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Ausgabe:

1915

Spalte:

518-520

Autor/Hrsg.:

Cohn, Jonas

Titel/Untertitel:

Der Sinn der gegenwärtigen Kultur. Ein philosophischer Versuch 1915

Rezensent:

Dorner, August

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Aus der Muffe der Nichtklerikalen liebt L. Zlinächft I Trennung meinten, fehr viel ernfthafter nehmen muffen, als L (62 f.) es

heraus Die konfen Heilten Individualiften' (5. Ka- tut- MaS übrigens in den Reden einzelner Klerikalen manche, beabfich-

«ih.1i ,1,V ,|;f, T,]pe rles r hriftliVhen Staates' ver irhten "Ste oder unbeabfichtigte, Unklarheit bleiben, das fteht nun doch auch

Intel) die die Idee des .chnltllCfien ?taates Vtracnten nach L.s Unterruchung feft, daß die Klerikalen im Frankfurter Parlament

und Trennung von Staat und Kirche Wlinicnten, die dann niemalseinen Antraggeftellt oder unterftützt haben, derdie völlige Tren-

tlie meiften ihrer Forderungen in den .Grundrechten' er- nung von Staat und Kirche gefordert hätte. Diefe Tatfache allein fcheint

füllt fehen konnten I nicht aber — gegen Lempp I47 — mir die Lfche Meinung hinreichend zu widerlegen; wären die Klerikalen

die Trennung von Staat und Kirche'), .Die Radi. tatfächl.^

, , ' ' " * , , , • , tt .r 1' a- 1 1 I zeugl gewefen, fo hatten fie wahrlich in der Paulskirche am venivften
kalen' (6. Kapitell, d.h. in der Hauptfache die demokra- , Grund gehabt, mit einer fo liberalen Anfch.iuung hinter dem Iherge

tifche Linke, wollten nicht religionsfeindlich fein, wandten j zu halten.

fich aber mit derbem und meift unklarem Eifer gegen ich m,,ß noch bemerken, daß L.s übrigens vielfach

die beftehenden Kirchen; fie verlangten vollkommene j lehrreiche Behandlung der klerikalen Taktik an Klarheit
Trennung von Sta at und Kirche, fliehten aber zugleich j gewonnen haben würde, wenn er die Abfchnitte 2 und 3
mit ihren Antrugen in innerkirchliche Verhältniffe ein- i des 2. Kapitels ineinander gearbeitet hätte; die Darfteilung
zugreifen. Als ,die Jofephiner' (7. Kapitel) faßt L. wäre dann auch weniger breit ausgefallen.. L.s Vergleich
einige geiftliche und nichtgeiftliche liberale Katholiken zwifchen der Würzburger Bifchofsverfammlung und der
Ofterreichs und Süddeutfchlands und liberale Proteftan- Haltung der Parlamentsklerikalen (S. 82 ff.) ift z.T. durch
ten zufummen, die die Trennung von Staat und Kirche > feine irrige Trennungsidee beftimmt; die Tatfache, daß
als zwecklos ablehnten, vielmehr, wenn fchon unter frei- es fich in Würzburg um eine kirchliche Verfammlung
heitlichen Beteuerungen, eben um der Gewiffensfreiheit und handelte, war nachdrücklich hervorzuheben, und die Fraulich
um des Staates willen ftaatliche Vorfchriften und ge nach der dort herrfchenden Auffaffüng von der
ftaatliche Aufficht für die Kirchen begehrten. ,Die ; tatfächlichen Macht der Paulskirche wird doch "noch mehr
Realpolitiker'(8. Kapitel) nennt L. die zahlreichen, vor- j jm Sinne Schnabels beantwortet werden müffen, als L.
wiegend dem Kafino und der Rechten angehörenden j (96 f.) zugibt. Erfreulich ift es, daß der Vf. die mit der
abgeordneten, die fich der Trennung von Staat und ' Kirchenfrage eng verknüpften Debatten über das Schul-

Kirche und darum auch der Privilegierung einzelner | wefen nicht nur in flüchtigem Vorbeigehen beriiekfichtigt
Kirchen widerfetzen, und zwar eben aus realpolitifchen hat. Neben der Rede Kettelers hätte (S. 72f.) auch
Erwägungen, insbesondere aus Rückficht auf die evan- j Kettelers Brief an feine Wähler (vom 17. Sept.; Raich,
gelifche und aus Beforgnis vor der katholifchen Kirche. Briefe von und an Ketteier 160) verwertet werden können'

Den Erörterungen über diefe gefchtckt, wennfehon : . t>_ „

nicht ohne konfirmierende Vereinfachung zufammenge- frettturg t J5r. F. V igener.

fugten Gruppen hat L. einige Seiten (3. Kapitel) über, den -

einzigen proteftantifchen Klerikalen', den orthodox-pietifti- ; Cohn, Prof. Jonas: Der Sinn der gegenwärtigen Kultur Ein

fchen Chriftoph Hoffmann aus Ludw.gsburg und eine philofoph. Verfuch. (XI, 207 S.) gr. 8». Leipzig F
umfaffende Unterluchung über ,die Klerikalen' (2. Ka- £ . 1 • ■" •*>' TV?.

pitel; S. 27—107) yorangeftellt. Er betrachtet insbeföndere Memer l9l4- M. 8 — ; geb. M. 9 —

die Abfichten, Forderungen und Erfolge des .katholifchen Der Verfaffer fucht zuerft feftzuftellen, was das cha-

Vereins', deffen Entftehung und Wirksamkeit man gerade j rakteriftifche Merkmal der gegenwärtigen Kultur fei, und
in den letzten Jahren wiederholt eingehend behandelt hat. j kommt zu dem Refultat, daß fie auf der bewußten Frei-
Er bemüht (ich in felbftändiger Forschung, über feine Vor- j heit ruhe, die nichts ungeprüft gelten laffe. Der Geift
ganger hinauszukommen. Die genauere Durcharbeitung der j ift befreit durch den kritifchen Verftand, aber diefe Frei -
Quellen geftattet ihm inderTat, auchhieraneinzelnenStellen ! heit ift negativ, der freie Geift ift mit feiner Befreiuncr
imfere Kenntnis zu erweitern. Aber der Hauptgedanke, auch entleert, und es kommt darauf an, daß er wieder
den er mit fteigendem Eifer vorträgt, fcheint mir fo, wie ! erfüllt wird. ,Die Erfüllung des befreiten Geiftes ift das
er ihn faßt, unhaltbar. Der Vf. begnügt fich nicht mit j eigentliche Ziel unferer Zeit' Wenn man nun fragt, auf
der Kennzeichnung jener fchon von den Zeitgenoflen deut- J welche Weife diefe Erfüllung gefchehen kann, fo ift zu-
lich erkannten klerikalen Parlamentstaktik, die mit liberalen nächft zu bedenken, daß der'zerfetzende Verftand das
Mitteln für kirchliche Zwecke zuarbeiten 1'uchte, er glaubt ! Individuum nicht nur von allen Feffeln der Tradition, von
vielmehr darüber hinaus die Behauptung bewiefen zu 1 der Sitte, von Vorurteilen befreit und zu felbftändigem
haben, daß ,die' Klerikalen in Frankfurt die Trennung Erkennen und Entfeheiden fuhrt, fondern auch das Ich
oa Staat und Kirche forderten und wünfehten, und zwar j zerfetzt und zertrümmert. Das Letztere gefchieht, indem
,wohT die meiften nicht nur aus taktifchen Gründen fondern der Verftand fich aller perfönlichen Sonderheit entledigt,
in der ernften Überzeugung, daß nach der Zeitlage die zum Verluft der Eigenart führt und die Einheit überall
Trennung notwendig fei. Eine eingehende Auseinander- : in Elemente auflöft, die mechanifch zufammeno-efetzt
letzung mit dem Vf., der die feiner Anficht entgegen- : werden. Diefer Tendenz entfpricht auch das Vorwiegen
stehenden Schwierigkeiten zwar nicht überfieht, aber zu : der Technik, die überall nach den Mitteln, nicht nach
leicht nimmt (S. 62 ff), würde faft foviel Seiten erfordern [ dem Zweck frage. Sie ift ,die bewußte Auffuchung und
als mir hier Zeilen zur Verfügung flehen. Nur ganz kurz Anwendung der angemeffenften Mittel zu irgendwelchen
muß ich dem Vf. folgendes entgegenhalten. j Zwecken'. Das zergliedernde Denken zerftört die Zu-

Der klerikale Antrag Nagel zum 3. Artikel der Grundrechte (vgl. fammenhänge, löft alles in die Elemente auf und verkettet
1 37 ff 92) fordert die Trennung von Kirche und Staat weder ausdrück- diefe nach objektiven Gefetzen; das Befondere tritt zurück
lieh noch auch der Sache nach; was hier verlangt wird, ift Freiheit der gegen das abftrakte Gefetz im Erkennen, im Sittlichen,

in der Myftik, die auch alles Individuelle vernichtet.

Es kommt darauf an, daß die Perfönlichkeit einen
neuen Inhalt gewinne, nachdem fie befreit ift, und den
kann der Verftand nicht geben, der nur formal, abftrakt,
kritifch zerfetzend ift. Konkrete Werte find vielmehr anKirche
von den Eingriffen der Staatsgewalt, nicht Trennung vom Staate,
und § 4 des Antrags (Gewährleiftung des Kirchenbefitzes) zielt doch recht
deutlich auf die Erhaltung der (lautlichen Dotation ab. Die Klerikalen
lind von dem Gedanken an einen Verzicht auf die ftaatliche Dotation
foweit entfernt, daß fie alles, was auf ihn hindeuten könnte, forgfam vermeiden
. Vor allem aber, fie lehnen den diefen Gedanken einfchließen-

den Antrag .keine Religionsgefellfchaft geuießt vor anderen Vorrechte j .nerkmnttmnJT ~*lu-^l"ull"Z [l"TlTl •"*"*"•"■ «

durch den Siaat' faft ausnahmslos ab. Gegenüber dem fchwächlichen i S^^S!!« 2 " "^Ä h*i T?" t,.Llzunehmen. flch «"

Verbuche L.s (S. 64), diefer Tatfache ihre Bedeutung zu nehmen, muß 1^ -V, " zu™U«t .Alles Rationallfierte ift entgeiftet',

man die entfeheidende Wichtigkeit diefer Abftimmung hervorheben; ihm fehlt das individuelle Leben. Diefe.S findet Cohn am

indem die Klerikalen diefen Salz verwarfen, zeigten fie aufs beftimmtefte, I vollkommenften au.sereprä'rt in der erfüllten Pei fönlirhl-pit

daß fte eine wirkliche Trennung von Kirche und Staat eben nicht £ befteht diV Anfcrkfw» tue rl^m TK^tto a rvT/iTl

wünfehten. Im Hinblick auf die Dotationsfrage wird man auch die wieder- j _ ^„!it 2 Pl^ a a den ChaOS deS Gegebenen

holte ausdrückliche Erklärung verfchiedener klerikaler Redner, daß fte ' aogeitultes Sj-ftem des Anzuerkennenden aufzubauen'.

L'nabhängigkeit der Kirche verlangten und mit l'nabhängigkeit nicht I Vor allem muß das Mannigfaltige der Perfon um ein