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Ausgabe:

1915

Spalte:

86-87

Autor/Hrsg.:

Lote, René

Titel/Untertitel:

Du Christianisme au Germanisme 1915

Rezensent:

Lobstein, Paul

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gefamte durch Luther gefchaffene Situation führen zu dem
unerhörten Vorgang, daß die Sache des gebannten
Wittenberger Reformators dem Urteil des Wormfer Reichstages
unterbreitet wird — einem Ereignis, das der mittelalterlichen
Einheit von Staat und Kirche einen Stoß verfetzte
und einer politifchen Verfammlung das Recht beilegte
in kirchlichen Fragen als letzte Inftanz zu entfchei-
den. Tatfächlich hatte damit das Reich ,ohne fich pofitiv
für das Lutherfche Programm zu erklären, doch die kirchliche
Reformfrage in der allgemeineren und vertieften
Form, wie fie fich von unten her geltend machte, formell
an fich gezogen'.

Weiter wird gezeigt, wie die Epoche der Nürnberger
Reichstage von 1522—24 Reich und Reformation noch
weit näher aneinander brachte, indem nunmehr das Reichsregiment
die Sache der Religion in einem Sinne behandelte,
der dazu führte, daß das Reich auch materiell der volkstümlichen
religiöfen Reformbewegung entgegen kam und
durch deren reichsgefetzliche Regelung feine Einheit zu
wahren unternahm.

Der Befchluß des Nürnberger Reichstages von 1524,
daß im Herbft ein neuer Reichstag, eine Nationalverfamm-
lung, die Glaubensfrage vorläufig regeln folle, ift der
Höhepunkt diefer ganzen Entwicklung. Denn das hier be-
fchloffene National-Konzil erfcheint durchaus als zum
Glaubenstribunal fortgebildet, das ohne den Papft zu
fragen fich konftituieren foll.

Gewiß ein Höhepunkt, aber nicht der Höhepunkt
und noch weniger ,zugleich in gewiffer Beziehung der
Schlußpunkt'. Konnte ich bisher ohne Bedenken mit v.
Sch. gehen, fo muß ich hier abfchwenken. Höhe- und
Schlußpunkt der hier ins Auge gefaßten Entwicklung
fällt auf den 31. Juli und 1. Auguft 1526. Bis hierher
hätte die Gefchichte fortgeführt werden muffen. Wir
ftoßen hier auf den noch immer nicht überwundenen Irrtum
, daß das Jahr 1525 mit feiner gewaltigen, fo grell in
die Augen fallenden Bauernerhebung den erften Einfchnitt
in die Reformationsgefchichte bilde, während der Bauernkrieg
nebft feinen unmittelbaren Folgen doch lediglich
als Epifode gewertet werden darf. Grade auf dem Gebiet
der Politik der Reichsftände zeigt fich das auf das
deutlichfte: auf dem Speier er Tage von 1526 knüpfen die
Stände den Faden genau an dem Punkte wieder an, wo
er 1524 — zumeift Dank dem revolutionären Vorgehen
des Kaifers, feinem Rechtsbruch — abgeritten war. Das
Werk, welches man für die geplante Nationalverfammlung
vom November 1524 in Ausficht genommen hatte, nahm
man 1526 zu Speier tatkräftig und mit Ausficht auf Erfolg
in Angriff. Die reichsrechtliche Ordnung der Religions
-Frage ging ausdrücklich darauf aus, die Einheit
des Reiches zu retten, und war als Übergangsmaßregel
fehr wohl geeignet, diefes Ziel zu erreichen. Erft das
neue gewaltfame Eingreifen Karls V. auf diefem Reichstage
bedeutet das Ende des Zufammengehens von Reich
und Reformation, das Hinüberdrängen diefer auf die Bahn
des Territorialismus, ihren ,Bund mit dem Partikularftaat'.

Es ift bezeichnend, daß v. Sch. das ausfichtreiche
erfte Stadium des Speierer Tages überfpringt und (S. 34)
nur deffen Schlußergebnis ins Auge faßt.

Leipzig. Theodor Brieger.

Nitntiaturberichte aus Deutichland nebft ergänzenden Akten-
ftücken. 1585 (1584)—1590. 2. Abteilung: Die Nuntiatur
am Kaiferhofe. 2. Hälfte: Antonio Puteo in Prag
IS87—1589. Bearb. u. hrsg. v. Jofeph Schweizer.
(Quellen u. Forfchungen aus dem Gebiete der Gefchichte
. In Verbindung m. ihrem Hiftor. Infi, zu Rom
hrsg. v. der Görres-Gefellfchaft. XIV. Band.) (CXLVI,
630 S.) Lex. 8°. Paderborn, F. Schöningh 1912. M. 34 —

In der großen, aus zahlreichen Serien beftehenden
Veröffentlichung der ,Nuntiaturberichte aus Deutfchland',

die trotz mancher Breite fchon fo viel wichtiges Material
zur Gefchichte des 16. und 17. Jahrhunderts gebracht hat,
daß ihre Berechtigung nur von dem beftritten werden
kann, der fie nicht kennt, hat die katholifche Görres-
Gefellfchaft in dankenswerter Weife die Serie übernommen,
welche die Jahre des Papfttums Sixtus' V. (1585—90) umfaßt
. Es liegen davon bis jetzt 4 Bände vor, erfchienen
feit 1895. Die beiden erften betrafen die (1584 errichtete)
Kölner Nuntiatur und find von Stephan Ehfes und Aloys
Meifter bearbeitet worden. Dann wurde die Nuntiatur
am Kaiferhofe in Angriff genommen. Nachdem Robert
Reichenberger 1905 einen, nicht gerade muftergültigen
Band über die Nuntien Malafpina und Sega herausbrachte,
ift nunmehr die anfchließende Nuntiatur des Puteo in
Prag (März 1587—Juli 1589), bearbeitet von Jofef Schweizer,
nachgefolgt. Antonio Puteo, Erzbifchof von Bari 1563—
92, war weder an Verftand noch an Willen eine befonders
hervorragende Perfönlichkeit, kein Feuergeift, wie die
katholifche Kirche der Gegenreformation fonft fo manchen
aufzuweifen vermag. So wird es nicht Wunder nehmen,
daß auch die Berichte Puteos zu den verhältnismäßig
minder wertvollen gehören, an Gehalt gegen die Mitteilungen
anderer Nuntien zurückftehen. Immerhin aber
bieten auch fie einen guten Einblick in die Politik und
das Wefen der deutfchen Gegenreformation, deren Aktionen
wie der Straßburger Kapitelftreit, der Kölner Krieg, der
Aachener Religionshader, mannigfache Beleuchtung erfahren
. Die meifte Aufmerkfamkeit widmet der Nuntius
aber den Vorgängen am Kaiferhof, und da tritt namentlich
eine Angelegenheit in den Vordergrund: die polnifche
Thronfolgefrage, der in den Jahren 1586—89 wieder einmal
alle Bemühungen der Habsburger galten, ohne daß
ein dauernder Erfolg von ihnen erreicht worden wäre.
Der Verlauf diefes Handels, "der im Auguft 1587 in Polen
zu einer Doppelwahl (Siegmund von Schweden und Erzherzog
Maximilian) und darauf zu einer faft zweijährigen
Gefangenfchaft des ehrgeizigen, aber wenig befähigten
habsburgifchen Kandidaten führte, ift von Schweizer in
der Einleitung (die fonft etwas dürftig ausgefallen ift) zu
ausführlicher Darftellung gebracht worden. Von rein
kirchlich-katholifchen Fragen, mit denen Puteo fich be-
fchäftigte, ift die Neuordnung der durch die Türken-
herrfchaft in volle Zerrüttung geratenen ungarifchen Ver-
hältniffe hervorzuheben. Der Nuntius hat dabei einen
vergeblichen Verfuch gemacht, die einfeitige Nomination
der ungarifchen Bifchöfe durch den König (Kaifer Rudolf
II.) abzuändern. Auffällig ift, daß manche der großen
Ereigniffe in Europa, wie die Hinrichtung der Maria Stuart
und die Vernichtung der Armada, in den Mitteilungen
des Nuntius, die doch einen guten Teil der Gedanken
und Sorgen des Kaiferhofs widerfpiegeln, keine Rolle
fpielen. — Die eigentlichen Nuntiaturberichte, die im
vatikanifchen Archiv großenteils im Original erhalten find,
werden auch in dem vorliegenden Band wieder in er-
wünfchter Weife durch zahlreiche andere Akten ergänzt.
Warum dabei die, auf S. 527—611 als ,Anhang' gedruckten
Stücke nicht gleichfalls in die allgemeine Reihe, der Zeitfolge
nach, eingeordnet worden find, bleibt unverftändlich,
Die Texte find, foweit fich das ohne Nachprüfung beurteilen
läßt, gut wiedergegeben. Das Regifter könnte
durch reichere Ausgeftaltung, etwa nach dem Mufter der
vom Preußifchen Hiftorifchen Inftitut herausgegebenen
Serien, noch erheblich gewinnen.
Gießen. Robert Holtzmann.

Lote, Dr. Rene: Du Christianisme au Germanisme. Devolution
religieuse au XVIIF siecle et la deviation de
l'ideal moderne en Allemagne. (359 S.) 8°. Paris,
F. Alcan (1914). fr. 3.50

Eine merkwürdige, durch große Belefenheit und ausgebreitete
Detailkenntniffe, aber auch durch eine dem