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Ausgabe:

1915

Spalte:

55-56

Autor/Hrsg.:

Fuller, B. A. G.

Titel/Untertitel:

The Problem of Evil in Plotinus 1915

Rezensent:

Bousset, Wilhelm

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55

Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 3.

ficht auf die AG während des Apoftelkonzils fchreiben
läßt. Ja auch der Charakter des Apoftels felbft tritt infolge
diefes apologetifchen Gewaltftreiches, wie Ramfay
felber nicht entgeht, in etwas eigentümliche Beleuchtung.

Im übrigen braucht nicht ausdrücklich gefagt zu
werden, daß auch diefes Buch Sir W. M. Ramfays reich
ift an vielen feinen und lehrreichen Beobachtungen. Für
den Theologen kommen vor allem Teil I und III in Betracht
, die preparatory und subsidiary questions behandeln.
Hier fetzt fich Ramfay vor allem mit dem inzwifchen in
englifcher Überfetzung erfchienenen Buche Deißmanns
auseinander. Er findet im Gegenfatz zu dem deutfchen
Forfcher in Paulus einen Meifter der Sprache und des
Gedankens und unterzieht Deißmanns Ausführungen über
Land und Leute einer genauen Prüfung. Hier, wo er
den Ertrag langjähriger, an Ort und Stelle gemachter
Studien verwertet, kann er ganz befonders Anfpruch
darauf erheben, gehört zu werden. Auch in die Dis-
kuffion über den Einfluß der Myfterien greift er ein und
fucht an Hand einer Unterfuchung von Col. 2, 18—24
und zwar befonders Vers 18 zu zeigen, daß Paulus genug
von den Myfterien wußte, um einen technifchen Ausdruck
(tfißazsvcov) anzuwenden, daß er aber die Myfterien verurteilte
als absolutely wrong in their methods and views
und jeden Verfuch ablehnte, to adulterate Christ's gospel
by intermingling with it ideas, or forms, or rites derived
from the Mysteries. Man wird den zweiten Satz als
richtig anerkennen müffen, wenn eine direkte, bewußte
Entlehnung gemeint ift. Ift aber damit die Frage, um
die es fich handelt, wirklich gelöftf Und läßt fie fich
löfen, ohne daß nur mit einem Worte die eigentümliche
Auffaffung des Abendmahles und der Taufe berührt wird?
Denn auch von den Vorftellungen, die Paulus an diefe
Handlungen geknüpft hat, glaubt Ramfay in feinem Buche,
das die Gedanken des Paulus in die Sprache unterer Zeit
übertragen will, nicht reden zu müffen.

Bafel. Eberhard Vif eher.

Füller, B. A. G: The Problem of Evil in Plotinus. (XX,
336 S.) 8°. Cambridge, University Press 1912. s. 7.6

Das Buch von Füller führt uns in das Kernproblem
und damit auch in das zentrale Verftändnis des großen
Meifters des Neuplatonismus Plotins ein. Es ift mit
einer uns ungewohnten Weitläufigkeit gefchrieben; große
ausführliche Zitate werden maffenweife, fowohl im grie-
chifchen Texte (in den Anmerkungen), als auch in wörtlicher
englifcher Überfetzung gegeben. Wiederholungen
von Gedanken find zahlreich, und daneben vermißt man
das Eingehen auf manche Einzelheiten. So ift die Theorie
Plotins von der doppelten Weltfeele, foweit ich fehe, gar-
nicht einmal erwähnt. Die fpezififchen Formen und
Termini der plotinifchen Darftellung werden nicht genügend
berückfichtigt und erforfcht. Was ließe fich da
nicht alles allein über die beiden 59,2 und 61,1 zitierten
Stellen, in denen uns der Charakter der plotinifchen Ek-
ftafe entgegentritt, fagen, z. B. über die Verbindung der
Termini 0-m und ovvovoia, über die Berufung durch Offenbarung
fund die Verpflichtung zur Predigt, über iöxojq,
öxdoiq, cutlwoiq, den eigentümlichen Gebrauch von ctQJtuCeö-
ffat, über das tlöövvai tiq xo tlom xov dövxov u. a. mehr.

Im ganzen haben wir doch eine refpektabele und
förderliche Arbeit vor uns. F. betrachtet das Ganze der
plotinifchen Weltanfchauung unter großen Afpekten, gibt
eine eingehende kritifche Auseinanderfetzung mit ihren
Schwächen und Mängeln und verflacht endlich diefes Ganze
in die allgemeine Entwicklung griechifchen Geifteswefens
einzuzeichnen. Hier bietet er viel mehr als die entfpre-
chende Darfteilung bei Zeller.

In dem erften Kapitel des Werkes finden wir einen
allgemeinen Überblick über das plotinifche Syftem:
Weltfeele, Nus, das Alleine. Kap. 2 wird dann das Problem
des metaphyfifchen Übels befprochen (beachte in

diefem Abfchnitt die Darftellung des Gegenfatzes zwifchen
; Plotin und der Gnofis), Kap. 3 das moralifche und das
phyfifche Übel. In Kap. 4 wird das Problem erörtert, in-
j wiefern und wie weit die Materie als Urfache des Böfen
von Plotin betrachtet wird (Darfteilung der Auseinanderfetzung
Plotins mit Ariftoteles und feines Verhältniffes zu
j Plutarch, Numenius, Philo). Eine Darftellung der Emanations
-Theorie Plotins mit ihren Halbheiten und Inkongruenzen
fchließt das Ganze.

Gut ift von F. dargeftellt und erörtert, wie Plotins
gefamte Weltanfchauung ein Kompromiß und zwar ein
fehlgefchlagener Kompromiß ift zwifchen der optimiftifch-
j naturaliftifch-moniftifchen Weltanfchauung, wie fie am
[ reinften in der Stoa repräfentiert ift, und zwifchen der
verftiegenen peffimiftifchen Geiftigkeit einer Myftik, wie
fie etwa von Philo, den Neu-Pythagoreern und der Gnofis
vertreten wird. Zwifchen diefen beiden Weltanfchauungen,
die im innerften wiederum verwandt find, infofern fowohl
der abfolute Optimismus wie der abfolute Peffimismus
eine ftarke Tendenz zu Quietismus haben, fleht Plotin,
doch mit einer ftarken Neigung nach der Seite des Optimismus
und der Behauptung der Güte und Schönheit
diefer Welt, einer Tendenz, die befonders in feinem Kampf
gegen die Gnofis zum Ausdruck kommt. Übrigens find
diefe Gegenfätze, an deren Bindung Plotin fich vergeblich
müht, fchon bei Plato und Ariftoteles latent vorhanden.
Aber während dort die naive Betrachtung an diefen Abgründen
vorübergleitet und fie verhüllt, haben fich in
Folge der weiteren Entwicklung des griechifchen Geiftes
die Gegenfätze in fchärffter Form entwickelt und treten fo
in Plotins Syftem in unausgeglichener Schärfe und ohne daß
ihre Vereinigung Plotin irgendwie gelänge, fich gegenüber.

Scharf und beftimmt hat F. die Inkonfequenzen des
Plotinfchen Syftems und die künftlichen Mittel, mit denen
er diefe Widerfprüche verdeckt, hervorgehoben und beleuchtet
. Auf der einen Seite die Anfchauung, daß jede
Individuation und Determination des allgemeinen Seins in
ihrer Beftimmtheit gerade und Eigenart, etwas Gutes und
Vollkommenes fei, und von hier aus der Ausblick auf ein
harmonifches und fchönes Weltganze, in welchem jeder
Teil und jede Einzelheit an ihrem Platz fleht. Auf der
anderen Seite der Verfuch zwifchen gradweifen Vollkommenheiten
zu unterfcheiden, alfo doch fich abftufende
Unvollkommenheiten in dem Weltganzen anzunehmen.
Auf der einen Seite die körperliche Welt als die Welt
des Uneinheitlichen und Zerfplitterten, die Welt des Böfen,
aber auf der anderen Seite diefer Gefichtspunkt nicht
durchgeführt für die höhere Welt (des Nus, der Pfyche)
der nebeneinander flehenden individuellen Geifter. Die
Materie einerfeits das abfolut Unbeftimmte und Unbeftimm-
bare und andererfeits als dies Unbeftimmbare mit dem
beftimmten Charakter des Böfen behaftet. Das Weltfein
einerfeits begriffen als eine Ausftrahlung (Emanation) des
abfolut guten Urwefens, die, wenn auch in immer abge-
fchwächterem Maße, an dem Charakter des Urwefens teilnimmt
, und doch wieder die Behauptung eines Umfchlages
in den abfoluten Gegenfatz des Böfen, da wo die Grenze
der körperlichen Welt erreicht wird. Diefes Ganze nicht
klarer gemacht durch das mißlungene Naturbild von dem
Sichverlieren des Lichtes in die Finfternis, das doch nur
dazu dient, den Gegenfatz zwifchen Dualismus und Monismus
künftlich zu verhüllen.

Es bleibt bei alledem der ftarke Gefamteindruck, wie
Plotin doch der letzte Denker auf rein griechifchem Boden
in der Fortfetzung der Linie Plato Ariftoteles Stoa ift,
ein echter Hellene der mit allen Fafern feines Herzens
an der Überzeugung von der Güte und Schönheit diefer
Welt fefthält. Was dazwifchen einkam. Philo, Neupytha-
goreismus, Gnoftiker, platonifierende Gnoftiker, bedeutet
die Einftrömung orientalifchen Wefens in die griechifche
Gedankenwelt.

Göttingen. B o u f fe t