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Ausgabe:

1915 Nr. 4

Spalte:

89-91

Autor/Hrsg.:

Peisker, Martin

Titel/Untertitel:

Die Geschichtlichkeit Jesu Christi und der christliche Glaube 1915

Rezensent:

Troeltsch, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 4.

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ichaft als eine Philofophie der Gefchichte. Endlich er- | grenzt, wie es für eine abfolute Gewißheit notwendig
wähnt Drews noch den neuen Spiritualismus von Ravaif- ift. Der Verf. fteuert auf ein analytifches Urteil los der-
fon-Mollien und Vacherot und den Neokriticismus Renou- ; art, daß für den Gott einzig und allein im neuteftament-
viers, der inbezu^ auf die Kategorienlehre, fowie inbezug i liehen Chriftusbild Erlebenden damit eo ipso auch die
auf die Bedenken5 geo-en Metaphyfik und inbezug auf die Wirklichkeit Jefu und feines Werkes gefichert fei, gleich-
Moral fich von Kant beeinflußt zeigt, und die Kantifche | gültig, was eine lediglich rationale hiftorifche Wiffenfchaft

Philofophie in Frankreich eingeführt hat,

In Bezug auf Philofophie in England behandelt er
zuerft den Ütilitarismus von Bentham und deffen Anhänger
James Mill, der das Nützlichkeitsprinzip durch
die Theorie der .Affoziation durch Berührung' pfycho-
logifch zu begründen fucht, und da das gefamte Plandeln
von der Affoziation der Vorftellungen abhänge, durch
Aufklärung, Erziehung und Gefetzgebung die Vorftellungs-
verbindungen zu beftimmen fucht, die zur Herrfchaft gelangen
follen, worin er fleh an Helvetius anfchließt. Der

an bloßen, immer hypothetifchen Wahrfcheinlichkeitsur-
teilen zutage fördern mag. Für den Laien find die fog.
Ergebniffe der hiftorifchen Wiffenfchaft daher gleichgültig
, der gelehrte Forfcher wird beide Verfahrungs-
weifen in fleh zum Einklang zu bringen haben. Dabei
wird er viel Unruhe haben; ,doch fchließt dies nicht
aus, daß fie immer aufs neue auch zu den alten Reful-
taten führt'. Wohin follte das auch fonft führen? Denn
unter Zugrundelegung des Glaubens an das apoftolifche
Chriftusbild als mit dem Glauben an Gott identifch und

Agnoftizismus von Hamilton, Manfel, Stuart Mill und | all feine_ Hauptzüge logifch aus dem Gottesglauben ent-
Bain wird fodann weiter befprochen, und namentlich Mill j faltend, ift man felbftverftändlich mitten im biblifch-kirchin
beachtenswerter Weife kritifiert. Auch wird von ihm liehen Dogma, das man in diefem Falle einfach glaubt
darauf hingewiefen, wie der Agnoftizismus bei Manfel fleh I oder, wie man heute lieber fagt, ,erlebt'. ohne feine einft-
mit einem theologifchen Pofitivismus verbinde, wie in { malige Genefis felbft zum Gegenftand hiftorifcher ratio-
Deutfchland bei dem theologifchen Neukantianismus eines | nalerErforfchung zu machen. Mit der Vorausfetzung folchen

Albrecht Ritfchl. Zum Schluß behandelt er noch die

Entwicklungsphilofophie, die Charles Darwin prinzipiell hat oder zu glaubensfehwach ift, um es gegen die Hypo

,Erlebens' ift alles entfehieden. Wer diefes Erleben nicht

mechanifch zu begründen fuchte, worin ihm Herbert
Spencer folgte, indem er feine Entwicklungslehre mit
religiöfem Agnoftizismus verband, und dicfelbe zugleich
für die foziologifche Entwicklung und die Ethik verwendete
. Mit Recht weift er darauf hin, daß der
Begriff der Entwicklung im Grunde genommen in dem
Spencerfchen Pofitivismus keine Stelle finden könne, da
der Maßftab für Beurteilung des Höheren und Niederen
fehle. Wertvoll wäre es gewefen, wenn Drews feine inte-
reffante Überficht durch eine kurze Vergleichung der ver-
fchiedenen Entwicklung der Philofophie in den drei ge-

thefen der rationalen Hiftorie zu behaupten, verfteht
nichts von der Glaubenswiffenfchaft und gehört nicht in
die Glaubensgemeinde; das möge ihm ftatt jeder Widerlegung
dienen. Der Fortbeftand des Chriftentums liegt
daran, wieviele diefes Erlebnis haben oder zu haben
meinen. Alle übrigen find auszufcheiden. Die Frage ift
nur, ob dabei nicht eine äußerft geringe Zahl übrigbleibt
und ob die fo einfach als Nicht-Erlebende oder
Ungläubige Ausgefchiedenen fich auf diefem Wege von
ihrer Ungläubigkeit und Unehrlichkeit überzeugen laffen.
Auf folche wird die Theorie des Verfaffers nicht wirken;

nannten Ländern abgefchloffen hätte. Auch bekommen 1 aber fie wird allerdings vielen Theologen willkommen fein,

wir nichts näheres von dem Einfluß Kants, Hegels und
Sendlings in England und nichts von der italienifchen,
holländifchen und amerikanifchen Philofophie zu hören.

Königsberg i/Pr. Dorner.

die damit eine feile Zuftimmung zum Chriftusdogma der
Kirche gewinnen und doch durch die Freigabe der nun
ganz unfehädlich gewordenen Hypothefenbildung aller
rationalen Hiftorie ihr wiffenfehaftliches Gewiffen beruhigen
und fich als modern empfinden können. Die Pofition
ift unwiderleglich; fo kann man alle Hunde der hiftorifchen
Pe.sker, Paft. Lic. Mart: Die Gelchichtlichkeit Jefu Chrifti Kritik loslaffen und fie doch jeden Moment wieder zurück-
u. der chriftlicheGlaube. Einemethod.Studie. (Sammlung j pfeifen. Denn folches ,Erleben' wird jederzeit die bloßen
gemeinverftändlicher Vorträge u; Schriften aus dem I rational-hiftorifchen .Hypothefen' auf ein mit dem Glauben
Gebiet der Theologie u.Religionsgefchichte 74)(;^S) verträgliches Maß zurückführen, wie es der Verfaffer in
gr. 8». Tübingen, J. C. B. Mohr 1913. M. 1 20 ! fT™ fchlußkapitel an den Wundern Jefu und an der leib-

s 5 ' J _J • - u I liehen Auferftehung veranfehauhcht. So kann das Dogma

Der Verfaffer fetzt voraus, daß die chriftliche Er- j jede Gefchichte korrigieren. Freilich würde das jedes
löfungserfahrung an Perfon und Werk des gefchichtlichen i Dogma, das Mariendogma, das Papftdogma ufw. auch
Jefus gebunden ift. Andererfeits entfeheidet er fich dafür, | können und eben fo unwiderleglich fein, wenn man fich
daß die hiftorifche Evangelienforfchung auch im günftigften einmal entfchloffen hat, es unter dem Schutz des ,Erleb-
Falle nur Wahrfcheinlichkeitsurteile darbietet, auf die ein I niffes' zu bergen. Das ift eine Konfequenz, der der VerGlaube
der angegebenen Art fich nicht begründen läßt, faffer vermutlich auch garnicht ausweichen würde. Erwürde
,Soll in diefer Verlegenheit der chriftliche Glaube feine ' wohl fagen, daß in der Tat auch hier das Erlebnis entGewißheit
behaupten können, fo kann er dies nur in der fcheide und der wahre Glaube feine echten Erlebniffe
Weife tun, daß er denNachweis führt, noch auf anderem [ von den unechten Erlebniffen eines falfchen Glaubens wohl
Wege als dem der rationalenGefchichtsforfchung , unterfcheiden könne. Das ift eine freilich fehr fpezififch-
der Frage nach der Exiftenz und Erkennbarkeit Jefu bei- j theologifche Methode der Erkenntnis, bei deren Befolgung
kommen und fie auf diefem Wege in pofitivem Sinne ' die Luft zu den an fich doch zwecklofen rational-hiftorifchen
ficher entfeheiden zu können. Diefen Anfpruch erhebt j Hypothefen den Theologen wenig reizen wird. Er wird
er aber auch, und zwar verzichtet er dabei auf fremde j die letzteren den Philologen überlaffen und, foweit er
Hfife. Ganz ebenfo, wie er in der Frage, ob es einen | fich überhaupt um profane Wiffenfchaft kümmert, deren
Gott gibt, fich auf fich felbft Hellen gelernt hat, fo j Hypothefen fichten, annehmen oder verwerfen,je nachdem
W'U er es auch gegenüber unferer Gefchichtsfrage tun: | fie mit dem Glaubenswiffen übereinftimmen oder nicht,
er behauptet, fie von fich aus mit voller Gewißheit Dann bleibt dem Theologen das Dogma und das Erlebbeantworten
zu können.' Der Verf. begründet diefe Thefe , nis feiner Wahrheit, dem Philologen aber die Wiffenfchaft.
mner reinen .Glaubenswiffenfchaft' in fcharffinniger Aus- i Es ift eine Teilung, die fich heute fchon vorbereitet, man
«nanderfetzung mit den nächftverwandten Lehren von Herr- i müßte denn den Philologen die Befchäftigung mit diefen
mann, Wobbermin undKähler. Er fleht dem letzteren am , Dingen verbieten, da fie in ihrem Fach dazu die Voraus-
"ächften, findet aber auch bei diefem die reine Glaubens- i fetzungen nicht hätten und eine bloße profane Hypo-
pwißheit von Exiftenz, Perfon und Werk Jefu noch nicht j thefenmacherei keinen Wert habe. Vielleicht erleben
10 fcharf gegen alles rationell-hiftorifche Denken abge- 1 wir auch das noch einmal. Die Trennung von Theologie