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Ausgabe:

1915

Spalte:

8

Autor/Hrsg.:

Westcott, Frederick Brooke

Titel/Untertitel:

St. Paul und Justification 1915

Rezensent:

Bauer, Walter

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. r.

8

Headlam, Prof. Arthur C, D.D.: St. Paul and Christianity.

(XV, 214 S.) 8°. London, J. Murray 1913. s. 5 —

In zehn Kapiteln, denen noch ein Index folgt, handelt
Verf. fein Thema ab. Nach den einleitenden Bemerkungen
des erften Abfchnittes ftellen die acht folgenden
die Lehre des Paulus dar, der letzte befchreibt
die Bedeutung des Apoftels für die Chriftenheit. Der
Charakter des Werkes ift leicht zu kennzeichnen. Zu-
nächft ift zu bemerken, daß H. fämtliche dreizehn im
N.T. als paulinifch fich gebende Briefe auch als folche
anfleht und verwertet. Uber die Apoftelgefchichte und
ihren Quellenwert für die Ermittlung der paulinifchen
wie der urapoftolifchen Gedankenwelt fällt er gleichfalls
ein günftiges Urteil. Von helleniftifchen Einflüffen, denen
Paulus fpürbar ausgefetzt gewefen wäre, will H. nichts
wiffen. Der Apoftel war Jude und Pharifäer, gehörte aber
in keinem Maße der helleniftifchen Welt an.

Wer zwifchen Paulus und den Urapofteln eine tiefe
Kluft erblicken will, fieht die Dinge nicht richtig. Von
fundamentalen Unterfchieden kann keine Rede fein. Vielmehr
ift ein guter Teil der paulinifchen Religion und
Theologie nur zu begreifen als Produkt der Entwicklung
von Keimen, die bereits das vorpaulinifche Chriftentum
enthalten hat. Auch zwifchen Paulus und Jefus felbft
befteht ein ftarker Zufammenhang. Wenn der Apoftel
z. B. von Jefu Tod als einem Opfertod fpricht, fo tut er
es, weil der Meifter felbft es getan. Anderes verdankt
Paulus naturgemäß feiner jüdifchen Vergangenheit, teils
dem A. T., wie etwa den Gedanken der Erlöfung, teils
der rabbinifchen Theologie — fo die Zurückführung von
Sünde und Tod auf Adam und feinen Fall. Als hauptfächlich
mitwirkender Faktor bei der Entftehung des
Gedankenkomplexes, den man den Paulinismus nennt,
ift neben Jefus und der Urgemeinde, dem A. T. und der
fpätjüdifchen Theologie endlich noch die perfönliche Erfahrung
des Apoftels geltend zu machen.

Wie H. die paulinifche Lehre aus ziemlich einheitlicher
Wurzel entfproffen denkt, fo fieht er in ihr auch
keine auseinanderftrebende oder doch unverknüpft nebeneinander
herlaufende Gedankenreihen. Wenn als Grund
von Rechtfertigung und Heil bald der Glaube erfcheint
und dann auch wieder die Vereinigung mit Chriftus, fo
deshalb, weil wir mit Chriftus durch den Glauben verbunden
werden. So fügt fich das, was man die paulinifche
Myftik nennt, zu der auf die Schrift gegründeten
Überzeugung, daß der Menfch durch Glauben gerechtfertigt
wird. —- Beim Anblick des eschatalogifchen Bildes
im L Theff. werden wir belehrt, daß die Einzelheiten
nicht wörtlich und wirklich zu nehmen feien. Vielmehr
würden einige große Wahrheiten (Gericht, Auferftehung,
endlicher Triumph Gottes) in Symbole verkleidet vorgetragen
.

Reizt hier und fonft nicht feiten H.'s Darlegung den
Widerfpruch, fo ift doch auch anzuerkennen, daß er viel
Zutreffendes fagt. So wird richtig bemerkt, daß das an
dem paulinifchen Gedankengebäude, was fpezififch rab-
binifch war, die geringfte Nachwirkung ausgeübt hat.

Will man das Buch H.'s als Gefamtleiftung würdigen,
fo muß man angefichts des Kyrios Chriftos von Bouffet
und in Gedanken an die letzten Arbeiten der übrigen
,religionsgefchichtlich' intereffierten Gelehrten der theo-
logifchen und philofophifchen Fakultät fagen: die neuefte
Phafe der paulinifchen Forfchung repräfentiert es nicht.
Wer fich aber über den älteren Standpunkt wefentlich
konfervativer Natur aus einem Werke unterrichten will,
das gefchmackvoll und klar gefchrieben ift, fich auf die
Hauptfachen befchränkt und eingehende Auseinander-
fetzung mit moderner Literatur vermeidet, der wird bei
H. auf feine Kotten kommen.

Breslau. Walter Bauer.

Westcott, Frederick Brooke: St. Paul and Justification.

Being an Exposition of the Teaching in the Epistles
to Rome and Galatia. (VIII, 397 S.) 8°. London, Mac-
millan & Co. 1913. s. 6 —

Den Inhalt des Buches bildet eine Erklärung des
Galater- und des Römerbriefes unter befonderer Berück-
fichtigung der Frage, wie fich der Apoftel in den beiden
Schreiben über die Rechtfertigung ausgefprochen hat.
Verf. bekennt im Vorwort, fich nur mit großem Zögern
zur Herausgabe feines Werkes entfchloffen zu haben. Er
gibt dem Bewußtfein unumwunden Ausdruck, zur Bewältigung
feiner Aufgabe nur mangelhaft ausgerüftet gewefen
zu fein. Die Lektüre endlofer Kommentare und
unzähliger anderer Arbeiten liege ihm nicht. So habe
er fich denn im wefentlichen nur von Lightfoot, Sanday
und Headlam Rat erbeten. Im übrigen fei fein Beftreben
dahin gegangen, dem Apoftel keine Gedanken, die ihm
fremd find, unterzulegen, fondern durch genaue Interpretation
feine wirkliche Meinung feftzuftellen.

Niemand wird das Ziel unrichtig fixiert finden und
jeder zugeben, daß feine Erreichung auch durch ange-
ftrengte Mühewaltung nicht zu teuer erkauft ift. Aber
der Zweifel beginnt fich zu regen, fobald man fich danach
umfieht, ob W. ihm nun auch nahe gekommen ift. Ich
fürchte, feine geringe Neigung, die Leiftungen der Mitarbeiter
zu berückfichtigen, hat fich ihm hindernd in den
Weg gefleht.

Gleich der erfte Paragraph lehrt, daß er doch ein zu primitives
Handwerkszeug führt. Da will er die Bedeutung von drVatog=iustus=right
feftfteUen. Er preift fich glücklich, zu diefer Uuterfuchung kein He-
bräifch nötig zu haben. Denn es fei allbekannt, daß die neuteftament-
lichen Schriftfteller durchweg das griechifche AT gebrauchten. Als ob
öixaioq dadurch, daß es im AT zur Übertragung einer hebräifchen Vokabel
verwendet wird, nicht einen Sinn bekommen haben könnte, der nur durch
Rückgang auf den Urtext zu gewinnen ift! Und wie wird die Bedeutung
feftgeftellt, die das Wort in der Gräzität hat? Durch Heranziehung einiger
Klaffikerzitate, mit denen fich dann ein paar LXX-Stellen verbinden
. Eine folche Forfchungsmethode ift in der Gegenwart wirklich
nicht mehr erträglich.

Aber fie ift charakteriftifch für W.'s Buch. Zu IXaaxiiQiov Rom. 3,25
wird ein Äfchylusvers angeführt, der lediglich die Form des Wortes betrifft
(S. 177). Das von Deissmann, Lietzmann u. a. zufammengetragene
Material bleibt unverwertet. Ebenfo dürftig wie das fprachliche, ift —
das lehrt fchon das eben vorgelegte Beifpiel — die fachliche Erklärung ausgefallen
. Wir werden nicht wiffenfchaftlich in die paulinifche Gedankenwelt
eingeführt, indem fie uns in ihrem Werden gefchichtlich verftänd-
lich gemacht wird. All der reiche religionsgefchichtliche VergleichsftofT,
den das letzte Jahrzehnt aufgehäuft hat, ift für W. ohne Bedeutung. Er
ignoriert felbft die altteftamcntlichen Apokryphen und fog. Pfeudepigraphen
und begnügt fich, an paffend erfcheinenden Stellen das AT zu zitieren.
Was fein fall ganz auf fich felber geftellter Sinn als Meinung des Apoftels
erfaßt, das teilt W. mit. Dabei kommt es ihm unverkennbar auf
den Nachweis an, daß die paulinifchen Gedanken auch für uns Heutige
von größtem Werte find.

Ich denke nicht daran, eine folche mehr praktifche Behandlung
der Aufgabe fchlechthin abzulehnen. Aber man kann, was dabei herauskommt
, nicht Ermittelung der wahren Abficht des Paulus nennen. Zu
einer wirklich brauchbaren Interpretation gehört heutzutage mehr als
,abfolute Ehrlichkeit'.

Breslau. Walter Bauer.

Müntz, W. S., D.D.: Rome, St. Paul and the early Church.

The Influence of Roman Law on St. Pauls Teaching
and Phraseology and on the Development of the
Church. (XVI, 227 S.) 8°. LondonJ. Murray 1913. s. 5 —

M. handelt von dem Einfluß, den Rom auf Paulus
und die Kirche der erften Zeit ausgeübt hat, über die
Porderungen und Hemmniffe auf geiftigem und weltlichem
Gebiet, deren Quelle es gewefen ift. Das Hauptintereffe
konzentriert fich auf den Apoftel. Ihm find 10 von
13 Kapiteln geweiht. Und das ift gut fo. Denn was der
römifche Staat für Entftehung und Entwicklung der rö-
mifchen Kirche bedeutet hat, ift oft gefehen und be-
fchrieben worden. Aber eine Unterfuchung der Frage,
welchen Wert römifche Gefetze, Einrichtungen, Ideen,
Sitten und Gebräuche für Paulus gewonnen haben, durfte
eines warmen Empfanges ficher fein.