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Ausgabe:

1915 Nr. 22

Spalte:

469-470

Autor/Hrsg.:

Fichte, Johann Gottlieb

Titel/Untertitel:

Über Gott und Unsterblichkeit 1915

Rezensent:

Scholz, Heinrich

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469

Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 22.

470

Kirchen- und Schulwefens und der Finanzen für Ab-
faffung einer den Ständen vorzulegende Denkfchrift über
die in Fluß gekommene Kirchengutsfrage. Dabei hatte
Hermelink die Verhandlungen über das Kirchengut feit
1806, welche einen gewaltigen Berg von Akten umfaffen,

fenau erforfcht und gibt nun hier das Ergebnis feiner
tudien, die neben der früheren Arbeit und der Abhandlung
feines Freundes Profeffor V. Ernft über die Entftehung
des Kirchenguts in den w. Jahrbüchern 1911, 377—424 weit
über die Grenzen des Landes hinaus bei den Vertretern
der Kirchengefchichte und des Kirchenrechts, ja bei
allen Freunden der deutfchen evangel. Kirche, wie bei
Politikern lebhaftes Intereffe verdienen. Ift doch die
Frage des evangelifchen Kirchenguts fchon in der Reformationszeit
ein Gegenftand lebhafter Verhandlung von
Fürften, Staatsmännern und Theologen gewefen, und gerade
das württembergifche Kirchengut ift ein eigenartiges Gebilde
und ein Kleinod des Landes.

Am 2. Jan. 1806 hatte Körnig Friedlich das Kirchengut dem Staatsvermögen
einverleibt. Sofort erhob (ich ein Widerftand der Stände. Erft
unter Wilhelm I. verbürgte § 77 der Verfafiung die Wiederherftelluug.
Die Entftehung diefes Paragraphen bildet den erften Abfchuitt, dem die
Ausfcheiduugsverhandlungen von 1820—33 folgen, welche die Unmöglichheit
der Wiedeiherftellung in der fiüheren Geftalt bewiefen und auf
eine Staatsrente zielten. Dann ruhte die Frage unter dem allgewaltigen
Minifter Schlayer bis zu deffen Sturz 1848. Inzwifchen tauchte die Frage
einer felbftändigen Vertretung der Kirche auf, welche aber erft 1869 mit
der erften Landesfynode verwirklicht wurde. Dazwifchen kam die Frage
der Trennung von Kirche und Staat, welche die Grundrechte der Frankfurter
Nationalverfammlung hervorriefen, und die Verhandlungen über
die neue Verfaffung. Die Landesfynode machte fofort Ernft mit der
Forderung der endlichen Ausführung des § 77, aber die Hoffnungen
wurden fehr gedämpft durch den Bericht des fpäteren Finanzminifters
Riecke über die Unzulänglichkeit des Kirchenguts zur Deckung der jetzt
von der Staatskaffe beftrittenen Ausgaben und Bedürfniffe der Kirche.
Aber nun ift in dem letzten Jahrzehnt die Einficht in die Selbftändig-
keit und das finanzielle Verantwortlichkeit-gefühl der evangelifchen Kirche
fichtlich gewachfen und damit die Frage in neuen Fluß gekommen.
Hermelinks Arbeit zeigt nun nicht nur die mancherlei Schwierigkeiten
der Sache, fondern gibt auch Fingerzeige für die bei gegenfeitigem Entgegenkommen
mögliche Löfung auf Grund der bisherigen Verhandlungen.
Ift die Arbeit iufofern aktuell, fo hat fie doch bleibenden wiffenfehaft-
lichen Wert und beleuchtet fchlagend auch das Verhältnis von Staat und
Kirche im 19. Jahrhundert.

Stuttgart. G. Boffert.

Fichte, J. G.: Ideen über Gott und Unfterblichkeit. Zwei
religionsphilofophifche Vorlefungen aus der Zeit vor
dem Atheismusftreit. Mit e. Einleitg. hrsg. v. Priv.-
Doz. Friedrich Büchfei. (56 S.) 8°. Leipzig, F. Meiner
1914. M. 2 —

— Über Gott und Unfterblichkeit. Aus e. Kollegnachfchrift
v. 1795 mitgeteilt v. Priv.-Doz. Dr. Ernft Bergmann.
(Kantftudien No. 33.) (32 S.) gr. 8°. Berlin, Reuther
& Reichard 1914. M. 1 —

Die von zwei Seiten zugleich erfolgte Veröffentlichung
diefer in der Literatur des Atheismusftreites verflechten
Vorlefungen ift ein Lichtftrahl in das Dunkel, das bisher
über der Entwicklung der Fichtefchen Religionsphilo-
fophie von der Offenbarungskritik (1792/93) bis zu den
Atheismusfchriften (i798/99) lagerte. Die Überlieferung
ift nicht glänzend; an der Echtheit indeffen kann man
nicht zweifeln. Fichtes Diktion ift faft unnachahmlich,
zumal in der fpekulativen Entwicklung; und hier ift jeder
Satz ein Fichte.

Die in dem bisherigen Material verborgenen Spuren
Fichtefcher Religionsphilofophie während des Zeitraums
von 1794—1798 hat E. Hirfch (Fichtes Religionsphilofophie
im Rahmen der philofophifchen Gefamtentwicklung
Fichtes 1914, S. 39fr.) mit mufterhafter Klarheit aufgedeckt.
Der abfolute Idealismus der Wiffenfchaftslehre ift zwar
keineswegs Atheismus — denn der Menfch ift nach
Fichtes ausdrücklicher Verficherung (WW I 278 Anm.)
zur Gottähnlichkeit, nicht zur Gottebenbürtigkeit be-
ftimmt—; aber fie ftrebt, wie S c h e 11 i ng(W WI1, S-3 SO Anm.)

richtig bemerkt und fchon in den Briefen über Dogmatismus
und Kritizismus ausgeführt hat, fich felbft über-
laffen, jenem ,erhabenften' Atheismus zu, der ,an Unfterblichkeit
glaubt und Gott leugnet'. Jedenfalls kann fie den
Gottesgedanken pofitiv nicht unterbringen. Diefer bleibt
vielmehr Grenzbegriff (Hypoftafierung des abfoluten Ich;
vgl. den Brief an Jakobi vom 30. Auguft 1795), wie die
Idee der intellektuellen Anfchauung bei Kant.

Nun erhalten wir plötzlich in diefen Vorlefungen eine
Deduktion des Gottes- und Unfterblichkeitsglaubens, die,
wenigftens in bezug auf das Gottesproblem, als unmittelbare
Vorftufe des Standpunktes der Atheismusfchriften
anzufehen ift. Vom Standpunkte der Offenbarungskritik
unterfcheiden fich diefe Vorlefungen durch die rein mora-
lifche, auf Einbehaltung des Kantifchen Glückfeligkeits-
motivs, fowie pädagogifcher Erwägungen grundfätzlich
verzichtende Ableitung der Religion aus dem Glauben an
die Zweckhaftigkeit des fittlichen Strebens. Vom Standpunkte
der Atheismusfchriften unterfcheiden fie fich durch
die in diefen fcharf bekämpfte Kantifche Perfonifizierung
des höchften Wefens. (Vgl. hierzu die umfichtigen Bemerkungen
von Büchfei, S. 19 fr.) Sie flehen alfo fachlich
in der Mitte zwifchen beiden, übrigens in der Hauptfache
den Atheismusfchriften ungleich näher, als der Offenbarungskritik
.

Leider fehlt jede äußere Datierungshilfe. Bergmann
entfeheidet fich, ganz befonders wegen der in der zweiten
Vorlefung vorgetragenen Seelenwanderungsphantafie(wozu
übrigens Kants Naturgefchichte des Himmels, Reclam
S. iööff. zu vergleichen ift), allzu kühn für das Jahr 1795.
Er hält es fogar für möglich, ,daß wir hier eine der nicht
im Druck erfchienenen Sonntagsvorlefungen vom November
1794 vor uns haben' (S. 5 f.). Dem widerfpricht m. E.
der Brief an Jacobi vom 30. Auguft 1795, der den Gottesgedanken
noch in die Verlängerung des fittlich handelnden
Ichs verlegt, während er in diefen Vorlefungen, wie
fpäter in den Atheismusfchriften, vielmehr das meta-
phyfifche Gegenftück desfelben ift. Nicht das als verwirklicht
gedachte Ideal des fittlich vollkommenen
Menfchen, fondern die Macht, die dem fittlich handelnden
Menfchen den objektiven Erfolg feines Handelns verbürgt
(und, indem fie dies tut, in ihm felber handelt; dies der
Standpunkt der ,Beftimmung des Menfchen').

Büchfei drückt fich vorfichtiger aus. ,Es kann jedes
Jahr zwifchen 1795 und 1798 fein' (S. 11). Da die Sommer-
vorlefungen von 1795 ohnehin ausgefallen find und, wie
Büchfei fcharffinnig nachweift, nur die Sommervor-
lefungen über Logik und Metaphyfik ernftlich für diefe
Vorlefungen in Frage kommen (S. 10), fo fcheint mir der
Sommer 1796 den Vorzug zu verdienen. Noch weiter
hinunterzugehen, ift wegen der eigentümlichen, von Fichte
nie wieder berührten Seelenmetaphyfik und der immerhin
beträchtlichen Abweichung vom pantheiftifchen Standpunkt
der Atheismusfchriften nicht ratfam.

Beide Ausgaben find mit guten Einleitungen ver-
fehen. Die Einleitung von Büchfei ift nicht nur an Umfang,
fondern auch an Gehalt die reichere; doch hat auch
Bergmann das Nötigfte gut und mit ficherer Betonung
des Wefentlichen gefagt.

Berlin. Heinrich Scholz.

Münch, Dr. Fritz: Erlebnis und Geltung. Eine fyftemat.
Unterfuchg. zur Transzendentalphilofophie als Welt-
anfehauung. (Kantftudien. Nr.30.) (VII, 190S.) gr. 8°.
Berlin, Reuther & Reichard 1913. M. 7.20

In dem von einer fo vielfpältigen Tradition beherrfchten
und auseinandergetriebenen prinzipiellen Denken der Gegenwart
begegnet es dem Einzelnen feiten, daß er auf
eine durchgreifende Übereinftimmung mit anderen Denkern
flößt. Um fo größer ift Freude und Genugtuung, wenn
einem das einmal begegnet. Das ift für mich im höchften