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Ausgabe:

1915

Spalte:

110-111

Autor/Hrsg.:

Pfordten, Otto Frhr. von der

Titel/Untertitel:

Konformismus. Eine Philosophie der normativen Werte. 2 Teile 1915

Rezensent:

Kowalewski, Arnold

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lex»

Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 5.

110

Dadurch ergibt üch z. B., daß der Brief Arndts an Wolfart über
Lehren des Paracelfus und Weigel höchft wahrfcheiulich echt ift und
eine ftärkere Neigung Arndts zu folchen Naturfpekulationen nahe legt.
Aber es fällt auch ein Schatten auf Arndts Lauterkeit; er treibt mit der
Öffentlichkeit ftellenweis ein nicht ganz ehrliches Spiel gelegentlich der
Publikation feiner Schriften, bei feiner Berufung nach Celle, bei der Anklage
, daß er ein Stück aus Weigel in fein Wahres Chriftentum aufgenommen
habe.

Auch die Entstehungsgefchichte feiner Schriften wird
ftellenweis klarer. Die erfte Ausgabe des erften Buchs
vom Wahren Chriftentum wird auf 1605 feftgelegt und
die große Korrektur zur orthodoxen Lehre hin, die 1606
fchon ftattfand, durch eine Gegenüberftellung zweier Textproben
gut veranfchaulicht. Zu den allgemein bekannten
Quellen des Wahren Chriftentums tritt noch Raymund von
Sabunde für Buch IV. Teil IL, wie Koepp nach einer
verfchollenen Andeutung von F. Galle genauer feftftellt.
In der Charakterfchilderung Arndts tritt mehr der fchroffe
Willensmenfch in den Vordergrund.

Die hiftorifche Stellung, die Arndt zugewiefen wird,
ift die, daß er der Vater der neuen Gläubigkeit ift (S. 84),
die bezeichnet ift durch Einführung und innige Ein-
fchmelzung myftifcher Frömmigkeit in das Luthertum (S. 9).
In diefem Urteil wird nun wohl eine gewiffe Korrektur
eintreten müffen infolge der bedeutfamen Veröffentlichung
von P. Althaus, Zur Charakteriftik der evangelifchen
Gebetsliteratur im Reformationsjahrhundert, 1914. Auch
Koepp kennt Vorläufer Arndts in der Erbauungsliteratur,
aber eben diefe ,behält ja ... im ganzen durchaus bib-
lifch-lutherifchen Charakter' (S. 13), obgleich Koepp fie
S. 74 ,noch fo gut wie unerforfcht' nennt. Durch Althaus
' Nachweife erfahren wir, daß die Erbauungsliteratur
feit etwa 1550 in einem bisher ungeahnten Maße von
katholifchen Erzeugniffen abhängig ift, und, was das Merkwürdige
ift, nicht nur von der mittelalterlichen Myftik,
fondern ebenfofehr von den zeitgenöffifchen jefuitifchen
Produkten. Durch zahlreiche Kanäle ftrömte diefe Frömmigkeit
in die lutherifchen Gebetbücher und damit in die
Volksfrörnmigkeit. Auch Koepp hat dergleichen gelegentlich
richtig vermutet (S. 75), aber ohne Sicherheit und
ohne die Konfequenz zu ziehen. Diefe befteht darin, daß
Arndt nicht der erfte Einführer der neuen Frömmigkeit
gewefen ift, fondern fie vorgefunden und dann allerdings
zu großen Wirkungen gebracht hat. Durch ihn ift fie u. a.
zum Streitgegenftand der Theologen geworden. Indem
Arndts große Tätigkeit einen breiten hiftbrifchen Hintergrund
gewinnt, muß fich auch das Urteil über feine Bedeutung
, ja über feine Wirkung auf die breite Maffe notwendig
verfchieben. Damit ift nicht gefagt, daß Koepp
ihn falfch gezeichnet habe, fondern nur, daß er die Zu-
fammenhänge nicht völlig aufweifen konnte.

Mit deren Aufdeckung aber gewinnt auch die Schilderung
und Beurteilung der myftifchen Frömmigkeit
Arndts, die den 2. Teil des Buches (S. 178—296) einnimmt
, erft die rechte Unterlage. Koepp gibt zunächft
eine ,religionspfychologifche'Analyfe des Wahren Chriftentums
als eigentlicher Ausprägung Arndtfcher Frömmigkeit
. Diefe hat den verwickelten Stoff in klarer Weife
trefflich gegliedert und dargeftellt. Sie weift zunächft
nach, daß die Sittlichkeit eine mehr und mehr wachfende
Bedeutung neben den rein religiöfen Gütern des Luthertums
bekommt (wie es ja auch myftifches Erbteil ift).
Sodann fchildert der Verf. die eigentlich myftifchen Fröm-
migkeitselemente Arndts, die in ihrer forgfältigen Zu-
'ammenftellung einen ftarken Eindruck von Arndt, dem
Myftiker geben, bis hinauf zu der plötzlichen Vereinigung
öl« Gott im Seelengrunde. Trotz aller Brücken zum
Luthertum hinüber tritt hier die wefensfremde Frömmigkeit
der Myftik klar zu tage, und ebenfo zeigt fich die
Myftik bei Arndt als ,Kern und Krone im Luthertum'.
Diefer Schilderung folgt nun eine grundfätzliche Beurteilung
der Myftik im Luthertum (S. 258—296), welche
das Recht der Myftik innerhalb des Luthertums ablehnt,
da ihr Anfpruch auf völligere Inwendigkeit, Unmittelbarkeit
und Gewißheit gegenüber dem hiftorifchen Chriftentum
ohne Grund fei. Damit fällt auch das Erzeugnis der
Myftik, die Lehre von der unio mystica. Arndt hat eine
Katholifierung des Luthertums an der innerften Stelle, in
der Frömmigkeit eingeleitet. Ein Schlußabfchnitt kritifiert
die Myftik überhaupt ablehnend, will aber das myftifche
Element in der Religion davon gefondert und erhalten
wiffen. Diefer letzte Teil des Buches enthält eine Reihe
treffender Beobachtungen, denen wir eine etwas genauere
Ausführung wünfchen möchten; fie würden der verwickelten
Debatte über die Myftik doch einige Klärung geben
können. Freilich müßten fie dann felbftändig gemacht
und philofophifch wie religionsgefchichtlich beffer unterbaut
fein, in diefer Geftalt leiden fie an Kürze und mangelnder
Verarbeitung des Materials z.B. S. 271. 272. 289.
Der an Ritfehl anknüpfende Verf. hätte uns da gewiß
manches Gute zu fagen. Jedenfalls bedeutet fein Werk
die wertvollfte Bereicherung der vorhandenen Arndtliteratur
.

Göttingen. E. Kohlmeyer.

Pfordten, Prof. Otto Freih. von der: Konformismus. Eine
Philofophie der normativen Werte. 2 Tie. gr. 8°. Heidelberg
, C. Winter. M. 10 —

I. Theoretifche Grundlegung. (III, 156 S,) 1910. M. 4—. —
II. Pfychologie des Geldes. (X, 249 S.) 1912. M. 6—.

Der Grundgedanke des Werkes ift der, daß die normativen
Werte nicht willkürliche Hirngefpinfte bedeuten,
fondern dem Wefenskern der Wirklichkeit gemäß, konform
fein müffen. .Nicht alle, fondern ganz beftimmte
erfolgreiche Begriffe erweifen fich als Konformitäten, und
der Einfluß auf das Werden der Dinge ift das entfeheidende
Kriterium'. Der Erfolg beftimmt alfo den Normcharakter
. Das klingt pragmatiftifch. Der Verf. will aber von
den anglo-amerikanifchen Pragmatiften abrücken, deren
begriffliche Unklarheit er trefflich beleuchtet. Und mit
Recht. Denn trotz aller äußerlichen Ähnlichkeit beliehen
doch tiefgreifende Unterfchiede zwifcheh dem gewöhnlichen
Pragmatismus und dem Konformismus. Der erftere
leugnet ein feiles Erkenntnisziel und fchätzt den .Erfolg'
in einem weiteren utilitariftifchen Sinne ab, der letztere
dagegen behauptet ausdrücklich ein beftimmtes Ziel, dem
wir uns afymptotifch nähern, und bemißt den .Erfolg' nach
dem wiffenfehaftlichen Fortfehritt. Der grundlegende
Teil des Werkes demonftriert vor allem auf naturwiffen-
fchaftlichem und geifteswiffenfehaftlichem Gebiete Bei-
fpiele von Begriffen oder Ideen, die dem Kriterium des
Normcharakters genügen. Wir lernen fo die wahrhaft
fchöpferifchen Elemente kennen. Vieles Nebenfächliche
und Tote muß in den Hintergrund rücken. Die bedeut-
famfte Frucht der konformiftifchen Grundlegung dürfte
wohl der Entwurf einer realiftifchen Erkenntnistheorie fein.
Der Kaufalitätsbegriff erfährt hierbei eine befonders eindringende
Analyfe. Der Aufmerkfamkeit der Kantforfcher
fei der Abfchnitt VIII empfohlen, der fleh mit .Kants
Prolegomena' befchäftigt. Der zweite Teil des Werkes
Lucht der pfychologifchen Eigenart des .wertenden und
normbildenden Vermögens' gerecht zu werden. Es find,
wie der Verf. meint, .Akte', in welchen diefes Vermögen
befteht. Die .Akte' haben etwas Momentanes, Blitzartiges.
Sie unterfcheiden fleh von allen Vorgängen und Zuftänden
dadurch, daß fie .nicht gefühlt werden, nicht von Gefühl
begleitet find'. Es gibt für fie keine Vererbbarkeit,
auch keine Erkrankungsmöglichkeit. .Akte' Hellen das
unmittelbare Seelenleben dar. .Vorgänge' und .Zuftände'
erfchließen fich uns nur durch Reflexion. Das ,Ich' bedeutet
nicht etwas Befonderes daneben. Die .Akte' ,kon-
ftituieren' vielmehr das Ich. Das find etwa die Kerngedanken
der Aktpfychologie Pfordtens. Eine Durch-
mufterung der Hauptgebiete des Seelenlebens zeigt dann
noch genauer, in welchem Umfange überall .Akte' be-