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1915 Nr. 3

Spalte:

68

Titel/Untertitel:

Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts. 3. Jahrg 1915

Rezensent:

Knoke, Karl

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 3.

68

liehe Entdeckung gewartet, um ihn, ihren Objekten angepaßt, in ihre
Forfchung und ihre Methoden hereinzuziehen. Aber geht es an, daß man
mit dem Vertaner alles in ihn hineinfchmelzen lade? Bedenken erregt
es fchon, daß der Begriff der Entwickelung an fich das Merkmal eines
Ziels gar nicht enthält. Die Entwickelung hört auf, wenn der Faden
abgewickelt ift; im Falle er den Charakter der Unendlichkeit hätte, wäre
damit der Zielbegriff felbft aufgehoben. Genau durchdacht ift die Bezeichnung
der Entwickelung als einzigen Prinzips der Welterklärung, lediglich
ein neues Wort, ein Mythos für die Vorftellung des Welteies in alten
Kosmogonien; nur in die Denk- und Sprachweife der Gegenwart übergeformt
. Und ungelöft bleibt die Hauptfrage, woher kommt denn in dem
Abwickelungsprozeß die treibende Kraft? Damit, daß das vom Verfaffer
angenommene unveränderliche, gleichartige' Sein zugleich als Energiequelle
gedacht und bezeichnet wird, ift fie ficher nicht gelöft. Energiequelle
ift eben auch ein Wort, einer von jenen vom Verf. viel verwendeten
Kunftausdrücken, die als Abbreviaturen von Denkprozeffeu, Hypothefen
und dgl., (— manchmal auch bloß als Ausfüllung von Begriffslücken vgl.
z. B. S. 80) für den Forfcher felbft nützlich und unter L'mftänden unentbehrlich
find, aber durch ihre bloße Ausfprache nichts erklären, fondern
felbft der Begründung und Erklärung bedürfen; Denkklammern, die den
Objekten nicht durch die Erfahrung, fondern durch den Denkenden aufgezwängt
werden. Worauf die Beobachtung führt, ift, wie auch der Verf.
felbft öfter bemerkt, ja doch dies, daß in jeder neuen Stufe des Werdens
trotz aller vorbereitenden Bindung mit der vorangegangenen, ein neuer
Durchbruch des Seins in's Werden Bedingung ift, unerklärbar (oder wie
der Verf. gern fagt ,noch nicht erklärt') in feinem Vorgang, aber eine
neue Geftalt begründend, die das Sein fich gibt, bis es zur Menfchwerdung
gelangt. Das ift aber nicht Entwickelung, in deren Begriff es liegt, daß
die treibende Kraft eine einheitliche und ftetige ift. Und gefetzt, fie
wäre auch in den verfchiedenen Durchbrächen des Seins immer die nämliche
, woher dann das Durchbrechen im Sein felbft, wenn doch der Verf.
oft und ftark hervorhebt, Bewegung immer nur aus Bewegung folgt, Bewegung
aber in dem ,ununterfcheidbaren, unveränderlichen, immer fich
felbft gleicher Sein' nicht gedacht werden kann? Überall zeigt fich das
Bedürfen, für die Entwickelung über fich und das leere Sein hinaus eine
Bafis zu fuchen, die fie in fich felbft nicht hat. Und fo finden wir denn
den Verfaffer reichlich bemüht, diefe Bafis zu Ichaffen. Wiederholt fpricht
er vor einem Welt- und Heilsplan im reinen Sein (S. 101. 138. 215 ufw.),
der die Entwickelung dirigiert; im Werden zeigen fich als Wefensmerk-
male des Seins Kraft und Gefetzmäßigkeit; aus ihm ftrömt das Leben
u. f. f. Kurz aus der Entwickelung und dem allein der Beobachtung unterliegenden
, ftets körperlichen Werden erhebt fich eine Welt überfinnlicher
Begriffe bis hinan zu den höchften ethifchen Vollkommenheiten der Gottheit
; eine Metaphyfik, die eiufchließlich der Vorftellung des reinen Seins
felber wohl in die Phyfis hineingedacht werden kann, aber Wurzel und
Subftanz nicht in der Welt der Sinne und der naturwiffenfehaftlichen Beobachtung
hat. Es handelt fich bei dem Gegenfatz der neuen Wahrheit,
bei der der Verf. ehrlich und beredt Stellung nimmt, gegenüber der alten
nicht um einen Gegenfatz von Wiffen und Glauben, fondern von Glauben
und Glauben. Es wäre ein mächtiger Schritt zu der vom Verf. gewollten
Verhöhnung, wenn er den Schluß zöge, zu dem feine Darlegungen drängen:
daß auch die Naturwiffenfchaft, um zu einer umfallenden und in fich felbft
ruhenden Welterklärung zu gelangen, ihre Beobachtungen in den Grund
des Glaubens einfchlagen muß. Er zieht ihn nicht; und ich fürchte, daß
auch fchon von philofophifcher Seite die Neuheit der von ihm verkündeten
Wahrheit gegenüber dem Überlieferten in Frage geftellt werden
wird: trotz des Einfchlages fpinoziftifcher, Herderfcher, Hegelfcber
Gedankengänge blickt doch gar zu deutlich das alte materialiftifch-pan-
theiftifche Grundgewebe der Stoa hindurch. Und noch weniger wird die
Religion felbft ohne Weiteres bereit fein, die Säulen der alten Wahrheit,
auf der fie fleht, mit dem vom Verfaffer gebotenen neuen Fundament
zu vertaufchen, wie gern fie auch die warmherzigen und beredten Ausführungen
würdigen wird, mit denen der Verfaffer mehr wie einmal die
unendliche Überlegenheit und Bereicherung gegenüber dem Überkommenen
zu empfehlen bemüht ift, die aus feinen Darlegungen entfpringe. Wenn
er fofort im Eingang und dann wiederholentlich als evidente Forderung
naturwiffenfehaftlicher Anfchauung den Verzicht auf den Satz des Paulus,
daß der Tod der Sünde Sold, und auf die mit diefem Satz zufammen-
hängende Verföhnungs- und Erlöfungslehre mit aller Schärfe fordert, fo
wird chriftlichem Denken die Gegenfrage erlaubt fein, ob nicht grade
aus feinen Darlegungen über die fpezififche Weltftellung des Menfchen
als der höchften Geftalt göttlichen Wirklichwerdens der Schluß zu ziehen
fei, daß Paulus auch im Tode des Menfchen etwas befonderes zu fehen
berechtigt gewefen, und auch heute fich weigern würde, aus der Tatfache,
daß längft von dem Menfchen die foffilen Gebeine der Maftodonten das
Dafein des Todes in der Welt bezeugen, einen bündigen Schluß auf das
zu ziehen, was es mit dem Tode des Menfchen auf fich habe ufw. Und
nicht bloß die chriftliche, fondern jede Frömmigkeit wird den Entfchluß
hochbedenklich finden, einen Gott, der erft in der Welt wirklich wird
und erft in ihr felber Menfch werden foll, gegen den ewigen Gott ein-
zutaufchen, der in und über der Welt von je gewefen ift, und den fie in
völligem Vertrauen anrufen kann. — Bei alledem wird aber unter dem
Gefamteindruck des Buches jede billige Beurteilung dabei verharren, daß
es bei allen, die für die großen Menfchheitsfragen fei es ein wiffenfehaft-
liches fei es ein religiöfes Intereffe haben, ernfte Beachtung verdient.
Nicht bloß um der tapfern Gefinnung willen, mit der der Verf. eine Aufgabe
in Angriff nahm, die über die Kräfte eines Einzelnen, ja auch einer
Generation hinausgeht, und wegen der Lauterkeit und Warmherzigkeit, die
dem Frieden und der inneren Hebung der Menfchheit dienen will, fondern

auch, weil das Buch vielen vieles bringt und von keinem ohne die Frucht
mannichfacher Anregung, Bereicherung und des Antriebes zu eigener
Weiterführung wichtigfter Gedankenreihen gelefen werden wird.

Berlin. P. Kleinert.

Zeitfchrift für Gefchichte der Erziehung und des Unterrichts.

(Neue Folge der ,Mitteilungen der Gefellfchaft f.
deutfehe Erziehungs- u. Schulgefchichte'.) 3. Jahrg.
(T-V, 335 S.) gr.8°. Berlin, Weidmann 1913. M. 8 —

Der zur Befprechung vorliegende 3. Jahrg. diefer
Zeitfchrift enthält wiederum eine größere Anzahl beachtenswerter
Abhandlungen aus dem Gebiete der hiftorifch-
pädagogifchen Einzelforfchung. Unter der Rubrik ,Quellen
und Abhandlungen' werden 10 folcher Auffätze mitgeteilt
. Der verdienftvolle Comeniusforfcher Prof. Kvacala
berichtet über ,die letzten autobiographifchen Aufzeichnungen
des Comenius' S. 1 —15. Es handelt fich um
Verteidigung feiner Panfophia gegen die Angriffe des
Groninger Profeffors Marefius. Rektor Wienecke fpricht
über ,die Begründung der evangelifchen Volksfchule in
der Kurmark ufw.' S. 16—69 und bringt dabei manche
Einzelheiten, durch welche das Bild, welches wir ohnedies
von der deutfehen Schule um die Wende des 17.
und 18. Jahrhunderts haben, mit charakteriftifchen Einzelzügen
illuftriert wird. Höchft intereffant ift eine Arbeit
S. 87—96 über die ,Austrieb- und Kirfchenkerne', welche
nach älteren Urkunden den Lehrern als Teil ihrer Na-
turalbefoldung geliefert werden mußten, in der Überzeugung
, den Pädagogen Arzneimittel zu gewähren,
welche gerade für die Gefunderhaltung diefer Klaffe von
Menfchen in ihrem Berufe dienlich feien. Wertvoll ift
auch der Auffatz ,Zur Entftehungsgefchichte des Orbis
pictus' von Comenius S. 169—193. Dasfelbe gilt von
dem Berichte ,über die emblematifche Methode des Joh.
Buno' S. 243—252. Zur Ergänzung diefes Auffatzes
verweife ich auf meine Abhandlung: Joh. Buno und
feine emblematifche Unterrichtsmethode' (Rheinifche
Blätter für Erziehung und Unterricht. 73. Jahrg. 1899
S. 11—37), wo noch über andere Werke Bunos berichtet
wird, als welche hier erwähnt find, z. B. über da Memo-
riale Iuris Civilis. Hamburg 1673, das Memoriale Codicis
Iustinianei. Hamburg 1674, fowie das Biblifche Memorial
. Wolfenbüttel 1674 und die Bilderbibel. Hamburg
1680. Einen geharnifchten Artikel veröffentlicht Prof.
Schwartz unter dem Titel: ,Preußifche Schulgefchichte
in polnifcher Beleuchtung' S. 253—304. In ihm erhält
der Krakauer Privatdozent Karbowiak eine verdiente
Abfertigung für feinen mehr als animofen Angriff gegen
die verdienftvolle Arbeit von Schwartz über die Ge-
lehrtenfchulen Preußens 1787—1806, die in diefer Zeitfchr.
1913 Sp. 536—538 angezeigt ift. Der neue Jahrgang
enthält außer den längern Auffätzen auch noch Bücher-
befprechungen und Nachrichten z. B. über die General-
verfämmlung der .Gefellfchaft für deutfehe Erziehungsund
Schulgefchichte' vom 23. Mai 1913 in Darmftadt
S. 152—166, fowie über die Tätigkeit einzelner Landesgruppen
diefer Gefellfchaft. So ift alfo der Inhalt der
Zeitfchrift auch diesmal wieder reich und wertvoll.

Göttingen. K. Knoke.

Referate.

Morin, Dom Germain, O. S. B.: I'ldeal monastique et la vie chre-
tienne des premiers jours. 2. 6d., revue. (227 S.) kl. 8». Abbaye
de Maredsous (Belgique). — Paris, Beauchesne & Cie. 1914.

fr. 2.50

Es handelt lieh um vollftändige Wiedergabe einiger, zuerft im
Messager de Saint Benoit verkürzt gedruckten Anfprachen, die
Morin vor mehr als zwanzig Jahren feinen Ordensbrüdern gehalten
hat. An der Hand von Apoftelgefchichte 2, 37— 46 werden folgende