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Ausgabe:

1915 Nr. 22

Spalte:

474-475

Autor/Hrsg.:

Freisen, Joseph

Titel/Untertitel:

Das Militärkirchenrecht in Heer und Marine des Deutschen Reiches, nebst Darstellung des außerdeutschen Militärkirchenwesens 1915

Rezensent:

Eger, Karl

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 22.

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Ift vielleicht der Hauptmann unter dem Kreuz der Vertreter
des deutfchen Militarismus? Dann ift feine Rolle eine
recht ehrenvolle.

Die hiftorilche Weiterentwicklung wird nun an diefem
Maßftab gemeffen. Die intereffanten Ausführungen enthalten
manch' geiftvolle Bemerkung. Aber die trans-
fzendentale Auffaffung des Chriftentums war auch in
ihren griechifchen Formen keine Entgleifung! Die Formel:
,the reformation began the process of democratizing
religion' ift mindeftens mißverftändiich.

Der Satz: ,if God is King, the little kings take their
exit' ift nur ein Spiel mit dem Worte ,king, und die
Identifikation vom chrifhichen Reichsgottesideal und dem
Enthufiasmus für Demokratie ift fchlimm. Der Verf. wird
naiv, wenn er fagt, in Deutfchland fchreibe man wohl
gelehrte Abhandlungen über das ,Reich Gottes', aber diefe
Idee fei außer Fühlung mit den praktifchen fozialen Be-
ftrebungen. In dem Satz: das Chriftentum fei eine Religion
für diefe Erde und für das gegenwärtige Leben
fteckt ja eine beherzigenswerte Wahrheit, aber doch eben
nur dann, wenn es mitten in der Welt feine iiberwelt- j
liehe Kraft nicht einbüßt. Die Annäherung der Idee des j
Reiches Gottes an einen aufErden erreichbaren Zuftand
fozialer Gerechtigkeit hat für die ethifche Gewiffens-
fchärfung ihre Bedeutung, kann fie aber nur aufrecht erhalten
, wenn fie ihren zugleich transfzendentalen Charakter
nicht verliert. Vom dritten Abfchnitt an wird dann
der Zuftand der gegenwärtigen ,halbchriftlichen' Gefell-
fchaftsordnung einer fcharfen Kritik unterworfen. Der
Maßftab an dem gemeffen wird, ift: the ethical convictions
wich we identify with Christ. Dabei wird zuerft darauf
hingewiefen, wie fehr diefer chriftliche Einfluß fich in
Familie, Kirche, Schule und politifchem Leben fchon
heilfam geltend gemacht habe, überall in der Richtung
auf Demokratifierung, was dem Verfaffer eins zu fein
fcheint mit der Inkraftsetzung ,des Gefetzes der Liebe und
des Dienftes'. Dabei find weder die gefchichtlichen Ver-
dienfte der ,patriarchalifchen Autokratie' genügend beleuchtet
noch ift der Beweis geliefert, daß es wirklich die
Demokratifierung ift, welche die ethifchen Werte erhöht
hat. Oder ift unter dem Schlagwort demokraey nur der
Gedanke verftanden, daß die Güter der Welt möglichft
der Allgemeinheit zu Gute kommen?

Was nach S. 153 die amerikanifche .demokratifche'
Staatsgewalt ihren Staatsangehörigen zu bieten verfucht,
(gleiches Recht für Alle, Freiheit und Schutz der Hilf-
lofen, Sicherung der Allgemeingüter für die Allgemeinheit
) ift vielleicht in viel höherem Maße von der monar- j
chifchen Staatsgewalt in Deutfchland wirklich erreicht.
Es ift fchade, daß der Verf. das Land feiner Väter fo
wenig kennt und verlieht; fonft könnte er den Satz nicht 1
fchreiben: in politics demoeraey is the expression and
method of the Christian spirit. Das ift ebenfo falfch wie
die analoge Verknüpfung chriftlicher und konfervativer
Intereffen.

In den folgenden Kapiteln intereffiert dann die
Ichonungslofe Kritik des angelfächfifchen business-Stand-
punktes, und des materialiftifchen Kapitalismus, der
Amerika regiert, und es wird mit Recht eine völlige Ethi-
fierung der gefamten Auffaffung des politifchen, wiffen-
fchaftlichen uno fozialen Lebens verlangt. Auch hier
hofft der Verfaffer viel von der weiteren Demokratifierung
der ökonomifchen Geftaltung der Dinge; er verlangt z. B.,
daß alle die Intereffen, welche für die öffentliche Wohlfahrt
von einfehneidender Bedeutung find, in der Hand
der Kommunen und des Staates liegen follten. Damit
nähern fich feine Ideen dem Staatsfozialismus, in dem
wir in Deutfchland bereits mitten drinftehen: die ökono-
mifche Ordnung der Dinge foll fich ändern — zugleich
aber, das ift die wichtige Konzeffion des letzten Kapitels:
die Menfchen muffen fich ändern! Das gefchieht nur durch
ihre .Bekehrung', alfo durch Umwandlung in chriftliche Per-
fönlichkeiten. Um folche zu fcharfen, muß, fo meint der

Verfaffer, dieKirche heraus aus ihrer geiftigenlfolierung und
aus ihrem Bunde mit den herrfchenden Gewalten der gegenwärtigen
Ordnung. Auch darin ift eine beherzigenswerte
Warnung enthalten, die aber doch nur eben dann Wert
hat, wenn die Kirche fich nicht in die neue Sklaverei des
Herrn ,omnes' begibt, der noch nie klüger gewefen ift
als ein Monarch, und wenn fie das Wort des Herrn nicht
vergißt, daß fein Reich nicht von diefer Welt ift. Kommt
es auf die letzte Kraftprobe an, fo werden die autoritativen
Gewalten im Völkerleben ihr Übergewicht über die
nivellierenden Komplexe der Demokratie, das Wort Gottes
als transfzendentale Kraft feine Macht über alle innerweltlichen
Gefellfchaftsordnungen behalten.

Greifswald. Ed. von der Goltz.

Freifen, Prof. D. Dr. Jof.: Das Militärkirchenrecht in Heer
u. Marine des Deutfchen Reiches, nebft Darfteilung des
außerdeutfehen Militärkirchenwefens. Beiträge zur
ftaatl. u. kirchl. Rechtsgefchichte. (XIV, 395 S.) gr. 8°.
Paderborn, F. Schöningh 1913. M. 9_

Den Körper des Buches bildet, wie fchon der Titel
zeigt, die Darfteilung des deutfchen Militärkirchenrechts
, das über 300 Seiten in Anfpruch nimmt, während
das außerdeutfehe Militärkirchenwefen (bei dem alle euro-
päifchen Staaten außer den Balkanftaaten, von außereuro-
päifchen Staaten Nord-, Zentral- und Südamerika —
Brafilien nicht! — fowie Japan berückfichtigt werden) auf
knapp 60 Seiten erledigt wird. Das hängt gewiß einmal
damit zufammen, daß das außerdeutfehe Militärkirchenwefen
nur fkizziert, das deutfehe Militärkirchenrecht eingehend
bearbeitet ift; es hat aber auch darin feinen Grund,
daß das Militärkirchenwefen nirgends fo eingehend geregelt
ift wie im Deutfchen Reich. (Vgl. S. 64, Anm.)
Für die Darfteilung des preußifchen Militärkirchenrechts
konnte fich Fr. vielfach auf die ganz neue Vorarbeit von
Langhäufer, Das Militärkirchenwefen im kurbranden-
burgifchen und kgl. preußifchen Heer 1912 (vgl. meine
Anzeige ThLZ 1913 Sp. 377) beziehen; er bringt aber für
die Zeit von 1832 an auch im Verhältnis zu diefem manche
wichtigen Tatfachen und namentlich wertvolle Beurteilungen
. Sehr ausführlich ift die Darftellung des bay-
rifchen Militärkirchenwefens (S. 152 — 213), deffen Halbheiten
und Unklarheiten einer fcharfen Kritik unterzogen
werden. Eingehend find auch die militärkirchlichen Ver-
hältniffe Sachfens befprochen — nur vermißt man hier
fehr eine Gefchichte des evangelifchen Militärkirchenwefens
, während die des katholifchen recht ausführlich
gegeben wird. Württemberg konnte dem dortigen
Rechtsbeftand entfprechend kurz behandelt werden. Sehr
gute Orientierung bietet die Überficht über die Verhält-
niffe in den deutfchen Staaten, deren Truppen unter
preußifcher Militärverwaltung flehen. Fr. weift gelegentlich
diefer Überficht nach meiner Meinung überzeugend
nach, daß die gegenwärtige Praxis, nach der überall da,
wo keine befonderen Vereinbarungen getroffen find, die
nichtpreußifchen Truppenkontingente unter preußifcher
Militärverwaltung in bezug auf ihre kirchlichen Verhält-
niffe, insbefondere auch in bezug auf die Gerechtfame des
evangelifchen und des katholifchen Feldpropftes, einfach
wie die preußifchen Truppen behandelt werden, der zureichenden
ftaats- und kirchenrechtlichen Grundlage entbehrt
. Und Vereinbarungen find mit einzelnen außer-
preußifchen Staaten nur bezüglich des evangelifchen
Militärkirchenwefens getroffen worden, fo daß die Jurisdiktion
des katholifchen Feldpropftes bei nichtpreußifchen
, unter preußifcher Militärverwaltung flehenden
Truppenteilen in ftaats- und kirchenrechtlicher Beziehung
überhaupt in der Luft fchwebt — außer in Elfaß-Loth-
ringen, wo nach einer Verfügung des Apoftolifchen Stuhles
auch die nichtpreußifchen Truppenkontingente den preußifchen
katholifchen Militärgemeinden beizuzählen find,