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Ausgabe:

1915 Nr. 2

Spalte:

549-550

Autor/Hrsg.:

Mandel, Hermann

Titel/Untertitel:

Der Wunderglaube 1915

Rezensent:

Wendland, Johannes

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Seite 1

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549 Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 25/26. 550

von den hier mit Kant zufammenftimmenden Sätzen räumlich-finnliche Welt für die einzige Wirklichkeit; die^
Friefens ift. Das fittliche Urteil gibt es nur als Pflicht- fen Anfpruch durchbricht die Religion und infofern ift
urteil über den einzelnen Fall, alfo nicht als prinzipielle fie mit ihrem Inhalt ein Wunder' (S. 26). Aus diefem
Gefinnung des Sollens, die von dem intelligibeln Ich ! grundlegenden Wunderbegriff folgt feine Anwendung auf
und feiner Würde ausgehend fowohl im eigenen Selbft j das Wirken Gottes in der Welt allgemein. Wenn Gott
diefe Würde verwirklicht als im fremden Selbft aner- j das perfönliche Sein in der Religion beftimmt, muß er
kennt und fördert. Es gibt keine Richtung des fitt- auch die Welt beherrfchen. Daraus folgt die zweite An-
lichen Handelns auf die Gefamthaltung der Perfönlich- Wendung des Wunderbegriffs. Gott beherrfcht die Welt
keit, alfo auch keinen Unterfchied von Pflichten gegen in der Schöpfung, Erhaltung und zweckmäßigen Leitung
fleh felbft und gegen andere. Vielmehr gibt es nur ! der Welt.

Erzeugung von Pflichturteilen über den einzelnen Ent- Mit diefen Ausführungen ift der alte Wunderbegirff

fchluß und nur in der Richtung auf den Anderen. Der völlig verändert. Der orthodoxe und.fcholaftifche Wunder-
Inhalt diefer Urteile ift der Imperativ der Gleichheit oder begrifl fetzte das transzendente Wirken Gottes dem imma-
das Verbot, das eigene Intereffe vor dem ,wahren Intereffe' nenten Wirken begrifflich fcharf entgegen und unterfchied
anderer zu bevorzugen. Das Pflichturteil ift alfo rein beides als übernatürliches und als natürliches Wirken Got-
negativ oder begrenzend. Daraus ergeben fleh die Grund- I tes. Nach Mandel liegt im Chriftentum die Synthefe ablagen
der Staats- und Rechtslehre als eigentlichfter Ge- foluter Transzendenz und abfoluter Immanenz Gottes in
genftand der Ethik und für das gegenfeitige Verhältnis der Welt vor (S. 23). Damit ift der Gegenfatz von natür-
der Staaten zu einander wieder der kategorifche Imper- ] lichem und wunderbarem Walten Gottes aufgehoben und
ativ, kein wahres Intereffe anderer hinter dem eigenen alles Gefchehen unter den Begriff des Überweltlichen ge-
zurückzufetzen, alfo eine rechtlich-ethifche Welteinigung ftellt. Der Wunderbegriff hat aber darin fein Charakteri-
der Staaten, ein moralifch-rechtlicher Pazifismus. Das ftikum, daß er einzelneEreigniffe aus dem Zufammenhange
allein bildet den Gegenftand der eigentlichen Ethik. Da- des Ganzen herausholt und in ihnen in befonderer Weife
neben gibt es dann eine uneigentliche Ethik, die es [ das Eintreten des Übernatürlichen behauptet,
nicht mit Pflichten, fondern Idealen, nicht mit dem nega- Mandel fagt dem entfprechend, daß über den allge-
tiven Ausfchluß von eigener Bevorrechtung gegenüber i meinen Wunderbegriff kein Streit fei. (Nur darüber bewahren
fremden Intereffen, fondern mit pofitiven objek- j fteht Streit, ob man das Wirken Gottes in der Schöpfung
tiven Gütern zu tun hat. Für diefe hat erft Fries die [ und Leitung der Welt bereits ein Wunder nennen follj
Wurzel kritifch aufgezeigt in dem .Vollkommenheitsgefühl', Der Streit beginnt erft mit der Frage, ob es befondere
aus welchem fleh die Begründung der äfthetifch-intellek- einzelne Ereigniffe gebe, in denen Gott feinen weltüber-
tuellen Werte ergibt, die dann zugleich mit der Religion : legenen Willen geltend macht. Mandel antwortet, daß
zufammenfallen oder wenigflens ihren feiten Rückhalt bil- der religiöfe Glaube diefe Frage zu bejahen geneigt ift,
den. Alfo eine Religion des äfthetifch-intellektuellen i weil nicht die Welt, fondern Gott für ihn das Letzte, BeRationalismus
. In der wirklichen Kultur müffen fleh i ftimmende ift. Wenn man aber nach der Tatfächlichkeit
dann die eigentliche Ethik der Gleichheit oder des aus- j und Notwendigkeit einzelner Wunder fragt, fo kommen
gefchloffenen Vorrechts mit der aus eben diefem Grunde | für Mandel nicht die .gegenwärtigen Wunder', Fügungen
alien zugänglich gemachten äfthetifch-intellektuellen Bil- ) und Gebetserhörungen in Betracht, denn diefe erklären
dungdurchdringen. Alfo eine Demokratie der allgemei- } fleh aus dem allgemeinen teleologifchen Walten Gottes
nen Bildung. Das Ganze ift dann nun freilich mehr Fries j in der Welt. Auch die Notwendigkeit einzelner Wunder
als Kant und auch Fries gegenüber noch um einige Grade [ Jefu läßt fleh nicht deutlich machen. Hierüber entfeheide
mehr rationaliftifch und kulturfelig. Was der kategorifche | die Literarkritik. Auch die jungfräuliche Geburt Jefu
Imperativ der Gleichheit oder des Ausfchluffes alles Vor- Haffe fleh nicht für unerläßlich erklären. Sondern das
rechtes oder der Anerkennung des fremden .wahren' In- Zentralwunder ift die Tatfache, daß in der Perfon Jefu
tereffes bedeutet und wie er als Wefen des .fittlichen Ge- Gott als der Beftimmungsgrund feines perfönlichen Seins
fühls' deduziert werden kann, das wird die große Ethik offenbar geworden ift. Ferner ift die Auferftehung Jefu
des Verf. zeigen müffen. .trotz der Undurchfichtigkeit ihrer Form' das notwendige

Berlin. Troeltfch.

Mandel, Prof. D. Herrn.: Der Wunderglaube. Erweiterter
Vortrag. (44 S.) gr. 8°. Leipzig, A. Deichert Nachf.
1913. M. —90

Jede Verteidigung des Wunderglaubens hat prinzipiell
recht, fofern fie zu begründen fucht, daß die empirifche
Welt und die zu ihrer Erklärung dienenden Begriffe
Naturgefetz, Kaufalzufammenhang für die religiöfen Men-
fchen nicht die letzte und nicht die entfeheidende Wirklichkeit
find. Für den Chriften ift der überweltliche Gott,
der im Weltgefchchen feinen Willen geltend macht, die
höchfte Realität. Mandel fucht dem entfprechend das
Wunderproblem fo zu löfen, daß er zeigt, wie der Wunderbegriff
mit der Realität der wahren Religion zufammen-
hängt. Man kann an den meiften Stellen, wo er vom
Wunder fpricht, den Begriff des Übernatürlichen emfetzen.
M. begründet die Notwendigkeit des Wunders von dem
Gedanken aus, daß das von Gott beftimmte und durchwaltete
Perfonleben, das das Ziel unferer Religion ift, dem
natürlichen, feibltfüchtigen Wefen des Menfchen entgegengefetzt
ift. Das Wunder durchbricht durchaus nicht den
pfychologifchen Kaufalzufammenhang. Nicht in der Form
des Durchbrechens fondern in feinem Inhalt liegt das
Übernatürliche. ,Das empirifche Bewußtfein hält die

Mittel, um den Glauben an Gott, den Vater Jefu Chrifti
in den Herzen der Jünger aufrecht zu erhalten.

Mit diefen Ausführungen ift an Stelle des Wertlegens
auf einzelne Wunder die tiefere Anfchauung gegeben,
daß Gott auf Grund feiner allgemeinen Leitung in der
Welt einen befonderen Gefchichtsverlauf begründet, der
I zur Herftellung feines überweltlichen Zieles dient. Das
1 Ganze der chriftlichen Weltanfchauung ift als fupra-
j natural gekennzeichnet und zu rechfertigen geflieht, das
Problem des Einzelwunders ift mit Recht in die zweite
Linie gefchoben. Allerdings dreht fich der Streit darum,
ab man von der fupranaturalen Gefamtanfchauung des
Chriftentums aus auch die einzelnen Wunder rechtfertigen
kann. In Bezug auf diefe Frage find M.s. Andeutungen
kurz. Aber er hat darin Recht, daß das letztlich entfeheidende
der überweltliche Gott und fein überweltliches
Ziel ift.

Bafel. Johannes Wendland.

Religiöfe Kriegsliteratur.

(Vgl. No. 15.)

1. Predigteneinzelner Verfaffer. Kriegspredigten
aus vergangenen Tagen neu herauszugeben hat man jetz}
l anfeheinend aufgehört; wenige nur wären es, die uns
J jetzt ernftlich lehren könntenl Solche aus der lebendigen