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Ausgabe:

1915 Nr. 24

Spalte:

515-516

Autor/Hrsg.:

Ludwig, August Friedrich

Titel/Untertitel:

Die chiliastische Bewegung in Franken und Hessen im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts 1915

Rezensent:

Diehl, Wilhelm

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 24.

5.6

phifchen Fleißes, unermüdeter Geduld und großer Belefen- i Proli in Offenbach am Main eine rätfelhafte Tätigkeit ent-
heit in miffionarifcher und ethnographilcher Literatur ver- i faltete. Über Proli waren wir bisher nur fehr mangelhaft
dient, vermag ich fo wenig zu geben, daß ich von kriti- ! orientiert. Ein romanhaft ausgeftalteter Artikel in Jahr-

fcher Würdigung des Gebotenen ganz abfehen muß.

Der Stoff des Buches follte urfprünglich ein Kapitel
eines umfangreichen bibliograpifch-hiftorifchen Werkes
über das Common Prayer Book bilden, das der Vollendung
nahe ift. Aber er wuchs dem Verfaffer, der Bibliothekar
an der Public Library in Bofton in Amerika zu

gang 1867 der .Gartenlaube' und ein aus Dichtung und
Wahrheit zufammengefetzter Abfchnitt in Ferdinand Dief-
fenbachs .Großherzogtum Heften.' waren die .Quellen'
über Prolis Leben. Es ift das begreiflich, da die im
Haus- und Staatsarchiv zu Darmftadt aufbewahrten Proli-
Akten Jahrzehnte lang ängftlich der Forfchung vorenthalten

fein fcheint, über den ihm zugedachten Raum weit hin- j wurden. Dem Verfaffer diefer Arbeit ift es geglückt, daß
aus und ift deshalb in einem felbftändigen Werke be- | ihm ein Teil diefer Akten vorgelegt ward. Er war des-
arbeitet worden. Nach einer kurzen Einleitung (S. 3—23), | halb in der Lage, zumal er auch andere neue Quellen
die das Verdienft der Society for the Propagation of the j erfchloffen hat, vieles über Proli mitzuteilen, was man
Gospel in Foreign Parts, der Church Missionary Society j noch nicht wußte, und die Romane der .Gaitenlaube' und
und der Society for Promoting Chriftian Knowledge um } Dieffenbachs in wefentlichen Punkten zu berichtigen,
die Verbreitung des Common Prayer Book, die Notwendig- i Immerhin harrt noch eine Reihe von Fragen ihrer Löfimg.
keit linguiftifcher Bildung der Minionare und die kulturelle | Das ganz rätfelhafte Verhältnis des erften heffifchen Groß-
Bedeutung der Heidenmiffion befpricht und auf 8 Seiten ] herzogs zu Proli ift jetzt nach Erfcheinen von Ludwigs
die allgemeinere für den Stoff des Buches wichtige Lite- i Buch noch geheimnisvoller wie vordem. Es wäre fehr
ratur namhaft macht, behandelt das Buch felbft mehr als 1 zu wünfchen, daß fämtliche Akten einem Bearbeiter zur
120 Überfetzungen des Common Prayer Book aus der ! Benutzung zugänglich gemacht würden, zumal auch nach
Zeit von feinen vor-definitiven Anfängen(1550/51) bis 4913. ! Erfcheinen vorliegenden Buchs die kirchengefchichtliche
Zuerft kommen die lateinifchen und griechifchen Über- i Forfchung, die jetzt den Sektierer Müller aus Koftheim —
fetzungen zur Behandlung, dann die in Sprachen des well- I auch auf Grund eines von Ludwig mitgeteilten höchft in-
lichen und des örtlichen Europa und des näheren Orients tereffanten Schreibens Möhlers — genauer kennt, mit dem
dann — in vier weiteren Kapiteln — all die Überfetzungen, Baron Proli in Offenbach leider immer noch nichts anfangen
welche die Ausbreitung des anglikanifchen Chriftentums kann. Daß die .Gartenlaube' und Dieffenbach mit ihrer
in der weiten Welt fonft gezeitigt hat. Den Inhalt der Behauptung, hinter dem Baron Proli ftecke ein .politifchcs
einzelnen Abfchnitte bilden hiftorifche Mitteilungen über Geheimnis' (Abdämmung von Imrftprimas Frh. v. Dalberg),
den Boden, auf dem die Überfetzungen wuchfen, bezw. ' auf falfcher Fährte gewefen feien, fcheint mir durch Ludfür
den fie beftimmt waren, fowie über die Überfetzer wig nicht erwiefen. Es fragt fich nur, welcher Art das
und ihr Werk, fodann anfcheinend peinlich forgfältige — ; Geheimnis ift; es find noch andere Geheimniffe beim Vereine
Kontrolle ift natürlich unmöglich — bibliogra- j hältnis eines Menfchen zu einem Fürften denkbar als da»
phifche Angaben in den mannigfachften, z. T. exolifchen 1 der leiblichen Abdämmung.

Sprachen, mehrfach auch Bemerkungen über den Wert : Friedbere i H Diehl
der Überfetzungen und ausgiebige, auch für die Miffi- ' . •■

onsgefchichte wichtige, Literatur-Nachweife. Auch der | —

Lefer, der, wie ich, nicht die Geduld aufzuwenden , Lempp, Stadtpfr. Dr .Richard: Die Frage der Trennung von.
vermag, alle Ausführungen des Verfaffers zu lefen - Kjrche d $t t . Frankfurter Parlament. (Beiträge
he find ja in der lat mehr tur das bibliographuche und | T1 ..... ~. -A-i •

miffionswiffenfchaftliche Nachfchlagebedürfnis beftimmt | Zl,r Parte.gefchichte 7.) (F , 240 S.) gr. 8<>. rubmgen.
als für fortlaufendes Lefen —, wird immer wieder die Be- J- C. B. Mohr 1913 M. 6 —

lefenheit des Verfaffers und feine unermüdliche Ausdauer 1 Der Verf behandelt in eingehender und durchdachter
bewundern müffen. Die Sorgfalt der bibhographifchen ! Unterfuchung die Anfchauungen, die die Frankfurter Par-
Befchreibungen und der Literaturangaben kann in Deutfch- ! teien oder richtiger die Gefinnungsgemeinfchaften und
land niemand nachprüfen. Doch erweckt des Verfaflers j einzelne hervorftechende Individualitäten über die Kirchenganze
Art in diefer Hinficht ein gutes Vorurteil. Daß er frage gehegt und vertreten haben. Da die Beantwortung
felbft von der Unvollftandigkeit feiner Nachweifungen der Kirchenfrage den Parlamentsklubs durch keinen Parteiüberzeugt
ift und um Ergänzungen bittet (p. VI), ift trotz- zwang vorgefchrieben war. hat der Individualismus der
dem verftändlich. Könnte ich Ergänzungen derart geben, Abgeordneten in den Debatten über diefe Frage fich
fo würde ich deshalb von des Verfaffers Arbeit nicht ge- frej entfaltet. Lempps .überficht über die Haltung der
ringer denken. j Frankfurter Klubs' (4. Kapitel; insbefondere die Tabelle

Auf keiner größeren gelehrten Bibliothek des eng- S IIQ) zeigt auf Grund der namentlichen Abftimmungen,
lifchen Sprachgebiets wird das Buch fehlen dürfen. Wir | daß felbft die ziemlich gefchloffen auftretende Linke zumeift
Deutfchen werden das Einzelne nur für die Miffionsge- j die Abfpaltung kleiner (in der Jefuiten frage fo gar großer)
fchichte zu verwerten Gelegenheit haben. Als Ganzes Minderheiten erleben muß, daß auch die ftreng difziplinierte
aber kann das Buch uns auch mancherlei lehren über die Rechte (Milani) nur feiten völlig einmütig auftritt, daß.
Weltftellung Englands und die Bedeutung feiner nur j voiiends die Parteien der Mitter namentlich der Augs-
zu^ leicht lediglich als nationales Spezialgewachs beurteilten ! burger Hof und der Landsberg, fich in zwei Gruppen
Kirche. j teilen, deren kleinere fall immer'recht anfehnlich, in einHalle
(Saale). Loofs. 1 zelnen Fällen fogar fehr bedeutend ift. Der Verf. hat

_ I deshalb feine Unterfuchung nicht an die Parteibildung

' angelehnt, vielmehr macht er die in Rede oder Abftimrnung
Ludwig, Prof Dr. A. IT.: Die chiliaftilche Bewegung in hervortretenden verfchiedenartigen kirchenpolitifchen An-
Franken und Heilen im erften Drittel des ip.Jahrhun- fchauungen zum ordnenden Prinzip; dabei zeigt fich

derts. Mit einem Sendfehreiben Möhlers. (102 S.) 8". j [reilich- Td:iß. ^^tltf ind}vid^Vl^cl^ B^h:
„ , . ' _ ! tungsweife vielfach wieder zu den Parteien zuruckleitet,

Regensburg, F. Puftet 1913. M. 1.20; geb. M. i.bo | daü insbefotldere kirchlicher und politischer Radikali

Das Buch befchäftigt fich in der Hauptfache mit der
Perfönlichkeit und dem Wirken des aus Koftheim am Main
flammenden Sektenführers Bernhard Müller, der in den
erften drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zuerft in Franken
, dann von 1822 ab unter dem Namen eines Barons

er

mus im wefentlichen zufammenfallen. Diefe Gruppierun
gibt, wenn fie auch einige Schwierigkeiten mit fich bringt,
tatfächlich eine hinreichend deutliche Vorftellung von
den religiöfen und kirchenpolitifchen Strömungen im
Parlament.