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Ausgabe:

1915 Nr. 3

Spalte:

59-63

Autor/Hrsg.:

Wappler, Paul

Titel/Untertitel:

Die Täuferbewegung in Thüringen von 1526 - 1584 1915

Rezensent:

Barge, Hermann

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 3.

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Begue hervorgerufen worden fei. In der vorliegenden
fcharffinnigen Schrift zeigt nun aber Greven, daß Kurth
nur durch irrige Quellenbehandlung zu feinen Ergebniffen
gelangt ift. Alle Quellen fprechen vielmehr für Greven
und gegen Kurth. Greven zieht auch neue Quellenzeugniffe
heran, namentlich einen Sermo ad virgines et iuvenculas
von Jakob von Vitry, aus dem bisher nur die Exempla von
Th. Fred. Crane, The exempla of Jacques de Vitry, London
1890, bekannt gemacht worden waren. Insbefondere
beftätigt fich auch Grevens Thefe, daß den Beginen diefer
Name von ihren Gegnern, verweltlichten höheren Geift-
lichen, beigelegt worden ift, um fie mit dem als Ketzer
verurteilten Lambert le Begue zufammenzubringen und
um ihre Orthodoxie und kirchliche Korrektheit zu verdächtigen
, fodaß alfo nicht davon die Rede fein kann,
daß Lambert die Bewegung erweckt habe. Im Anhang 1
erweift Greven als Todesjahr Lamberts 1177. Im Anhang
2 beantwortet er die Frage: Wie entftand der Be-
ginenhof St. Chriftoph in Lüttich? Nach Kurth foll Lambert
le Begue diefen Hof als den erften aller folcher Inftitute
und als deren Vorbild gegründet haben. Dagegen beweift
Greven, daß er .neben andern Höfen in ganz typifcher
Form' entftanden ift; genau fo haben fich in Tongern und
Looz Schweftern um bereits beftehende Hofpitäler gefchart.
In der Nachfchrift endlich fetzt fich Greven kurz auseinander
mit den Einwänden, die Hauck in der neuen
Auflage des 4. Bandes feiner Kirchengefchichte Deutfch-
lands (Leipzig 1913) gegen fein Buch erhoben hatte. Am
wichtigften ift das dritte von Hauck geltend gemachte
Bedenken: Greven laffe ,die Eigenart des Beginenwefens,
fein bewußtes Abrücken vom mittelalterlichen Klofter-
gedanken, unerklärt'. Demgegenüber betont Greven, daß
die Quellen zur Genefis des Beginentums zeigen, daß jene
frommen Frauen fich ihr «emeinfchaftliches Leben nicht
fchufen in Abwendung vom Kloftergedanken, fondern
vielmehr, weil die Klöfter die Mengen der dahin fich
drängenden nicht zu faffen vermochten. ,Das urfprüngliche
Beginentum gehört eben nicht, wie Hauck will, zu jenen
Ausdrucksformen religiöfen Lebens, die von der kirchlich-
klöfterlichen Gebundenheit des Mittelalters hinwegführen
zu einer laienhaften Frömmigkeit, fondern es ift eine Frucht
jener tiefen Wirkung, die das mittelalterliche Klofterwefen
in feiner Vollkraft auf die breiteften Schichten des Volkes
ausgeübt hat'. — Nicht anders fleht es mit den fratres de
vita communi, mit denen fich Greven vielleicht auch noch
einmal befchäftigen wird.

Zwickau i. S. O. C lernen.

Wappler, Paul: Die Täuferbewegung in Thüringen von 1526

—1584. Namens des Vereins f. Thüringifche Ge-
fchichte u. Altertumskde. hrsg. v. der thüring. hiftor.
Kommiffion. (Beiträge zur neueren Gefchichte Thü=
ringens, Bd. EL) (XIII, 541 S.) gr. 8°. Jena, G. Fifcher
1913. M. 15 —

Durch Wapplers Arbeiten über die Wiedertäufer in
Mitteldeutfchland ift der Horizont der reformationsge-
fchichtlichen F'orfchung wefentlich erweitert worden. Gerade
in dem Urfprungslande des Proteftantismus blieben
die abfeits vom ftrengen Kirchentum liegenden religiöfen
Erfcheinungen bis in unfre Zeit hinein vernachläffigt.
Insbefondere für die Zeit nach der Auseinanderfetzung
Luthers mit feinen Widerfachern Karlftadt und Münzer
fehlte es völlig an Arbeiten über das proteftantifche Sektierertum
in Kurfachfen. Hochhuths Arbeiten über die
heffifchen Wiedertäufer und Jacobs forgfältige Studie über
die Wiedertäufer am Harz legten zwar die Annahme !
nahe, daß auch das kurlächfifche Territorium von fek-
tiererifchen Regungen nicht freigeblieben fei; aber den
Nachweis dafür, in wieweit fie um fich gegriffen haben,
und welches religiöfe Gepräge ihnen zukommt, hat erft
Wappler geführt.

In der vorliegenden Publikation ift das Täufertum
in Thüringen — und zwar fowohl im erneftinifchen als
auch im albertinifchen Teile des Landes — erfchöpfend
behandelt. Die peinliche Genauigkeit, mit der der Ver-
faffer das Weimarer, Dresdner, Marburger, Hennebergifche,
Mühlhaufener Archiv auf Täuferakten hin unterfucht hat
(ihr Abdruck umfaßt mehr als die Hälfte des ganzen
Buches), bürgt dafür, daß nichts Wefentliches ihm entgangen
ift. Nur ganz gelegentlich regt fich das Verlangen
nach Ergänzung des mitgeteilten Materials: fo
hätte fich der vollftändige Abdruck des intereffanten
offenen Briefes des Klaus Ludwig an Juftus Menius vom
22. Juli 1552 gelohnt (S. 204); ferner hätte fich über das
Aufkommen der Wiedertäufer in Orlamünde und Umgegend
nach Karlftadts Weggang von Orlamünde noch
einiges mehr fagen laffen (S. 137, vergl. meinen Karftadtll,
S. 142). Etwas mißlicher empfindet man den Umftand,
daß fich der Inhalt des vorliegenden Buches vieler Orten
kreuzt mit dem der früheren Veröffentlichung Wapplers
,Die Stellung Kurfachfens und des Landgrafen Philipp
von Heften zur Täuferbewegung' (Münfter 1910). Schon
um des willen, weil auch in diefem wichtiges auf das
Thüringer Täufertum bezügliches Aktenmaterial voröffent-
licht war, ift man genötigt, beide Werke nebeneinander
zu benutzen; zudem wird in unferm Buche vieles wiederholt,
was fchon in dem früheren gefagt war. Die Verarbeitung
des ganzen Stoffes in einem Buche wäre zweifellos zweckdienlicher
gewefen. Wenn fie nicht erfolgte, fo gefchah
es wohl deshalb, weil der Verfaffer, als er fein früheres
Opus in Angriff nahm, an eine Behandlung des gefamten
thüringifchen Wiedertäufertums noch nicht dachte.

Die Darftellungsweife des Verfaffers ift rein defkrip-
tiv. Sie geht darum auf die Befonderheiten und Einzelheiten
der wiedertäuferifchen Vorgänge ein. Über die
Schickfale einer großen Menge von Wiedertäufern werden
wir aufs genaufte unterrichtet — auch wo ihre Verfolgungen
, Wanderungen und Irrungen nicht unmittelbar
von religionsgefchichtlichem Intereffe find. Mag bei diefem
Verfahren auch das Ganze gelegentlich in eine Reihe
einzelner monographifcher Schilderungen zerlaufen: wer
wollte darum den Verfaffer tadeln? Bei der von ihm
j behandelten, fo umftrittenen und in fich fo widerfpruchs-
vollen Materie war es für die endgiltige Klärung der
Meinungen ficherlich von hohem Werte, daß zunächft
einmal ausführlich das ganze Material der Forfchung
unterbreitet wurde.

Die letzten religionsgefchichtlichen, bez. religions-
pfychologifchen Folgerungen aus ihm hat Wappler nicht
gezogen. Bei dem wertvollen Gehalte feiner Einzel-
ergebniffe und der Bedeutung des Gefamtproblems ift
indeffen gleichwohl ein Hinweis darauf am Platze, nach
welcher Richtung hin durch Wapplers Arbeit die herkömmlichen
Vorftellungen vom Wefen des deutfchen
Täufertums berichtigt werden dürften.

Ernft Troeltfch läßt in feinen .Soziallehren der chrift-
lichen Kirchen' durch das Sektierertum ,die Kritik und
Oppofition einer individualiftifch-perfönlichen, ftreng ur-
chriftlich ethifchen und die Mafien bei Seite fchiebenden
Chriftlichkeit' verkörpert fein (S. 811), die im Gegenfatze
zu dem die Herbheit der urchriftlichen Ethik mit den
Forderungen der Alltagsmoral ausgleichenden Kirchentum
flehe. .Kritik und Oppofition' bedeutet aber einen
Mangel an fchöpferifcher Urfprünglichkeit! In der Tat:
nach Troeltfch lebte die täuferifche Bewegung ,von der
Oppofition und machte gegen die Entwicklung der Reformation
Elemente geltend, die diefe felbft mit enthalten
hatte', die fie aber fehr rafch mit den Aufgaben einer
die weltliche Kultur rezipierenden Volkskirche hatte ver-
fchmelzen laffen' (S. 808). So ordnet fich bei Troeltfch
auch das deutfche Täufertum dem Komplex derjenigen
chriftlich-ethifchen Bildungen ein, die, auf der Ethik der
Bergpredigt fußend, gegen die wirkliche oder vermeintliche
Verweltlichung der jeweilig herrfchenden Kirchen