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Ausgabe:

1916 Nr. 8

Spalte:

177-178

Autor/Hrsg.:

Lienhard, Alb.

Titel/Untertitel:

Martin Butzer, der elsässische Reformator und Mitarbeiter Luthers 1916

Rezensent:

Köhler, Walther

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 8.

178

eigentlichen Sinne werden die Synoden von entfcheiden-
der Bedeutung. Im Orient hat in Ephefus 431 zum erften
Mal eine große Zahl von Bifchöfen mit einer Devotionsformel
unterfchrieben, im Werten geht ein ähnlicher Einfluß
von der Synode von Tours (461) aus. In Gallien
wird fie freilich eine Zeitlang verdrängt von der Invoka-
tionsformel (in Dei nomine), fchließlich aber erfcheinen
beide vereint in den Urkunden. Morgenländifche und
abendländifche Gebräuche treffen fleh in Italien. In
Konzilsunterfchriften undBriefen überwiegtderorientalifche
Einfluß, in Urkunden der gallifche. Ebenfo verhält es
fleh natürlich in Britannien, das ja ganz unter römifcher
Abhängigkeit ftand.

Befondere Abfchnitte find den beiden zukunftsreichften
Formeln ,servus servorum Dei' und ,gratia Dei' gewidmet.
Wichtig ift der Nachweis, daß die erftere von Gregor L
bereits in feiner Mönchszeit gebraucht wurde. Daß fie auf
Auguftin zurückgeht, war bekannt. Nun erhielt fie durch
Gregor den höheren Sinn .Diener aller Gläubigen'. Auch
die Formel ,Dei gratia' ift von der römifchen Kanzlei aus,
wo fie neben der erftgenannten gebraucht wurde — man

die verfchiedenen Gefellfchaftsfaktoren einzubauen fucht.
Das gefchieht am intereffanteften und zugleich am refor-
matorifchften an den Bifchöfen, deren Charakter als geift-
liche Fürften in feine zwei Faktoren, die auch Luther als
unerlaubte Zufammenfchweißung im Epifkopat empfand,
zerlegt wird: fie find Regenten des Territoriums als Laien,
laffen aber die geiftlichen Funktionen durch befondere
Diener am Wort ausüben. In der Abendmahlsfrage, der
ein fehr feines Kp. gewidmet ift, verfolgt Bucer die .Taktik',
feine unlutherifchen Gedanken in einer möglichft Luther
angepaßten Form auszudrücken; das hat dann fchließlich
zu der bekannten Auffaugung der Oberländer kraft der
Wittenberger Konkordie geführt. Sehr dankenswert ift
gegenüber der traditionellen Geringfehätzung die tiefe
Wertung der Zwinglifchen Abendmahlslehre als eines
Neubaus vom Boden des evangelifchen Gottesdienftes und
des evangelifchen Gemeindeprinzips (S. 46). Doch dürfte
es nicht richtig fein, Zwingiis Verhalten Luther gegenüber
vom Standpunkte des ,herrfch-und fieggewohnten' Zürichers
zu verliehen. Zwingiis Lage in Zürich ift ganz ähnlich
gewefen, wie die Calvins fpäter in Genf: nur unter bewird
das jetzt kaum mehr bezweifeln können — in die J ftändiger Selbftbehauptung gegen eine ftarke katholifche
Welt hinausgegangen. Sie wurde von der fränkifchen Oppofition (über deren Bedeutung eine in Bälde er-
Bifchofsurkunde übernommen und ift aus diefer in die fcheinende Züricher Differtation unterrichten wird) hat Zw.
fränkifche Königsurkunde hinübergelangt, als fränkifche fein Werk halten können. Bucers Jugendentwicklung, die
Geiftliche die karolingifche Kanzlei neu organifierten. Auch [ Anfänge der Reformation in Straßburg, die Auseinander-
hierin wird man den befonnenen Ausführungen des Ver- j fetzung mit dem Täufertum, die Straßburger Schule, deren
fafiers zuftimmen können. Man darf nach diefen forg- .Haupturheber und Begründer' Bucer nach Sturms Worte
famen Vorarbeiten dem zweiten Teil des Werkes mit nicht war und bei deren Wertung A. die ausgezeichnete Schrift
geringen Erwartungen entgegenfehen. von W. Sohm zugute kam (vgl. die Problemftellung S. 74),

Berlin-Dahlem. Gerhard Bonwetfch. weJdeJ? ebe*{*l}s.™ Sonderkapiteln behandelt und an den

Schluß geftellt ift eine Würdigung des .Menfchen und
Theologen'.

Ein gutes Buch muß neue Fragen wecken. Das tut
A.s ,Bucer' in ftarkem Maße. Ich möchte herausheben die
Frage nach den Quellen der Bucerfchen Theologie.

Anrieh, Prof. Guft.: Martin Bucer. Buchfchmuck v. Ph.
Kamm. (VII, 147 S.) Lex.-8°. Straßburg i. E., K. J.
Trübner 1914. M. 2.75; kart. M. 2.90

Lienhard, Pfr. Alb.: Martin Butzer, der elfäffifche Refor- I Sie "wird von A.~ natürlich auch geftreift, und die drei
mator u. Mitarbeiter Luthers. (Straßburger Bibliothek.) Komponenten Erasmus, Luther und das Täufertum(treffend

herausgehoben; auch das fcheint mir richtig zu fein, daß
Zwingli als Theologe nur vorübergehend auf Bucer wirkte
(viel ftärker als Pädagoge: die Züricher Lehrpläne wurden

(31 S. m. 3 Abbildgn.) 8«. Straßburg i. E., J. H. E.
Heitz 1914. M. — 30

Zum Reformationsjubiläum 1917 plant Straßburg die für die Straßburger Schule übernommen). Die Wirkung
Errichtung eines Bucer-Denkmals, und das Komitee für i des Erasmus ift m. E. fehr hoch einzufchätzen und nie
die Errichtung desfelben hat A. mit der Aufgabe betraut, I ganz gefchwunden. Wenn Bucer, wie S. 25 hervorgehoben
.weiteren Kreifen der Gebildeten die Geftalt Martin Bucers wird, in eigentümlicher Weife den ,Geift' betont, fo dürfte
nahezu bringen'. Diefe Aufgabe ift in ganz vorzüglicher ! dafür die Wurzel bei Erasmus liegen; jedenfalls ift der
Weife gelöft worden; ohne daß irgendwie der Charakter
edler Popularität verlaffen würde, hat A. ein Werk ge-
fchaffen, das der Reformationsgefchichte in weitem Maße
neue Erkenntnis übermittelt und fo eine hervorragende
Förderung der wiffenfchaftlichen Forfchung bedeutet. Der
fehr umfangreiche Stoff ift eingehend und genau durch

Gedanke, daß ,der Abendmahlsgenuß äußere Zeremonie
ift, wo der Geift nicht in dem Herzen wirkt' (S. 25) ganz
Erasmifch (vgl. das Enchiridion militis Cbristiani). Und
wenn nun Bucer nach der erften Hinwendung zu Zwingli
in der Abendmahlslehre bald zu myftifchen Gedankengängen
zurückbiegt (S. 53ff.), fo wirkt m. E. auch dabei
gearbeitet 'worten,"ws &zrY&zmt ficheiem"Griff"däs Erasmus nach, d. h. der frühere Erasmus von vor 1526,

Wefentliche herausgegriffen und in eine kurze, prägnante
Form gegoffen worden. Jeder mit Bucers Wirkfamkeit

der fehr gerne von panis mysticus, calix mystica redete
und erft infolge des Streites mit Oekolampad kirchlich

nur einigermaßen Vertraute kennt die Schwierigkeit des | korrektere Formeln beliebte. Noch immer ungeloft ift die
Problems, diefem gewandten und gefchmeidigen Unter- ! Frage> °b a"d inwieweit das Täufertum auf die Straßhändler
, der immer Konkordien fuchte, den feine Zeit- | burger Kirchenveiffaffmig von Einfluß war, es mußten die

Verfaffungsideen des Täufertums einmal iyltematnch bearbeitet
werden. Ich vermute, daß die eigenartige Faffung
des Älteftenamtes bei Bucer auf das Täufertum zurückgeht
. — Zum Schluß feien noch die hübfehen Feder-

genoffen einen indefessus conciliator et pacis instaurator,
ja, ein .Amphibium' und ,fehr liftiges Männlein' nannten,
(S. 141) gerecht zu werden. A. ift die Löfung m. E. vollaufgelungen
, ohne daß befchönigende apologetifche Künfte

gebraucht würden. Die Schuld Bucers im heffifchen Ehe- Zeichnungen von Ph Kamm erwähnt als würdiger Buch
handel wird z. B. klar betont, aber die Unionstätigkeit fchmuck, und der WunRh ausgesprochen, daß A.s Buch
Bucers auf eine Höhe heraufgehoben, die fie gegen jede felrnf,n Zweck> wr das Bucerdenkmal zu werben, vollauf
Anrüchigkeit ficherftellt. ,Ein Mittleres zu fuchen zwifchen | erfullen .m°ge. ~ Die kleine Schrift von Lienhard geht
dem eignen Standpunkt und dem offiziellen römifchen 1 nTlchf le[[ ea lft ein Feuilleton aussen .Straßburger Neuen
Katholizismus, ift Bucer nie in den Sinn gekommen; die
Wahrheit des eignen Standpunktes war ihm fo evident, fo
außer aller Diskuffion flehend, daß ein Verlaffen desfelben
für ihn überhaupt nicht in Frage kam' (S. 81). Es fchwebt
Bucer eine Art deutfehe Nationalkirche vor, in die er nun
durch Anerkennung gefchichtlich gewordener Verhältniffe

Nachrichten', erweitert um neben Anmerkungen und fieben
Beilagen; es wäre praktifcher gewefen, letztere in den Text
zu verarbeiten. Neues wird man in dem Schriftchen nicht
fuchen; befcheidenen Anfprüchen mag es genügen.

Zürich. Walther Köhler.