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Ausgabe:

1915 Nr. 2

Spalte:

39-41

Autor/Hrsg.:

Lipps, G. F.

Titel/Untertitel:

Das Problem der Willensfreiheit 1915

Rezensent:

Pfister, ...

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 2.

40

Platten haben den Vorzug eines einheitlichen Maßftabes
und einer gleichen Projektion. Dem ganzen Werk zu
Liebe mußten allerdings einige Kleinigkeiten leiden. In
manchen Partien Indiens (Tongking) hat Streit nicht alles
Material aufnehmen können; Sibirien fehlt ganz, ohne damit
eine bedeutende Lücke offen zu laffen; in Sibirien
ift die katholifche Kirche noch recht wenig vorgefchritten.
Sie kann fich tröften: auch am Nordpol gibts noch
keinen Generalfuperintendenten. Schwierigkeiten mancherlei
Art waren bei der Feftftellung der Diözefangrenzen zu überwinden
: in Italien find eigentlich gar keine Vorarbeiten vorhanden
, und die vielen Diözefen machten von Pfarre zu
Pfarre ein Feftftellen im einzelnen erforderlich. In Spanien
fehlten gar genügende politifche Karten. Mit reichlicher
Unterftützung kirchlicher Behörden und Inftitute, die
vielleicht noch reichlicher hätte fein können, hat der Bearbeiter
ein Werk zu (lande gebracht, das feiner Meinung
nach nicht ohne Mängel ift, das wir aber dem ungeachtet
dankbar bewundern dürfen.

Die von Streit nun bearbeiteten Karten unterfcheiden
fich nicht unwefentlich von denen, die wir fonft kennen.
Man muß fich ziemlich mühfam in das Lefen diefer Karten
hineinfinden, die politifchen Grenzen find kräftig hervorgehoben
, ebenfo finden wir das Flußnetz und manche
Orte zur Orientierung. Die Gebirge dagegen fehlen, für die
Miffionsgebiete darf man ein — leider! hinzufügen. Die
Eifenbahnen find rot eingezeichnet. Die Kirchenprovinzen
fowie die exemten Bistümer find mit Flächenkolorit
gegeben, die Erz- und Bifchofsfitze find mit den
uns geläufigen Zeichen 5 und 5 verfehen, und dabei ift
bei denen, die Rom direkt unterftellt find, das Kreuz
fchwarz ausgefüllt, bei den andern ift das Kreuz nur
Randzeichnung. Die Bistümer, die der sacra congre-
gatio consistorialis angehören, find mit rotem Kreife verfehen
, die zur s. c. de propoganda fide mit grünem
Kreife, z. B. Münder roter Kreis mit fchwarzem Randkreuz
, Breslau roter Kreis mit fchwarz ausgefülltem Kreuz,
Dresden grüner Kreis mit ebenfolchem Doppelkreuz.
Dazu kommen noch fehr viel Zeichen für Ordensnieder-
laffungen, Lehrandalten und fondige kirchliche Inditute:
ein Asklepiusdab bezeichnet ein Hofpital (in Miffions-
ländern), eine Jakobspilgermufchel einen Wallfahrtsort,
ein kurfives U eine daatliche Univerfität mit (katholifch-)
theologifcher Fakultät ufw. Zu jeder Karte id ein Text,
der nach den nötigen geographischen und ethnologischen
Mitteilungen auch einen kurzen kirchenhidorifchen Überblick
gibt. Befonders wichtig find da die Daten der
Miffionen, z. B. der Jefuitenmiffionen in Japan und China.
Der Text id fünffprachig, deutfch, franzöfifch, englifch,
italienifch und fpanifch. Dem Lateinifchen wird alfo eine
gleichwertige Bedeutung als Kirchenfprache nicht mehr
beigemeffen. Die Ausdattung des Buches id vorzüglich.
Der mäßige Preis follte es ermöglichen, daß dies fehr
wichtige Werk bald in keiner Seminarbibliothek mehr
fehlt.

Wolfenbüttel. Otto Lerche.

Hardy, Thomas J.: The Religious Insünct. (V, 300 S.)

gr. 8°. London, Longmans, Green & Co. 1913. s. 5 —

Der Titel des Buchs id fo wenig glücklich gewählt,
daß die Lektüre fchließlich ein Enttäufchung bedeutet.
Es handelt fich im Grunde nicht, wie man erwarten
könnte, um ausführlichere religionsphilofophifche oder re-
ligionspfychologifche Erörterungen, fondern um eine Verteidigung
des Chridentums, einfchließlich der Sakramente
und des Glaubensbekenntniffes (creed).

Immerhin geht der Verfaffer bei feinem apologe-
tifchen Unternehmen von einer Unterfuchung über das
Wefen und die pfychifchen Wurzeln der Religion aus.
Er definiert die letztere als Bewußtfein vom Dafein Gottes
und als Verlangen nach Vereinigung mit Gott. Dem
entfprechend wird der religiöfe ,Indinkt' charakterifiert,

als die Erwartung, daß ein Gott exiftiert, und als Bedürfnis
nach Gemeinfchaft mit Gott. Diefer Inftinkt findet
feine vollkommenfte Befriedigung im Chriftentum, und
das heißt, im kirchlichen Chriftentum. Das erklärt fich
daraus, daß Gott, der von je her der religiöfen Erwartung
und dem religiöfen Bedürfnis entgegengekommen
ift, dem menfchlichen Sehnen die vollkommenfte Antwort
in der Perfon Jefu erteilt hat. Hat aber die Menfch-
heit fich nicht immer der göttlichen Darbietung gemäß
verhalten, fo liegt das an der Sünde.

Wie man fieht, wird der religiöfe Trieb mittels fehr
vager und allgemeiner Beftimmungen gekennzeichnet;
anderfeits wird fehr viel daraus abgeleitet und erwiefen.
Die Lehre vom Verföhnungstod Jefu nimmt der Autor
auf, deutet fie jedoch zugleich um.

Straßburg i. E. E. W. Mayer.

Lipps, G. F.: Das Problem der Willensfreiheit. Volkshoch-
fchulvorträge. (Aus Natur und Geifteswelt. 383.) (IV,
104 S.) kl. 8°. Leipzig, B. G. Teubner 1912. M. 1—;

geb. M. 1.25

Ruefch, Arnold: Freiheit, Unlterblichkeit u. Gott als Ideen
der praktifchen Vernunft. (157 S.) 8°. Leipzig, Th. Thomas
(1913). M. 2 —

Die aus Volkshochfchulvorträgen hervorgegangene
Schrift von Lipps will erklären, wie derfelbe Menfch bei der-
felben Handlung fich ebenfowohl als frei, wie als gebunden
betrachten kann. Weder Kants Flucht in ein außerzeitliches
, überfinnliches Dafein, noch die Berufung auf die
Vernunft (Plato) oder den Willen (Auguftin, Mittelalter)
können das Zufammenbefitehen von Freiheit und Gebundenheit
im menfchlichen Wollen und Handeln begreiflich
machen. Die Löfung ergibt fich vielmehr aus
der Tatfache, daß nur im Unbelebten eine eindeutige
Abhängigkeit von den das Bewußtfein wie die unbewußte
Natur beherrfchenden unbewußten Trieben zu erkennen
ift, während eine folche eindeutige Abhängigkeit im Reiche
des Lebendigen und Bewußten nicht wahrgenommen
werden kann, weil hier die äußeren Einflüffe nicht direkt,
fondern nur durch die Vermittelung des Lebenstriebes
zur Geltung kommen. Die kritifche Betrachtungsweife
fieht alle Vorgänge gefetzlich gebunden, auch wenn wir
niemals imftande find, die Urfachen unferes Handelns mit
eindeutiger Beftimmtheit anzugeben. Diefes Nichtwiffen
1 ermöglicht es dem naiven Bewußtfein, einen von fich aus,
| alfo vollkommen frei waltenden und die Entfcheidung
herbeiführenden vernunftbegabten Willen oder eine ebenfo
waltende willensftarke Vernunft anzunehmen. Für die
kritifche Überlegung ift indeffen ein folcher Wille gar
nicht vorhanden. Folglich verzichten wir auf Vergeltung,
Sühne und Opfer, laffen aber die Strafe zum Zweck der
Abfchreckung, Befferung und Unfchädlichmachung gelten.

Der Wert des fchönen, ftraff und knapp gefchriebenen
Büchleins liegt weniger im Gefamtrefultat, das fich von
ähnlichen Löfungen des Problems nicht wefentlich unter-
fcheidet, als in der Anregung neuer Fragen, die dem
Lefer zu denken geben und dem Verfaffer eine nicht geringe
Verbindlichkeit aufladen. Die kurforifchen Andeutungen
über den Lebenstrieb, die unbewußten, leblofen
Triebe, die doch das ganze Leben und Geiftesleben be-
herrfchen, die Eindeutigkeit als unterfcheidendes Merkmal
des Leblofen gegenüber dem Lebenden und andere Begriffe
bedürfen der Erklärung, die in populären Vorträgen
nicht gegeben werden konnte. Höchft bedeutfam ift die
Herbeiziehung des Unbewußten zur Erklärung der Freiheit.
Da es aber eine terra incognita ift, auf deren exakte Er-
forfchung Lipps fich nicht einläßt und deren Einzelprozeffe
bei der Entftehung des Freiheitsbewußtfeins er nicht aufweift
, läßt er den Wiffensdurftigen gerade am wichtigften
1 Punkte im Stich. Immerhin bedeutet fchon die Aufftellung