Der Krieg als Gericht u. Aufgabe.
(48 S.) — 4- Der Tod fürs Vaterland u. die Hinterbliebenen. (48 S.)