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Ausgabe:

1915

Spalte:

533-536

Autor/Hrsg.:

Gall, August Freiherr von (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Der hebräische Pentateuch der Samaritaner. 1. u. 2. Teil 1915

Rezensent:

Marti, Karl

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Jene das entfcheidende Prinzip der ganzen in Frage j
flehenden Arbeitsleiftung betreffende Verfcbiebung zeigt j
lieh nun aber auch darin, daß das Archiv gerade an die
Spitze der Abhandlungen einen Auffatz von Rittelmeyer j
über ,Die Liebe bei Plato und Paulus' ftellt, der mit em-
pirifcher Pfychologie im befprochenen Sinne gar nichts '
zu tun hat. Zwar redet auch Rittelmeyer in feinen einleitenden
Ausführungen mehrfach von .pfychologifchen
Gefetzen'. Aber das gefchieht mittels eines Gebrauches
des Gefetzesbegriffes, der von demjenigen der empirifchen
Pfychologie völlig verfchieden ift. Im übrigen führt fein
Auffatz in eine ganz andere Richtung religionspfycholo-
gifcher Betrachtung. Er verficht eine Deutung beftimm-
ter religiöfer Gedanken aus dem [nur durch transzendentale
Einfühlung zu erfchließendenl] religiöfen Grunderlebnis
zu geben, alfo durchaus im Sinne des Anfatzes der Schleier-
macherfchen Syftematik. Das gefchieht nun freilich bei
aller Feinf nnigkeit und Treffficherheit im Einzelnen ohne
zureichende Klarftellung der meth0difchen Prinzipien und
daher ohne Schutz gegen voreilige ybergriffe. Denn unter
letztgenanntem Gefichtspunkt find Rittelmeyers Ausführungen
über den metaphyfifchen Hintergrund der pla-
tonifchen und paulinifchen Pofitionen fowie über das
Wefen der Religion und des Chriftentums zu beurteilen,
fofern fie wenigftens mehr als gelegentliche — übrigens
in ihrer Art wertvolle — Apergus fein follen. Vollends
zeigt fich dann aber in ihnen, daß hier das Gebiet der
empirifchen Pfychologie, auf welches das Programm des
Archivs die religionspfychologifche Arbeit grundfätzlich
befchränken will, vielmehr ebenfo grundfätzlich verlaffen
ift. Daß diefer innere Selbftvviderfpruch nach beiden
Seiten hin irreführend wirken und dadurch den berechtigten
Intereffen, die durch den Begriff ,religionspfycho-
logifch' zum Ausdruck zu bringen find, eher fchaden als
nützen muß, liegt auf der Hand. Ob das Archiv diefe
in fich felbft widerfpruchsvolle Haltung in Zukunft überwinden
wird, bleibt abzuwarten. Zu wünfehen ift es eben- j
fo fehr im Intereffe einer der praktifchen Theologie die-
nenden empirifchen Pfychologie des kirchlichen Lebens
wie im Intereffe der Durchführung des Schleiermacher-
fchen Anfatzes der theologifchen Syftematik.

Heidelberg. Georg Wobbermin.

Der hebräilche Pentateuch der Samaritaner. Hrsg. von Aug.
Frhrn.v.Gall. (In 5 Tin.) 1.und 2.Tl. Lex.-8°. Gießen,
A. Töpelmann 1914. Subfkriptionspreis kart. M. 43— S

1. Tl. Prolegomena u. Genefis. (VII, LXX, 112 S. m. 4 Taf.) i
M. 28—. — 2. Tl. Exodus. (S. 113—206.) M. 15—.

Im Jahre 1906 entwickelte Auguft Freiherr von i
Gall in der Zeitfchrift für die altteftamentliche Wiffen-
fchaft XXVI, 293—305, das Programm zu der von ihm
geplanten Herausgabe des hebräifchen Pentateuchs der
Samaritaner, der er fchon bis dahin die Arbeit mancher
Jahre gewidmet hatte. Im Herbft 1908 tagte der internationale
Orientaliften-Kongreß in Kopenhagen, Profeffor
E. Kautz ich benützte die Gelegenheit, in einer Sitzung
der femitifchen Sektion auf dielen Plan aufmerkfam zu
machen, und die Sektion erhob einltimmig den von
ihm geftellten Antrag zum Befchluß, es fei die Ausführung
des Planes im höchften Grade für wünfehenswert
zu erklären. So fehr diefe Refolution den Eifer des Urhebers
anfpornte, fein Werk in unermüdeter und hingebender
Arbeit zum Abfchluß zu bringen, fo war doch damit
die Herausgabe noch nicht gekichert; denn es blieben,
fo große Opfer von Gall fchon gebracht hatte, die
finanziellen Schwierigkeiten erft noch zu überwinden, die
der Ausführung entgegen traten. Schließlich hat die
hochherzige Unterftützung, welche einerfeits ein Freund
des Herausgebers (Pfarrer Alfred Zillefen mit Gemahlin),
anderfeits der Verleger (Alfred Töpelmann) dem Werke
fpendete, aus der Verlegenheit geholfen, und es liegen

heute fchon zwei ftattliche Bände: Genefis und Exodus
vor, fo daß bis Frühjahr 1917 das ganze Werk fertig fein
dürfte1.

Damit geht ein dringender Wunfeh der Wiffenfchaft
in Erfüllung. In Zukunft braucht man nicht mehr, wenn
man die famaritanifche Geftalt des hebräifchen Pentateuch
zu vergleichen hat, auf die Parifer Polyglotte von 1632
oder die Londoner Polyglotte von 1657 oder die einzige
Sonderausgabe: Pentateuchus Hebraeo-Samaritanus Cha-
ractere Hebraeo-Chaldaico editus cura et studio Ben-
jamini Blayney, Oxonii 1790, zurückzugreifen, die
übrigens alle drei nur auf ein und dasfelbe Manufkript
zurückgehen, welches der römifche Reifende Pietro
della Valle 1616 in Damaskus kaufte und nach Europa
brachte. Jetzt kann und muß man die Textausgabe
von von Gall zu Rate ziehen, die auf Grund einer
möglichft vollftändigen Herbeiziehung aller vorhandenen
Manufkripte zu Stande gekommen ift. Gerade gegenwärtig
aber empfindet man die Bedeutung einer ficheren
Feftftellung des Wortlautes im hebräifchen Pentateuch der
Samaritaner ganz befonders, da an Hand von Variationen
in den Überfetzungen, befonders in LXX, die Grundlagen
der Pentateuchkritik erfchüttert werden follen. Ift es
fchon merkwürdig, daß man in Hinficht auf den Gebrauch
der Gottesnamen und anderer Bezeichnungen der griechi-
fchen Überfetzung, die doch immer noch nicht in ihrem
urfprünglichen Wortlaut erreicht ift und deren Überlieferung
ficher ebenfogroßen abfichtlichen und unab-
fichtlichen Änderungen ausgeletzt war, wie der mafore-
tifche hebräifche Text, ein fo feftes Vertrauen entgegen
bringt, fo ift es von hohem Werte, in dem hebräifchen Pentateuch
der Samaritaner einen neuen Zeugen zu erhalten, der
wohl im großen und ganzen die längfte Zeit einen vom
maforetifchen Text unabhängigen Weg gegangen ift.
Überall ift es, auch abgefehen von folchen neuerdings
befonders in Anfpruch genommenen hervorbrechenden
Stellen, auf Schritt und Tritt lehrreich und wichtig, den
famaritanifchen Text zu vergleichen; fo ift z. B. der Wortlaut
von Gen. 19, 29 in mehrfacher Hinficht merkwürdig,
da er mit feinem niriOri gegenüber nn© im MT auffällt
und TOsan ftatt nDSJriri bietet, alfo auch fchon dasVerb
^BN neben JBH vorausfetzt.

Ift die Wichtigkeit der Publikation über jeden Zweifel
erhaben, fo wird ihr Wert durch die Art und Weife, wie
fie erfolgt, noch ganz bedeutend gefteigert. Von Gall
hat fich keine Mühe verdrießen laffen, alle erreichbaren
Manufkripte und Fragmente von Handfchriften zu kollationieren
. Ift es ihm dabei nicht gelungen, alle vierzig
vollftändigen Handfchriften, die man in den öffentlichen
Bibliotheken Europas oder im Privatbefitz zählt
(eine davon ift verfchollen), einfehen zu können, und mag
man bedauern, daß das verhältnismäßig alte (jedenfalls
Aniang des 13. Jahrhunderts entftandene) und gute Manufkript
Barberini in der Vatikanifchen Bibliothek nur für
einige Teile nach Photographien, welche P. Kahle beforgte,
berückfichtigt werden konnte (s. S. XIV—XVII) und daß
einige wenige Manufkripte in englifchen Privatbibliotheken
oder in Privatbefitz verweigert wurden (s. S. XXXVIII),
fo muß man von Gall danken, daß er, nachdem er 23
Handfchriften und die Mehrzahl der Fragmente benutzt
hatte, zu der Herausgabe fchritt. Das Vollkommene,
das in diefer Welt, wo alles Stückwerk bleibt, nicht zu
erreichen ift, darf nicht ein Hindernis fein, daß, wo das
Mögliche getan ift, die Früchte und der Ertrag folcher
Arbeit der Wiffenfchaft zu Gute kommen. Zudem ift
von Gall beizuftimmen, daß keine große Ausbeute von
den unerreichten Manufkripten zu erwarten fei; und, nachdem
nun das fefte Fundament gelegt ift, kann nachträgliche
Vergleichung von glücklicheren Forfchern die allenfalls
nötigen Ergänzungen beibringen. Übrigens tragen

1) Soeben ift auch der 3. Teil: Leviticus (S. 207—264), Preis
M. 9.50, im Buchhandel erfchienen. .