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Ausgabe:

1915

Spalte:

17

Autor/Hrsg.:

Endriß, Julius

Titel/Untertitel:

Zwanzig Reden 1915

Rezensent:

Schian, Martin

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 1.

18

des Sittengefetzes deffen Inhalt abzuleiten. In den jetzt
hinzugekommenen Abfchnitten will er wenigftens an einzelnen
Beifpielen veranfchaulichen, was es für Inhalte find,
mit denen die Gefchichte allmählich die Form des Sittengefetzes
ausgefüllt hat. Er verweift auf die Pflicht, den
Körper zu einem Organ für das fittliche Handeln auszubilden
, auf die Pflicht, das Eigentum als ein Mittel für
fittliches Handeln zu verwenden, vor allem auf die Pflicht,
Gerechtigkeit zu üben, und auf die Bedeutung, die der
Staat für die Verwirklichung der letzteren hat. Dagegen
beftreitet er im Anfchluß an eine Erörterung über das
Verhältnis von Pflicht und Neigung, daß die Liebe ,fitt-
lich' fei. Das ift fchon deshalb unmöglich, weil fle nicht
etwas ift, das durch ein ,Du follft' gefordert werden kann.
Die Liebe gehört vielmehr ins Bereich des Religiöfen.

Unnütz zu fagen, daß auch die beiden neu hinzugefügten
Kapitel in hohem Maße anregend find. Sachlich
braucht man ihnen deshalb keineswegs in allem zuzu-
ftimmen. Verfteht man beifpielsweife unter der Liebe
nicht nur einen Affekt, fondern eine Willensrichtung und
unter dem ,Du follft' nicht nur ein folches, deffen Forderungen
fich erzwingen laffen, fo ift nicht einzufehen,
warum nicht die Liebe als ein Sittliches bezeichnet werden
kann. Sie ift diejenige einer Norm entfprechende Gerinnung
oder Willensrichtung, die, wo es angezeigt er-
fcheint, auch auf das eigene Recht einmal verzichten und
fo die bloße Gerechtigkeit überbieten kann. Gern würde
ich mich außerdem mit dem Autor noch darüber auseinanderfetzen
, daß er entgegen dem Anfpruch, den die
Religion felbft erhebt, diefe der Ethik, der Wiffenfchaft
und derKunft einfach koordiniert, — wenn nicht an diefer
Stelle Selbftbefchränkung durch ein ,Du follft' geboten
wäre.

Straßburg. E. W. Mayer.

Endriß, Stadtpfr. Julius: Zwanzig Reden. Mit Geleitswort
von Prof. D. v. Häring. (156 S.) 8°. Stuttgart,
Verl. der Evang. Gefellfchaft 1913. M. 1.50

.Entweder das Chriftentum als Sitte oder als ziellofe
Aufgeregtheit' ift das Leitwort diefer Predigten; und des
Verf.s Abficht geht dabei auf das Entweder. Im Vorwort
,Zur Verftändigung' herrfcht diefer Gedanke ftärker als
in den Reden felbft; aber er bricht auch hier oft durch:
in der Kritik der fchwärmerifchen Erfcheinungen der
letzten Zeit (18 ff.), in der Warnung vor der Sekte (10 f.),
in der Abweifung der bekannten Parole der .Glaubens- l
miffion' (24), in der Bejahung der Frage: Wollen wir
auf dem Boden der Reformation bleiben? (26 ff), in der
Würdigung der Kirche (41 ff.) ufw. Immerhin find es
nicht Tendenzreden zu diefem Thema, fondern rechte
Predigten, und zwar herzhafte, nüchterne, praktifche, —
Predigten, in denen ein richtiger fchwäbifcher Pfarrer
ganz ungefchminkt und frifchweg, dabei doch in guter
Form, zu feiner Gemeinde redet. Die Art, wie er feine
Gedanken in prägnante Sätze kleidet und diefe dann
knapp und anfchaulich ausführt, ericheint mir in vielem
als vorbildlich. Ich habe ihn bei der Lektüre geradezu
auf feiner Kanzel flehen fehen und reden hören; fo ftark
war diefer Eindruck, wie feiten bei gelefenen Predigten.
Um Mißverftändniffe zu vermeiden, will ich nur noch aus
Th. Härings Geleitwort einen Satz herfetzen: ,Was der
Verfaffer Sitte nennt, ift wahrlich nicht das träge Waffer
der Gewohnheit, nein, im tiefften Grund ewige Bewegung'.

Gießen. M. Schi an.

Thrändorf, Prof. Dr. E.: Allgemeine Methodik des Religionsunterrichtes
. 5., umgearb. Aufl. (IV, 122 S.) gr. 8°.
Langenfalza, H. Beyer & Söhne 1912. M. 1.70

Thrändorfs Methodik zeigt auch in diefer Neubearbeitung
die Eigentümlichkeiten der Herbartfchen

Schule in ihrer reinen Geftalt, mit ihren Vorzügen und
ihren Schwächen. Aus wiffenfchaftlichem Ernft auf dem
pädagogifchen Gebiet geboren, will fie auch dem Einzelfach
, dem fie nun ihre didaktifchen Bemühungen widmet,
nicht anders als mit wiffenfchaftlichem Ernft gerecht
werden. Es ift doch wefentlich die Herbartfchule ge-
wefen, die eine wahrhaftige, feft gegründete und päda-
gogifch orientierte Verwertung der Ergebniffe theolo-
logifcher Forfchung für den Religionsunterricht zu fordern
nicht müde geworden ift und in muftergültigen
Präparationswerken in die Unterrichtspraxis hineingetragen
hat, — Thrändorf in feiner Verbindung mit Meitzer
an befonders hervorragender Stelle. Die drei erften Ab-
fchnitte diefes Buches verlaufen in diefer Richtung: 1. Das
neue Weltbild und die religiöfe Weltauffaffung; 2. Die
traditionelle Methode; 3. Aufgabe und Ziel des Religionsunterrichts
. Der erfte Abfchnitt S. I—13 zeigt, wie
das durch Philofophie und Naturwiffenfchaft einerfeits,
Gefchichtsforfchung andererfeits bedingte Weltbild unferer
Tage auf das kirchlich-religiöfe Leben notwendige Wirkungen
ausübt, die der nicht unbeachtet laffen darf, der
dies Leben in dem Einzelnen anzuregen oder zu befruchten
gedenkt. Der zweite Abfchnitt gibt einen Überblick
über die Gefchichte des Religionsunterrichts feit
Luther (auf 23 Seiten) und fieht die Keime neuen Lebens
bei Schleiermacher und Peftalozzi, über die hinaus der
Überblick nicht geht. Hier ift man fchon nicht ganz befriedigt
, weil ,die traditionelle Methode' ohne Erläuterungen
aus dem 19. Jahrhundert gar nicht deutlich gemacht
werden kann, und mehr noch, weil am Schluß
wichtigfte Grundfragen für eine neue Methode gar nicht
erwähnt werden mußten, wenn fie nicht gründlicher behandelt
werden follten. Es geht nicht, innerhalb von
fünf Zeilen dem Satz, ,daß Religion nicht direkt lehrbar
fei', volle Richtigkeit zuzubilligen (ohne diefen Satz
näher zu unterfuchen) und dann doch ,die Weckung religiöfen
Lebens als Hauptaufgabe' des Religionsunterrichts
zu bezeichnen. Das wirkt verwirrend und macht
den Eindruck der flüchtigen Konzeffion an ein Mode-
fchlagwort, die gerade in diefem Buch befremdlich wirkt.
Der dritte Abfchnitt (S. 36—62) fordert zur eigentlichen
Unterfuchung jener Frage durch feine Überfchrift geradezu
auf, bringt fie aber nicht. Als Aufgabe wird
korrekt im Sinne Herbarts die Weckung des religiöfen
Intereffes bezeichnet und mit Recht betont, daß das
keineswegs eine geringe Aufgabe fei. Dennoch macht
fich der Intellektualismus diefer Schule an mancher
Stelle diefes Abfchnitts in einer Weife fühlbar, die uns
heute nicht mehr wohltut. ,Die letzten Wurzeln des
Wollens liegen im pfychopfyfifchen Mechanismus, vermöge
deffen ein Empfindungsreiz fich unmittelbar in
eine unwillkürliche Reflexbewegung umfetzt' (S. 45), —
das kann doch nur von einem Standpunkt gefagt fein,
der fchon da zu den Wurzeln hinabgeftiegen zu fein
glaubt, wo es fich noch um Vorgänge handelt, die hoch
oben liegen und der empirifchen Beobachtung ein leichtes
Feld bieten. Und fo ift denn auch (S. 47) die Ent-
ftehung des einzelnen Willensaktes mit Unrecht auf intellektuelle
Vorgänge (.Kenntnis', .Überzeugung', .Glaube')
zurückgeführt. Stärker treten die Schwächen des reinen
Herbartianismus in den folgenden Abfchnitten hervor,
wo Thr. unter 4 (S. 62—94), ,die Unterrichtswege', den im
Grunde rein gefchichtlichen Stoff (hier viel treffliche
Einzelheiten!) nach den kulturhiftorifchen Stufen ordnen,
unter 5 (S. 94—107) ,das Unterrichtsverfahren' nach den
Formalftufen einrichten lehrt. Merkwürdig, daß ein Mann
wie Thrändorf nicht merkt, welchen Streich ihm die kulturhiftorifchen
Stufen fpielen, wenn er von der Patriarchenreligion
über die Gefetzesreligion, die in den
10 Geboten .abfchließend zur Darftellung' gebracht fein
foll, zur Prophetenreligion und von diefer zur Religion
Jefu auffteigen will und damit die religiöfe Entwicklung
Israels gezeichnet zu haben glaubt (S. 91 u. 93 o.), der