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Ausgabe:

1916 Nr. 8

Spalte:

173-175

Autor/Hrsg.:

Esser, Gerhard

Titel/Untertitel:

Der Adressat der Schrift Tertullians „De pudicitia“ und der Verfasser des römischen Bußediktes 1916

Rezensent:

Soden, Hans

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173

Theologifche Literaturzeitung 1916 Nr. 8.

174

Nach einer Überficht über Inhalt und Form mit an-
gefchloffener Paraphrafe behandelt der Vf. die mit dem
Hebr. gegebenen Probleme und ftellt die Verfafferfrage
im Lichte der Zeugniffe des Altertums dar. In dem nun
folgenden Hauptftück der Schrift unterfucht er Form und
Inhalt des Hebr. in ihrer Bedeutung für die Verfafierfrage
. Wortfehatz und Stil, die Zitate aus dem A. T.,
die Parallelen zu den paulinifchen Briefen, die brieflichen
Momente im Hebr. und vor allem fein theologifcher Gehalt
führen zwar nicht auf unmittelbare Abfaffung durch
Paulus, aber doch auf mittelbare Veranlafiung und Be-
einfluflung des Autors durch Paulus. N. will keine be-
ftimmte Perfon nennen; er denkt an einen Schüler oder
Freund des Paulus, der zugleich der alexandrinifchen
Kultur naheftand. Hebr. wurde nach N. an Judenchriften
in Paläftina gefchrieben, zu einer Zeit, da der Tempel
noch ftand und der jüdische Kult noch in Funktion war,
und hatte den Zweck, die Judenchriften vor Abfall ins
Judentum zu warnen.

Die Schrift ift nicht ungefchickt abgefaßt, ent-
fcheidende Behauptungen entbehren indes hinreichender
Begründung. Die ftarken Abweichungen des Hebr. von
der theologifchen und religiöfen Art des Paulus machen
auch Abfaffung im Auftrag des Paulus nicht wahrfchein-
lich; was N. hierzu bemerkt, ift ungenügend. Die fchweren
Bedenken, die gegen die Annahme judenchriftlicher Herkunft
fich richten, hat der Vf. kaum berückfichtigt, ge-
fchweige widerlegt Seltfam nach allem was die kritifche
Exegese zur Sache bemerkt hat, ift die Vorausfetzung,
daß im Hebr. noch auf den beftehenden Tempelkult hin-
gewiefen werde. In der Lifte der Männer, die von den
Gelehrten als Vf. des Hebr. vermutet worden find, fehlt
Silvanus, auf den Wohlenberg neuerlich die Aufmerkfam-
keit gelenkt hat. Die abendländifche Barnabastradition
hat N. viel zu leicht genommen; auch was er über das
Zeugnis der canones und der Codices mitteilt, ift einleitig
. So umfichtig und überfichtlich N. feinen Stoff
behandelt hat, fo ift der Gang der Beweisführung doch
von vornherein in unzuläffiger Weife auf die Rechtfertigung
der katholifchen Tradition eingeftellt.

Leiden. H. Windifch.

Efler, Prof. Dr. Gerhard: Der AdreKat der Schrift Tertullians
„De pudicitia" und der Verfaffer des römilchen Bußediktes.

(46 S.) gr. 8°. Bonn, P. Hanftein 1914. M. —80

Effers zur Besprechung vorliegende Abhandlung fügt
den zahlreichen Publikationen über das römifche Bußedikt
— einem Reichtum, den man nicht ohne Verlegenheit
betrachtet, da Methode und Refultat dem aufgewendeten
Fleiße nicht entfprechen, — eine neue hinzu, wiederum
ohne daß die hin und her gewendete Frage dabei wefent-
lich neue Beleuchtung, gefchweige denn Entfcheidung

findet. E. will zeigen, daß die Tertullians Schrift ,de pu- ; die Behandlung von Häretikern, alfo wiederum um eine

einem anderen Bifchof ad personam vindizieren, was me-
thodifch auf denfelben Fehler hinauskommt. Ja, handelt
es fich denn überhaupt um ein Edikt? Könnten die Worte:
,ego et moechiae et fornicationis delicta paenitentia funetis
dimitto' nicht etwa ebenfo gut ein aus feinem Zufammen-
hang geriffener und ironifch zu einem Edikt erhobener
Satz aus einem römifchen Schreiben fein, wie wir ähnliche
mehrfach in der Cyprianifchen Brieffammlung finden?
Auch der Streit um Mt. 16, 18 in c. 21 richtet fich m. E.
nicht gegen römifche Primats-, fondern gegen allgemein
epifkopale Vollmachtsanfprüche wie noch bei Origenes
im Kommentar z. St.

Die Frage, welcher der zeitgenöffifchen römifchen
Bifchöfe — Zephyrin oder Kailift — diefen Brief verfaßt
oder das Edikt erlaffen habe, verliert ftark an Intereffe,
wenn man fie nicht mit verfaffungsgefchichtlichen Problemen
belastet, für die fie keinesfalls etwas austragen
kann. Ihre Beantwortung, um die fich Effer im zweiten
Teil feiner Schrift zu Gunften Zephyrins bemüht (S. 31
—46), hängt nur davon ab, wie man das Verhältnis der
bekannten Mitteilungen Hippolyts über Kailift zu dem
von Tertullian bekämpften Standpunkt deutet; ob man
beide Quellen fich decken oder ergänzen zu laffen oder
fie um ihrer Unterschiede willen auch chronologifch zu
fcheiden geneigt ift. Denn alle anderen auch von E.
wieder befprochenen Daten zur chronologifchen Anfetzung
von Tertullians Schrift bleiben unsicher und widersprechender
Deutung fähig. Der Standpunkt nun, gegen welchen
Tertullian polemisiert, ift klar. Er bestreitet (in zugestandenem
Gegenfatz zu feinen früheren Anfchauungen) der
Kirche qua Hierarchiae das Recht Sünden zu vergeben
prinzipiell, veranlaßt durch die besonders anstößige, auch
bei den Katholiken noch nicht unumstrittene Ausdehnung
diefer angemaßten Vollmacht auf die Fleifchesfünden.
(Deutlich werden Mord und Götzendienst damals noch
nicht vergeben; ihr nur vereinzeltes Vorkommen gestattete,
fie unerörtert zu laffen.) Was Hippolyt dem Kailift vorwirft
, ift immerhin nicht ohne weiteres dasfelbe. Wenn
diefer gewiffe bisher eingehaltene Befchränkungen der
Ehefchließung durchbrach, fo steht hier nicht fowohl die
Vergebbarkeit der Unzucht als ihr Begriff zur Frage.
Gewiß ift auch dies eine Frage moralischer Zucht, die
eine strengere und eine laxere Behandlung zuläßt, aber
doch eine Frage anderer Kategorie. Hippolyt verwifcht
in der Polemik aufrichtig oder gehäffig diefen Unterfchied,
wie es heute etwa bei der Diskuffion über gefetzliche
Ehefcheidung oder die künftlerifcheDarstellung desNackten
gefchieht. Mit fraglichem Recht bringt er in diefen Zu-
fammenhang die viel berufene Äußerung des Kailift:
xaöLV vjt avrov acpisa&ai rag afiaQTiag; denn der Dativ
jcaöiv zeigt ebenfo wie die unmittelbar folgenden Sätze,
daß es fich hier um die Sündenvergebung bei der Aufnahme
in die Gemeinde des Kailift handelt, speziell um

dicitia' durchziehende Polemik gegen einen zuweilen persönlich
apostrophierten Bifchof dem Gemeindehaupt der
karthagischen Katholiken gilt, nicht dem römifchen Verfaffer
des nur im Eingang der Schrift erwähnten Ediktes,
von dem Tertullian ja nach feinem eigenen Zeugnis nur

mehr rechtliche als sittliche Frage. Eben in diefer Neu-
tralifierung einer ganzen Reihe ethischer Probleme zu
Rechtsfragen liegt einer der wichtigsten Faktoren der
Verweltlichung des Christentums. Da nun im Allgemeinen
das Recht der Sitte folgt, fo wird eine laxere Behandlung

gehört habe (.audio etiam edictum esse propositum etc.' c. 1.). 1 der Fleifchesfünden die Vorausfetzung für die Erweichung
Indeffen feine Beweife preffen alle fo wie der eben an- | der entfprechenden Rechtsgewohnheiten fein; auf beiden
geführte den Wortlaut in feltfamem Mißverständnis der ' Linien vollzieht fich die Umbildung der Kirchenidee, die
rhetorifchenFormen oder ftarkerVerkennungder unfertigen 1 das Wefentliche an dem ganzen Prozeß ift. Von diefem
und unklaren Verfaffungszuftände der Zeit. Tertullian j Prozeß scheint die Auseinanderfetzung bei Tertullian ein
Ichreibt nicht gegen einen Bifchof, weder den von Rom | früheres Stadium zu spiegeln als die bei Hippolyt; daraus

noch den von Karthago, fondern gegen die .Pfychiker',
ihre laxe Moral und die klerikale Anmaßung, hinter der
fie fich mit einem Schein des Rechtes verbirgt. Die dabei
erörterten ethischen und biblischen Argumente find in
dem damals allerorten geführten Streit geläufig. Man darf

folgt indeffen nicht notwendig, daß Tertullian noch unter
dem Vorgänger Kailifts schreibt, da Rom in der Katho-
lifierung hier wie an anderen Punkten einen Vorfprung
gehabt haben mag. Man follte freilich meinen, daß fich
Tertullian das Material Hippolyts nicht hätte entgehen

aus ihnen allerdings nicht das römifche Edikt oder einen j laffen, wenn er es gekannt hätte; und daß ebenfo Hippolyt
Kommentar dazu rekonstruieren, wie jetzt wohl allgemein 1 das Edikt zu zitieren nicht unterlaffen hätte, wenn es
zugestanden ift; man darf fie aber ebenfo wenig irgend ■ gegen Kailift zu verwerten gewefen wäre. Die Änfpielung