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Ausgabe:

1915 Nr. 1

Spalte:

12

Autor/Hrsg.:

Stieglitz, Leopold

Titel/Untertitel:

Die Staatstheorie des Marsilius von Padua 1915

Rezensent:

Sander, Reinhold

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Seite 1

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II

Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 1.

12

Jahrhundert angehört (S. 187). Lediglich eine überaus
konfervative Behandlung von Quellen und Überlieferungen
vermochte die erzielten Refultate zu ergeben. Wer nicht
der Überzeugung ift, daß Traditionen doch eigentlich
einen hiftorifchen Kern enthalten müffen und wer die
Dinge auch auf dem literargefchichtlichen Gebiet anders
anfleht als der Verf., wird viele feiner Ausführungen für
verfehlt halten. Ich muß bekennen, daß es auch mir
fo geht.

Breslau. Walter Bauer.

Brückner, Prof. A.: Die Wahrheit über die Slavenapoftel,

dargeftellt. (III, 127 S.) 8°. Tübingen, J. C. B. Mohr
1913. M. 240

Nicht leicht findet man eine Schrift, die mit folcher
Sicherheit, ja mit dem Bewußtfein eigener Unfehlbarkeit
gefchrieben wäre, wie die Auffätze Dr. Brückners über
die Slavenapoftel. Jedoch kann man fich durch einen
Vergleich feiner neueften .Wahrheit über die Slavenapoftel
' mit den gleichnamigen Artikeln in der Beilage
zur Münchner Allg. Ztg. 1903 und den erft 1906 im

Archiv für flavifche Philologie publizierten ,Thefen zur j fteller Pighio' eingeführt wird. Weiterhin geht Dr. Stieg
Cyrillo-Methodianifchen Frage' überzeugen, daß er 1903 j litz den Fäden forgfam nach, die den Paduaner mit der
eine ganz andere .Wahrheit' verteidigte als 1913. kirchlich-politifchen Publiziftik verbinden, welche, auf

Um nur etwas zu erwähnen, erinnere ich an das untrügliche Faktum, j fcholaftifchem Boden erwachfen, befonders durch die

bensfachen zu entfcheiden; die Entfcheidung trafen die
Delegierten des Papftes (S. 116 in der Fußnote)1.

Dr. Br. ift Meifter des Stiles und frappiert oft durch
die Neuheit und Intereffantheit feiner Bemerkungen, befonders
, — wo es ihm an Gründlichkeit gebricht.

Kremfier. Fr. Snopek.

Stieglitz, Dr. Leopold: Die Staatstheorie des Marfilius

von Padua. Ein Beitrag zur Kenntnis der Staatslehre
im Mittelalter. (Beiträge zur Kulturgefchichte des
Mittelalters und der Renaiffance. Bd. 19.) (IV, 56 S.)
8°. Leipzig, B. G. Teubner 1914. M. 2—

Der Verfaffer diefer fleißigen, gleichzeitig als Straßburger
Doktordiffertation erfchienenen Arbeit geht von
der Bezeichnung des Marfilius durch Albertus Pighius
als eines ,homo Ariftotelicus magis quam Chriftianus' aus.
Ganz recht, infofern Marfilius von Padua im Defensor
pacis, feiner einzigen unbezweifelten Schrift, tatfächlich
in erfter Linie fich auf die Staatslehre des Ariftoteles
ftützt. Nur ift nicht einzufehen, warum der Niederländer
Pigghe (f als Propft zu Utrecht 1542), der allerdings
auch zeitweife in Rom lebte, hier als .römifcher Schrift-

daß Br. vor 10 Jahren eine der Hauptquellen der Gefchichte der Slavenapoftel
, die fogenannten pannonifchen Legenden, filr tendenziöfe
Schriften ausgab, welche fich kritifche, zerfetzende Analyfe gefallen
laffen müffen (Arch. a. a. O. S. 190 f.), ja er benamfete fie fogar ,die
Lügenden' (a. a. O. S. 187). Im Vorjahre find fie ihm .primäre
gleichzeitige, oft offizielle Quellen' (WahrheitS.6), alle Zweifel
gegenüber ihren Angaben find einfach müßig oder beruhen
auf Mißverftändniffen des Textes, wofür nicht der urfprüngliche Wortlaut
der Legende verantwortlich gemacht werden kann. Und S. 121
fchreibt er in hochtrabendem Tone: ,Zum erften Mal find die einzigen
authentifchen Quellen, die beiden flavifchen Legenden, nach ihrem
wahren Wert voll gewürdigt'.

Im Jahre 1903 fchrieb Dr. Br.: ,Daß Papft Hadrian II. die
flavifche Liturgie feierlichft geftattet . . hätte, ift einfach

Kämpfe Philipps des Schönen mit Bonifaz VIII. und
Ludwigs des Bayern mit Johann XXII. fowie den fran-
ziskanifchen Armutsftreit neu belebt war. Wenn fo der
Autor des Defensor pacis zunächft als Sohn feines Zeitalters
dem Lefer entgegentritt, fo bleibt doch perfönliches
Eigentum genug, womit er über Thomas von Aquino
und Dante als Politiker wie über die franzöfifchen Kampf-
genoffen Philipps emporragt und faft geradezu einer
fernen Zukunft vorgreift. In der für unfre Art zu denken oft
kraus wunderlichenMifchungmittelalterlicher Vorurteile mit
kühn hervorbrechenden neuen Ideen liegt ein befonderer
Reiz, der bis in die Gegenwart die Blicke dem wageunwahr
'. (Archiv 28 S. 206I und führte auch einige Gründe diefer _„*:__«. vz 1 •■ r 1 , r-, ^ •

feineS- Behauptung an. S. 63 feiner neueften Schrift ift ihm auffallend, mutigen Vorkampfer des modernen Staates immer

wieder zuwendet. Die vorliegende Skizze behandelt die
Staatslehre des Marfilius in acht Kapiteln, deren Themata
find: I. Begriff, Urfprung, Zweck, Ziel, Wirkfamkeit,

daß der Brief Hadrians (in der pannonifchen Legende) keine ausdrückliche
Billigung der flavifchen Liturgie enthält. Aber
S. 60 behauptet er: ,Der Brief Hadrians II. in der Legende ift ge-
fälfcht, nicht etwa, weil er die flavifche Liturgie billigt' . . und an
einem anderen Orte beteuert er von demfelben Briefe fogar, daß er den
Gebrauch der flavifchen Liturgie in der Kirche feierlichft billigt.
Und S. 67 beantwortete er die Frage: ,hat nicht etwa Hadrian II. die
flavifche Liturgie geftattet? Daß Method in Pannonien flavifch
liturgieren würde, wußte der Papft ganz ficher, dazu war ja
diefe Liturgie beftimmt'.

Wie reimen fich folche einander widerfprechende Sätze? Meiner
Anficht nach dienen fie nur zum Beweife, daß Dr. Br. feine Gedanken
(ich möchte lieber fagen: feine Einfälle) haftig und ohne alle Überlegung
zu Papier brachte. Wenn er fich die Mühe genommen hätte,
feine Arbeit vor der Drucklegung nochmals durchzulefen, dann wäre es
nicht möglich, eine Menge folcher Widerfprüche in einer Schrift von
127 Seiten zu finden.

Kurz gefagt, Dr. Brückner anerkennt nur feine
eigene faft unfehlbare Autorität; auf die Arbeiten
anderer fchaut er ftolz herab. Er überfchätzt feine
Studien und mißachtet fremde Leiftungen. Trotzdem
fcheute er fich nicht, in feinen Rezenfionen von 1908—1911,
vielleicht ohne fich deffen bewußt zu fein, eine lange Reihe
von Gedanken aus den Schriften eines .Römlings', der ohne
mit dem Doktorhut gefchmückt zu fein, fich unterftand, ihn
energifch zu bekämpfen, fich anzueignen. Ebenfo führt
er in feiner neueften ,Wahrheit über die Slavenapoftel' ohne
alle Skrupeln einige Ergebniffe meiner langjährigen
Forfchung, freilich ohne jegliche Zitation, als fein
eigenes Gut an. Dahin gehört die Behauptung, 1. daß es
nicht in Mähren und unter der fränkifchen Geiftlichkeit,
wohl aber in Bulgarien Manichäer (Paulikianer) gab,
2. daß nicht in Mähren, wohl aber in Bulgarien Moha-

II. Teile und Amter, III. Gefetze des Staates; IV. deffen
Pars principans (gefetzgebende und ausführende Gewalt);
V. der Herrfcher; VI. Wahlmonarchie (erbliche und reine);
VII. Verantwortlichkeit des Herrfchers dem Volke gegenüber
; VIII. Staat und Kirche. In einem IX. Kapitel
werden die Ergebniffe überfichtlich zufammengeftellt und
sodann die Staatstheorie des Marfilius gefchichtlich gewürdigt
. — Auf einzelne Punkte näher einzugehen, verbietet
der zugemeffene Raum. Als finnftörendes Druckverfehen
ift etwa anzumerken, daß S. 11 unter den fechs Teilen
oder Ämtern des Staates nach Ariftoteles (Landbau,
Handwerk, Kriegswefen, Handel, Prieftertum, Gericht)
in dem Zitat der Fußnote (9) das Sacerdotium ausgelaffen
ift, während es vor- und nachher richtig an feinem
Platze fleht.

Bremen. Sander.

Reyburn, Hugh Y.: John Calvin, his Life, Letters and
Work. (VIII, 376 S.) gr. 8°. London, Hodder &
Stoughton 1914. s. 10.6

Weshalb der Verf. fich gedrungen oder verpflichtet
fühlte, die beträchtliche Zahl der in neuerer Zeit erfchienenen
Calvinbiographien um eine weitere zu ver-

1) Brückners frühere entgegeugefetzte Beteuerungen Archiv 28, S. 211,
227 und 213 f. entkräftete ich in meiner Apologie der Slavenapoftel,
die Schrift führt den Titel: Konftantinus-Cyrillus und Methodius
medaner für ihren Glauben Wirkten (S. Il8), und endlich, 1 die Slavenapoftel. Ein Wort zur Abwehr für die Freunde hiftorifchcr

daß Sventopulk weder Luft noch Macht hatte, in Glau- i Wahrheit. Kremfier 1911. S. 19h 16f. und 228—244.