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Ausgabe:

1915 Nr. 1

Spalte:

15-16

Autor/Hrsg.:

Wobbermin, Georg

Titel/Untertitel:

Zum Streit um die Religionspsychologie 1915

Rezensent:

Heinzelmann, Gerhard

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Seite 1

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ig Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 1. 16

fchon auf die Religion, nicht mehr auf die höhere Moralität.
Sehr ftarker Kritik ift dagegen das Literaturverzeichnis zu
unterziehen, das Fichtes nachgelaffene Werke zu nennen
vergißt, völlig wertlofe Arbeiten der verdienten Vergeffen-
heit entreißt, dagegen ein fo wichtiges Buch wie Lask
übergeht, unter den Neuausgaben der Anweifung gerade
die fchon durch ihre ausgezeichnete Einleitung wertvolle
von Medicus nicht erwähnt, kurz zum Führer und Rat-
nicht recht taugen will. Die Einleitung in das Ganze
ift charakteriüert durch die Händigen Parallelen zwifchen
Fichte und dem modernen Chriftentum und eine ftark
fuperlativifche Begeifterung, auch keineswegs frei von
rednerifchen Entgleifungen und fachlichen Irrtümern.

Entgleisungen z. Ii. S. XXI ,Fichte hat das Chriftentum in feinem
tiefflen Wefen wiederentdeckt'. S. XXIV ,Man wundert fich, daß mau
ihn nicht in Stücke geriffen hat um diefer Bußpredigt willen. Jefus hat
in der gleichen Lage am Kreuz derben müffen'. Irrtümer z. B. S. XI
(Fichte hat nur ein Semeder in Erlangen gelefenl. S. XIX 1 Schon die
,Grundzüge' unterfcheiden zwifchen höherer Moralität und keligion). Sehr
anfechtbar S. XXf.

Diefe Mängel können indeffen der praktifchen Brauchbarkeit
des Buches kaum Abbruch tun.

Bonn. Em. Hirfch.

Liepe, Wolfg.: Das Religionsproblem im neueren Drama
von Lessing bis zur Romantik. (Hermaea. Ausgewählte
Arbeiten aus dem german. Seminar zu Halle. XII.)
(XVIII, 267 S.) gr. 80. Halle, M. Niemeyer I9I4. M. 8—
,Von der religiöfen Indifferenz der moralgläubigen
Aufklärung fchreitet der deutfche Individualismus über
das äfthetifche erwärmte Humanitätsideal des Klaffizismus
fort zum Subjektivismus der Romantik, die die Tiefe des
religiöfen Gefühls wieder erobert — allerdings nicht, I
ohne ihre pofitiven Ausdrucksformen wieder zu übernehmen
.' Diefe Linie fucht der Verfaffer in der Entwicklung
des Religionsproblems im Drama nachzuzeichnen,
und er erweift fich wohl gerüftet für feine Aufgabe, zumal
nach der germaniftifchen Seite; aber er weiß auch
die großen geiftesgefchichtlichen Linien mit ficherer
Bland zu führen und geht dem religiöfen Gehalt der einzelnen
Dramen, die immer zugleich die einzelnen Stufen
der Entwicklung kennzeichnen, mit scharfer, hier und da
überscharfer Kritik zu Leibe. Mit befonderer Hingabe
und schönem Erfolge verflicht er die schwankende Geftalt
Zacharias Werners feftzuhalten, bei dem alle religiöfen
Probleme der Romantik, wenn auch in individueller Ver- i
zerrung, erscheinen, und der als Vertreter feiner Zeit unfre
befondre Anteilnahme beanfpruchen darf.

Ein bißchen zu knapp find, im Vergleich mit den Romantikern, die
Klaffiker (vor allem der ,Fauft') behandelt. Was Schillers Jungfrau von
Orleans' anlangt, fo bleibt die Forfchung verpflichtet für feine fcharffinnige
Darlegung der Schwierigkeiten, die sich dem Dichter aus dem Widerfpruch
zwifchen Kants Ethik und der chriftlichen Religion ergaben, und die in
unfrem Drama nicht immer glatt überwunden find; aber L. geht meines
Erachtens zu weit, wenn er in der Berufung und in dem Liebesverbot
durch die Jungfrau Maria eine rein pfychologifch unverftändliche Grundlage
der Tragödie, ein Hereinragen der überfinnlichen Welt von Anfang
an und damit gleichfam das tiq&xov yjsvöoQ des Werkes fleht. Wählt
ein Dichter einmal einen chrifllich-legendarifchen Stoff, in deffen Mitte
ein Mädchen fleht, fo liegt kein Motiv näher als das Keufchheitsgelübde.
Aber freilich hat Schiller das Pathos der jungfräulichen Heldin nach diefer
Seite nicht ftark genug herausgearbeitet. Unter den Romantikern erfcheinen
außer Werner (.Söhne des Thals', ,Kreuz an der Oftfee', .Martin Luther',
,Attila', ,Wanda', .Cunegunde', .Mutter der Makkabäer') vor allem Hölderlin
(,Empedokles'), Tieck (.Genoveva', .Oktavian'), v. Arnim (.Halle und
Jerufalem'), Brentano (.Gründung Prags') und Eichendorff (.Ezelin' und
.Letzter Held von Marienburg'). Am Schluß einige Ausblicke auf das !
junge Deutfchland; aber die tüchtige Arbeit fordert gebieterifch eine
Fortfetzung, die fich namentlich mit der Stellung R. Wagners zu dem
Religionsproblem zu befaffen hätte.

Liverpool. Robert Petfch.

Wobbermin, Prof. D. Dr. Geo.: Zum Streit um die Reli-
gionspfychologie. (XV, 91 S.) gr. 8°. Berlin-Schöneberg
, Proteftantifcher Schriftenvertrieb 1913. M. 2 —

Die Anzeige diefer Schrift kommt infofern allerdings
zu fpät, als der Verf. inzwifchen in einem ausführlichen

Bande über die religionspfychologifche Methode in Reli-
gionswiffenfchaft und Theologie gehandelt hat (cf. ThLtztg,
1914, Sp. 3iof.). Es foll daher zunächft darauf hingewiefen
fein, daß hier, nicht das neufte Wort Wobbermins zur
Angelegenheit ausgefprochen ift. Ja, auch abgefehen von
des Verf.'s neuftem Werke, ift's nichts Neues, was diefes
Bändchen enthält. Es vereinigt vielmehr eine Reihe fchon
I veröffentlichter Auffätze über die Religionspfychologie
j [.Aufgabe und Bedeutung der Religionspfychologie', (cf.
I .Protokoll d. V. Weltkongreffes' ufw., Berlin 1910), .Pfycho-
logie und Erkenntniskritik der relig. Erfahrung' (cf. ,Welt-
anfchauuug' ufw., hersg. von M. Frifcheifen-Köhler, Berlin
191 n ,Der Kampf um die Religionspfychologie' (cf. ,Int.
Wochenfchr.' ufw., 1911, Nr. 35), ,Zur Frage nach der
transcendental-pfychologifchen Methode in der Religions-
wiffenfchaft', (cf.Zeitfchr. f. Relig.-Pfychol.' Leipzig, V.Bd.,
S. 225 fr.)]

Was den Verf. beftimmt hat, diefe Auffätze zufammen
herauszugeben, ift offenbar — neben den im Vorwort genannten
Gründen — die Abficht, auf diefe Weife den
vielfachen Mißverftändniffen zu begegnen, die feiner Pofi-
tion widerfahren find. Damit wird man auch entfchul-
digen dürfen, daß es in den 4 Vorträgen nicht an Wiederholungen
fehlt. Immerhin muß ich geftehen, daß doch
erft durch das oben genannte Werk das völlige Ver-
ftändnis auch diefer Abhandlungen fich erfchließt. Es
ift bekannt, daß W. für eine tranfzendentale Religionspfychologie
eintritt. Den Namen will er preisgeben (cf.
Vorw. IX), wenn nur die Sache unangetaftet bleibt. Die
Sache aber ift eine Glaubenspfychologie unter dem leitenden
Gefichtspunkt des Wahrheitsintereffes. Was W.
damit meint, wird man fo lange nicht verliehen, als man
überfieht, daß er feine ganze religionspfychologifche Unter-
Eichung lediglich im Dienft der Dogmatik als einer
normativen Difziplin anftellt. Streng genommen, gehören
alfo auch diefe Auffätze überhaupt nicht ins Gebiet der
modernen .Religionspfychologie' hinein. Die Betonung
des .Pfychologifchen' hat vielmehr lediglich die Bedeutung,
der ganzen Unterfuchung den Ausgangspunkt in der religiöfen
Erfahrung felbft zu fichern. In dem Maße, als das
zugeftanden wird — und es darf in der Tat dies Zuge-
ftändnis gefordert werden —, follte freilich W. bereit fein
anzuerkennen, daß die Betonung des religionsp fycho-
logifchen Momentes geeignet ift, den Sinn feiner eigenen
Methode eher zu verdunkeln als zu erläutern. Denn die
Pfychologie hat es nun einmal lediglich mit derBefchreibung
und, wo das möglich ift, mit der Erhebung der Geletzmäßigkeit
der pfychifchen Phänomene zu tun. So mag
denn einftweilen die Forderung einer tranfzendentalen
Religionsp fy cho 1 o gi e aus methodifch-didaktifchen Rück-
fichten anerkannt werden. Sie wird fich felbft rektfizieren,
ganz ähnlich wie z.B.dieForderungeiner p hy f i 0 lo gi fch e n
Pfychologie im Sinne Wundts.

Bafel. Heinzelmann.

Henfel, Prof. Dr. Paul: Hauptprobleme der Ethik. Neun
Vorträge. 2. Aufl. (VII, 128 S.) 8°. Leipzig, B. G. Teub-
ner 1913. M. 1.80; geb. M. 2.40

Diefe geiftvolle Schrift, die den Wert einer Einführung
in die Ethik hat, ift feinerzeit (Jahrgang 1904, Nr. 12) ausführlich
befprochen worden. Sie erfcheint jetzt in zweiter
Auflage, wefentlich unverändert, jedoch ergänzt durch
zwei neue Kapitel, über die nachträglich zu berichten
wäre.

Mit einem Wort fei daran erinnert, daß der Verfaffer
nach entfchiedener Abwehr der utilitariftifchen und der
eudämoniftifchen Ethik fich begnügt hatte, das Sittliche
in formaler Hinficht zu kennzeichnen als eine durch ein
,Du follft' gebotene Willensrichtung. Er hatte die ein-
fchlägigen Beftimmungen nach den verfchiedenften Seiten
hin erläutert, fich aber ausdrücklich dagegen verwahrt,
nach der Art mancher Kantianer aus der bloßen Form