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Ausgabe:

1915 Nr. 4

Spalte:

82-83

Autor/Hrsg.:

Reitzenstein, Richard

Titel/Untertitel:

Des Athanasius Werk über das Leben des Antonius 1915

Rezensent:

Grützmacher, Georg

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 4.

82

Sitten- und Glaubenslehre zu erteilen. Von da aus gewinnen
Redewendungen, wie diejenige des Paulus in I. Kor. 15,3
(,o xal xaotlaßov') mindeftens der Möglichkeit nach eine
Beleuchtung und ein Gewicht, wie ich a. a. O. nicht erwogen
habe. Alfo R mag wohl eine Vorgefchichte haben,
die anders gewefen, als ich mir zunächft vorgeftellt habe.
Es ift vielleicht doch fo — was ich Bd. I S. 372 noch mit
einem leichten Spott über diefen ,Sternennebel' bei Seite
fchob —, daß R nur als eine Formel unter Vielen ähnlichen
entftanden ift. Aber ich halte noch immer zweierlei
für wahrfcheinlich und finde auch bei Thieme keine
Gründe, die mich fchwankend machten, nämlich 1) daß
Rfelbftnicht allmählich, mehr oder weniger ,freiwüchfig' fich
kryftallifiert habe, fondern von einem ,Autor' zu feiner
Zeit uno actu gefchaffen (als Carmen ,gedichtet') worden,
2) daß es dem Inhalte nach eine eigentümliche Totalauf-
faffung des chriftlichen Glaubens (den paulinifchen Meffias-
glauben in einer gewiffen Vulgarifierung) ausdrücke. Für
beides habe ich viele Gefichtspunkte beigebracht, die noch
der Würdigung harren und nicht dadurch erledigt werden,
daß man fie, wie es mir fcheint, kaum überlegt. In einer
Schrift, wie derjenigen von Thieme, ift freilich kein Raum
für eingehende Auseinanderfetzungen mit meiner umfangreichen
, viel verwobenen Begründung meiner Grund-
anfchauung über R. So nehme ich bei ihm es nur mit
demjenigen Bedauern, das ja wohl jeden befchleicht, der
feine wichtigften Gedanken kurz bei Seite geftellt findet
bei Mitforfchern, auf deren Urteil er Gewicht legt, zur
Kenntnis, daß ich auch ihn nicht überzeugt habe. Thieme
ift mit feinen andersartigen Gedanken in guter Gefellfchaft.
So werde ich natürlich fortfahren, angefichts auch feiner
Ablehnung meine Hypothefen (um mehr als folche handelt j
es fich bei dem ja nicht, was ich vertreten habe) ernftlich
und immer neu zu prüfen. Und willkommen ift es mir
auch, daß er doch mannigfach in der Einzeldeutung des
Symbols mir zuftimmt. Aber vorerft bin ich nicht in der
Lage, über beftimmte Grenzen hinaus nachzugeben. Nur
in einem nicht unwefentlichen Punkte glaube ich wahrfcheinlich
noch nachgeben zu müffen, nämlich infofern,
als es wohl nicht angeht, Cafparis Grundgedanken, daß
es einen okzidentalifchen und einen orientalifchen Symboltypus
gegeben habe, fo beftimmt auszufchließen, als ich
tat. Eine Menge von Argumenten, die ich beigebracht,
find ja noch nie beachtet, gefchweige befeitigt worden — i
wie bedeutfam ift z. B. allein, was ich bei Melito von
Sardes Bd. II, S. 302 herausftelltel — aber es mag fein,
daß meine Feftung zwar nicht zu erftürmen, aber zu um- I
gehen und deßhalb zu räumen ift. Bis zur Erörterung
diefer Frage brauchte Thieme freilich bei feiner begrenzten
Themafaffung nicht fortzufchreiten; eine Gefamtgefchichte
des Tauffymbols der alten Kirche hat er fich nicht vorgenommen
. — Für das wertvollfte Kapitel in Thiemes
Buch halte ich das dritte, das dem jüngeren Apoftoli-
kum' (der unter uns noch gültigen Form T, wie ich es
mit einer Sigle für ,textus receptus' genannt habe) gilt.
Was Th. hier zur hiftorifchen Auslegung bringt, überbietet
in bedeutfamen Punkten das, was ich vorgebracht
habe; ich anerkenne befonders gern als neu und wertvoll,
was er S. 94fr. über ,Sündenvergebung' und ,gelitten' (im
Anfchluß an Auguftin und feine Lehre vom .demütigen
Gott') heranzieht.

Die Schrift von Goetz fteht in den hiftorifchen
Anfchauungen, die fie vertritt, mir näher als die von
Thieme, auch fie doch nicht in einer Abhängigkeit, die
des eigenen Urteils ermangelte. Sie ift ein gutes (Volksbuch
'. Sowohl Thieme als Goetz find durch die Wirren
der zwei letzten Jahrzehnte, zumal der neueften Zeit, die
fich an die Stellung des Apoftolikums in der Liturgie und
bei der Konfirmation angefchloffen haben, veranlaßt. Beide
bemühen fich um eine gerechte Würdigung des alten
Bekenntniffes, das durch Luther zumal auch den deutfchen
evangelifchen Chriften an das Herz gelegt und, das darf
man fagen, vielen darunter an das Herz gewachfen ift.

Thieme findet in höherem Maße ein pofitives Verhältnis
zu ihm als Goetz, der als Pfarrer zu Dortmund ja auch
auf heißerem Boden fteht. In nie verfagender Gewiffen-
I haftigkeit erwägt Th. im ganzen und im einzelnen das
Maß evangelifchen Glaubensverftändniffes das in dem
I Symbol, T fo gut wie R, fich kundgibt. Er kämpft mit
! Schärfe gegen Traubs agitatorifche Art,wider esStimmung
zu machen, und legt doch ohne Scheu auch dar, wie überfliegen
, ja einfach unevangelifch, unlutherifch die Orthodoxie
' bei uns (die ,Allg. luth. Kirchenzeitung' u. a.) ihm
oft einen Wert zufchreibe. Ich felbft könnte mich eher
noch freudiger zu dem Apoftolikum im Gottesdienft und
in der Kinderlehre Hellen, als Thieme tut. Aber ich verliehe
doch die Gewiffensnöte vieler unferer Paftoren und
Laien. So würde ich felbft es ohne alle Bedenken fo
fprechen, wie es in der altpreußifchen Agende vorge-
fchrieben ift. (Thieme bemerkt dazu ebenfo notwendiges
wie richtiges.) Aber ich wünfche doch eine Freilaffung
für ängftliche Gewiffen, am meiften die Einftellung eines
Bekenntnisliedes (wie ich es z. B. in der heffifchen Kirche
kennen und fchätzen gelernt habe).

Die kleine Schrift von Urfinus ift als eine Anleitung
für die Behandlung des Symbols in höheren Schulen, zumal
in Gymnafien gedacht und kann manchem Lehrer
einen Dienft tun. Wiffenfchaftliche Bedeutung bean-
fprucht fie wohl nicht. Aber fie ruht auf rechtfchaffenen
Studien.

Halle a. S. F. Kattenbufch.

Reitzenltein, Rieh.: DesAthanafius Werk über das Leben des
Antonius. Ein philolog.BeitragzurGefchichte desMönch-
tums. (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der
Wiff. Philof.-hiftor.Kl. Jahrg. 1914, 8. Abhandig.) (68 S.)
gr. 8°. Heidelberg, C. Winter 1914. M. 240

R. fetzt fich in vorliegendem Auffatz mit K. Holl auseinander
, der die Vita Antonii des Athanafius in feiner
Arbeit ,über die fchriftftellerifche Form des griechifchen
Heiligenlebens' N. J. f. klaff. Altertum 1912 als typifches
Vorbild des griechifchen Heiligenlebens dargeftellt und
den Unterfchied der chriftlichen Darftellungsform von der
klaffifchen Biographie darin gefunden hatte, daß dem
Chriften die Lebensbefchreibung nur Mittel ift um ein
Ideal zu veranfehaulichen. Der Held dringt von Stufe zu
Stufe in ununterbrochenem Kampf gegen das Böfe zu
dem Ziel, das im Jenfeitigen liegt. R. gibt nun, um feine
von Holl abweichende Auffafiung der Vita Antonii zu
begründen, eine eingehende Analyfe des Werkes, in der
er mehrfach von der Hollfchen Dispofition abweicht Nach
R. wird im erften Teil der Vita das Bild des Gründers
eines Gottesftaates in der Wüfte, im zweiten das Bild des
Anachoreten, der den Zerftreuungen der Welt entfliehen
und allein bleiben will, gezeichnet. Athanafius ahmt dabei
in feinem Werk die Kunftform des antiken ßiog, die
er kannte, wenn auch mit Ungefchick nach. Den Nachweis
von Holl, daß Athanafius als nächftes Vorbild einen
uns verlorenen ßiog lIv&ayoQov benutzt hat, macht fich
R. zu eigen. Er zieht aber daraus die Folgerung, daß
der alexandrinifche Bifchof aus diefem ßiog auch feine
Auffafiung der Askefe entnommen hat, wonach diefe nicht
auf die Vernichtung des Körpers, fondern auf feine Unterwerfung
, auf die Herftellung des ufprünglichen Zuftandes
der wahren Natur des Menfchen ausgeht. Das philofo-
phifche Idealbild des über allem Irdifchen flehenden vollkommenen
Weifen hat Athanafius ins Chriftliche übertragen
. Im Gegenfatz dazu fteht nur der eigentümliche
Gedanke des Kampfes gegen die Dämonen, der nach R.
aus einer volkstümlichen Wurzel flammt. Die Einwirkung
der pythagoreifchen Literatur auf einen Teil der früheften
Mönchserzählungen ift damit erwiefen, und R. geht dem
weiter nach und führt auch die beiden Formen des chriftlichen
Mönchtums, die cönobitifche und anachoretifche, auf