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Ausgabe:

1915 Nr. 23

Spalte:

489-491

Autor/Hrsg.:

Bousset, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Kyrios Christos. Geschichte des Christenglaubens von den Anfängen des Christentums bis Irenaeus 1915

Rezensent:

Knopf, Rudolf

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489

Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 23.

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Die epochemachenden Arbeiten des großen Göttinger
Orientaliftenjulius Wellhaufen bewegen fichhauptfächlich
auf drei Gebieten, dem Alten Teftament und Judentum
, dem Arabifchen und dem Neuen Teftament. Deshalb
hätte eine der Bedeutung des Meifters angemeffene
Feftfchrift Beiträge aus dielen drei Gebieten bringen
muffen. Dagegen ift in dem vorliegenden Buche das
Neue Teftament gar nicht, das Arabifche nur durch den
Engländer Bevan, die Sprachvergleichung nur durch den
Pfarrer Frankenberg vertreten. Alle übrigen Abhandlungen
beziehen fich auf altteftamentliche (17), bzw. jü-
difche Stoffe (2). Nichtsdeftoweniger nennt fich diefe
F'eftfchrift .Studien zur femitifchen Philologie und Reli-
gionsgefchichte'. Diefe Formulierung ift zu allgemein und
deshalb irreführend. Es wäre m. E. zweckmäßig gewefen,
das ftarke Überwiegen der altteftamentlichen Spezialität
irgendwie auf dem Titel anzudeuten.

Königsberg i. Pr. Fr. Schwally.

Bouffet, Prof. D. Wilh.: Kyrios Chriftos. Gefchichte des
Chriftusglaubens von den Anfängen des Chriftentums
bis Irenaeus. Mit ausführl. Regiftern. (Forfchungen
zur Religion u. Literatur des Alten u. Neuen Teft.
Neue Folge. 4. Heft.) (XXIV, 474 S.) gr. 8». Göttingen,
Vandenhoeck & Ruprecht 1913. M. 12—; geb. M. 13—

Leider komme ich erft, gegen meine Abficht, fehr j
fpät dazu, diefe vorletzte große Veröffentlichung Bouffets
zu befprechen. Es ift der wichtigfte Abfchnitt der ur- j
chriftlichen Religionsgefchichte, den B. vorgenommen
hat, indem er in dem Buche die Frage nach der Chrifto-
logie aufwirft und zu löfen unternimmt.

Jefus felber hat fich nach B.s Anfchauung nicht für
den Meffias gehalten. Doch läßt B. die Frage nach dem
Selbftbewußtfein Jefu faft ganz zurücktreten und beginnt
feine Darftellung (Kap. 1 und 2) mit dem Glauben der
paläftinifchen Urgemeinde. Mk und Q find die Quellen.
Während die Titel Chriftus und Davidsfohn in der älteren
Schicht ganz zurücktreten, ift der Glaube und die
Dogmatik der Urgemeinde als Glaube und Theologie des
Menfchenfohnes deutlich zu erfaffen. Dies Bekenntnis
fcheidet die Urgemeinde vom Judentume. Der Menfchen-
fohn ift in der jüdifchen Dogmatik der transfzendente
idealifierte himmlifche Meffias im Gegenfatz zu dem
irdifchen Davidsfohn. Die alte Überlieferung, in fehr
wichtigen Zügen treu bewahrend, hat doch hinter das 1
Evangelium Jefu die Geftalt des himmlifchen Menfchenfohnes
gefchoben, deffen Glanz in Wunder und Weisfagung, |
Verklärung und Auferftehung durch den irdifchen Jefus I
hindurchftrahlt, wie durch ein Transparent. Als das
Chriftentum, noch vor der großen paulinifchen Miffion,
auf den Boden des Hellenismus trat (Kap. 3), als Gemeinden
in Damaskus, Antiochien, Tarfus entftanden,
wurde der Menfchenfohn, der wie der Chriftus auf zu
jüdifcher Vorausfetzung ruhte, nicht mit übernommen, j
Der neue Titel, unter dem Jefus geglaubt und begriffen
wurde, war: Kyrios. Die Bezeichnung ift nicht Über- |
fetzung eines aramäifchen mar, was nur == Lehrer ift,
ftammt auch nicht aus LXX, fondern ift religionsgefchicht-
lich zu erklären. Der helleniftifche Titel Kyrios wird
den Gottheiten gegeben, die im Mittelpunkt des Kultus
der betreffenden Gemeinfchaft ftehen. Er ift von Syrien
und Ägypten ausgegangen. War er innerhalb der chriftlichen
Gemeinde erft einmal im Gebrauch, dann blieb es
nicht aus, daß er auch in LXX gefucht und gefunden
wurde.

Auf der Grundlage des Kyriosglaubens und -kultes
erhebt fich die perfönliche Chriftusreligion des Paulus
(Kap. 4). Ihr Ausgangspunkt ift: 6 de xvgiog ro uivtv[ia
Mxiv. Das Pneuma ift für Paulus die Grunderfahrungs-
tatfache des eigenen und überhaupt des gefamten chriftlichen
Lebens. Seine Pneumalehre mit ihrem Peffimismus t

und ihrer dualiftifchen Erlöfungslehre ift wiederum nicht
aus dem A. T, auch nicht aus der Philofophie der Griechen,
fondern aus der Umwelt des Synkretismus zu erklären,
der Philofophie und Glauben, Reflexion und Myfterien-
wefen, Spekulation und ekftatifche Myftik in fich vereint:
Philo und die Schriften des Hermeskreifes geben eine
Anfchauung von diefer religiöfen Stimmung. Der mit dein
Pneuma von Paulus in Eins gefetzte Chriftus ift nicht
der hiftorifche Jefus, auch nicht der Chriftus, der dem
Paulus vor Damaskus erfchienen ift, fondern der im
Gottesdienft der Gemeinde verehrte Kyrios. Die Gottes-
myftik des Paulus ruht auf feiner Chriftusmyftik. Unter-
fchiede der paulinifchen Religion von der helleniftifchen
hebt B. fcharf heraus: Paulus hat kein Vergottungsideal
trotz feiner Myftik, und die vornehmfte Heilsgabe ift ihm
nicht die Aphtharfie, fondern die Befreiung von Sünde
und Schuld.

Johannes (Kap. 5) baut auf Paulus weiter, zeigt aber
ausgefprochene Unterfchiede von Paulus. Schon in den
Titeln: der Kyrios tritt zurück, der Menfchenfohn er-
fcheint wieder, ein deutliches Zeichen dafür, daß irgendwelche
Beziehungen zu den Urkreifen vorliegen muffen.
Der Pneuma-Kyrios des Paulus wird verdrängt vom
Logos-Gottesfohn, der im Fleifche erfchienen ift und über
die Erde wallte, der Geift wirkt fich wefentlich in Sakrament
und Amt aus. Die Chriftusmyftik freilich bleibt,
wenn auch anders beftimmt. Ziel der johanneifchen
Frömmigkeit ift die Vergottung durch Gottesfchau, Gott
aber wird gefchaut im Gottesfohne, der auf Erden erfchienen
ift. Die Vergottung durch die Gottfchau ift auf
dem Boden helleniftifcher Frömmigkeit gewachfen: die
Myfterien, Philo, Hermes, aber auch die aftronomifch-aftro-
logifche Frömmigkeit bieten die Analogien. Der Glaube
bei Johannes ift das Sichhineinfchauen in den Gottesfohn,
damit die Gemeinfchaft mit ihm, und durch ihn mit Gott.
Glauben und Schauen entfprechen einander, das Heilsgut
tritt in die Gegenwart.

Zur Zeit, da das 4. Evangelium in der Kirche fich
durchfetzt, tritt bereits in voller Macht die Gnofis an die
Gemeinden heran (Kap. 6), eine reine Erlöfungsreligion
mit fchroffem Dualismus, mit Peffimismus und fuprana-
turaler Offenbarung. Sie wird mächtig angezogen von
dem ihr in mancher Beziehung fehr verwandten Paulinismus
. Die ganze Erlöfung wird ein Mythus, Jefus von
Nazareth tritt kaum mehr hervor. Sehr groß ift die Gefahr
, wenn fich die Gnofis des Paulinismus ganz bemächtigt
und die künftige Entwicklung beftimmt

Die Entwicklung geht aber nicht auf diefer Linie
weiter. Wie fie läuft, zeigen die Schlußkapitel (Kap. 7 —10).
Das nachapoftolifche Zeitalter fchraubt das Pneuma ganz
herab, die enthufiaftifche Chriiftusmyftik verfchwindet.
Aber Chriftus bleibt nach wie vor der im Kultus verehrte
Gott. So verfchieden die Typen nachapoftolifcher Frömmigkeit
auch find, jedes Dokument der Zeit zeigt Chriftus
als den Kyrios: in .Namen', Taufe, Bekenntnis, Gebet,
Euchariftie. Religiönsgefchichtlich liegt die Sache fo, daß
im Kyriosglauben der nachapoftolifchen Gemeinde wohl
ein Einfpruch gegen die Kyrioi der Welt erfolgt, daß
zugleich aber ftarke Entlehnungen aus der ,Welt' erfolgen
, namentlich aus dem Kaiferkult. Den Abfchluß
bildet die Darftellung der rationalen Theologie der Apologeten
und der Löfung des Problems Cur deus hömo

durch Irenaus.---__________________.....- .... __________ -....._ -

Das Buch als Ganzes ift ohne Zweifel ein großer
Wurf. Es macht durchaus Ernft mit der oft erhobenen
Forderung der religionsgefchichtlichen Methode. Ihre
Anwendung ift m. E. auch durchaus einwandfrei. Es
muß mit allem Ernfte und aller Folgerichtigkeit das religio
nsgefchichtliche Material des Hellenismus erhoben
und an die Gefchichte der frühchriftlichen Religion herangebracht
werden. Und das von B. aus dem Hellenismus
gefammelte Material behält für jeden Fall feinen Wert,
auch wenn er in den Anwendungen, die er davon macht,