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Ausgabe:

1915 Nr. 22

Spalte:

468-469

Autor/Hrsg.:

Hermelink, Heinrich

Titel/Untertitel:

Die Verhandlungen über das altwürttembergische Kirchengut seit 1806 1915

Rezensent:

Bossert, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 22.

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Fragen könnten allerdings nur gültig beantwortet werden
nach einer kritifchen Durcharbeitung des gefamten Ur-
kundenmaterials. H. hätte für feine Methode viel lernen
können aus dem ihm wohlbekannten vortrefflichen Buch
von Hirfch über die Klofterimmunität. Es ift freilich
zuzugeben, daß eine derartige Aufgabe für alle der herangezogenen
Bifchofsfitze nicht zu bewältigen war. So lehrt
das Buch, daß gerade über die rechtlichen Verhältniffe
der Domkapitel und ihres Befitzes noch viel Spezialarbeit
zu leiften ift, zeigt aber zugleich, wie ertragreich diefe
Arbeit fein wird. Dies Verdienft ift auch nicht gering
anzufchlagen. Es wäre fehr zu begrüßen, wenn der Verf.
felbft uns die Entwicklungsgefchichte einer einzelnen Domimmunität
, etwa der befonders lehrreichen Straßburger,
fchenken würde.

Berlin-Dahlem. Gerhard Bonwetfch.

Luther's Correspondence and other contemporary letters.
Translated and edited by Preserved Smith, Ph. C.
Vol. I. 1507—1521. (583 S.) 8°. Philadelphia, Pa„
The Lutheran Publication Society 1913.

Der amerikanifche Hiftoriker Preserved Smith ift
in der Lutherforfchung feit 1907 bekannt: damals führte
er fich durch eine Arbeit über Luthers Tifchreden ein.
Seitdem erweiterte und vertiefte er feine Studien auf
diefem Spezialgebiet auf Reifen nach Deutfchland und
England: 1911 erfchien als Frucht davon The life and letters
of M. Luther; vorangegangen war die Abhandlung über
Luther und Heinrich VIII. in English Hiftorical Review
Okt. 1910. Wie fchon der Titel feiner Lutherbiographie zeigt,
fchenkt er den Briefen befondere Beachtung, flicht in die
Darftellung viele von ihnen vollftändig oder gekürzt in freier
Überfetzung ein. Und daß er fich jetzt gründlich über die
Lutherliteratur orientiert hatte, zeigte er bezüglich der
Briefe in feiner Nachweifung, wo die bei Enders damals
noch nicht gedruckten zu finden feien (Life p. 436 ff.),
und in der Nachlefe zu den früheren Bänden (p. 471
sq.), ferner in feinen Bemerkungen und Nachträgen zu
den Briefen in Am er. Journal of Theol. Apr. 191 o und
ZKG 32 (1911) in ff. Freilich monierte die gelehrte
Engländerin Jane T. Stoddart in The Expositor, Jan. 1912
fein Verfahren, Briefe verkürzt wiederzugeben, ohne kenntlich
zu machen, wo Sätze oder Satzteile ausgeladen feien,
und wies ihm fcharffinnig manches Mißverftändnis oder
Verfehen in feinen Überfetzungen nach. Nun ift der
ftarke I. Band feiner Ausgabe des Briefwechfels Luthers
und anderer zeitgenöffifchen Briefe nachgefolgt. Es ift
ein Quellenbuch zu feiner Lutherbiographie, eine Ergänzung
zu den bereits in diefer mitgeteilten Briefen. Es
find 477 Briefe oder Briefabfchnitte, die er hier in eng-
lifcher Überfetzung dem Lefer vorführt. Und zwar nach
der Luthers eigener Weife nachgeahmten Art des Überfetzens
, die nicht fklavifch buchftäbliche Treue erftrebt,
aber den Geift des Originals in der eigenen Sprache nach
,quality, fiavor and effect' wiederzugeben bemüht ift.
Wenn jemand offen fich feine Aufgabe fo ftellt, dann
wird man ihn nicht auf Wörtlichkeit feiner Wiedergabe
zu kritifieren haben, fondern wird ihm freiere Bewegung
laffen müffen: es wird nur zu fragen fein, ob Sinn und
Charakter eines Briefes richtig wiedergegeben ift. Freilich
find Überfetzungen diefer Art nie ein Erfatz des Originals,
fie können aber dazu verhelfen, die Perfönlichkeit Luthers
durch den Abftand der Jahrhunderte, der Sprache und
des Zeitkolorits hindurch den Lefern englifcher Zunge
näher zu rücken und verftändlich zu machen. Soweit
ich feine Wiedergabe des Originals geprüft habe, finde
ich, daß er meift mit Gefchick und Gefchmack diele
Aufgabe in Angriff genommen hat Über Einzelheiten
läßt fich freilich ftreiten. Ich finde z. B. daß in den
Worten Enders III 11: Barfotum illum asinum Lipiensem
nihil moror mehr geringfchätzende Abfertigung liegt,

als die Wiedergabe not to mention that barefoot ass
erkennen läßt. Und wenn Sm. die Worte III 81 Floren-
tinum concilium edatur wiedergibt: I am publishing —,
fo ift mehr gefagt, als das Orig. zum Ausdruck bringt,
mag auch die Annahme, daß L. perfönlich eine folche
Ausgabe plante, wahrscheinlich fein. Er nimmt auch
nicht fämtliche Briefe Luthers auf, er wählt die für die
Kenntnis feiner religiöfen Stellung, feines Lebens und
feiner Kämpfe charakteriftifchen aus und läßt auch in
diefen für feine Zwecke Unerhebliches gelegentlich aus.
Dafür aber gibt er in großer Zahl auch Briefe der Zeit-
genoffen. Nicht nur die noch erhaltenen Briefe an Luther,
fondern auch zahlreiche Dritter mit Urteilen über ihn. So
find aus dem J. 1519 unter 103 mitgeteilten Briefen die
größere Hälfte Briefe von Zeitgenoffen. Und grade in
diefer Sammlung von zeitgenöffifchen Stimmen, die hier
chronologifch eingereiht werden, liegt der Wert auch für
den deutschen Lefer. Denn Smith hat fich in der großen
Literatur der Brief- und Urkundenfammlungen fleißig
j umgefehen und weiß auch Briefe, die an entlegener Stelle
gefucht werden müffen, zu finden. Er ift auch gerüftet,
in knappen, aber gut orientierten Anmerkungen über
Perfönlichkeiten und Sachen das zum Verftändnis dien-
I liehe beizufügen. Die 477 Briefe und Briefabfchnitte, die
der Bd. enthält, führen bis zum Ende des Wormfer Reichstages
. — Zu den Datierungen der Briefe zwei kritifche
Bemerkungen. Den Brief des Fr. I.Italus (Enders II 527)
legt er geftützt auf Kalkoff und Laudiert, richtig dem
Dominikaner Ifidore de 'Ifolani bei und fetzt ihn auch richtig
auf den 22. November 1519; wenn er aber die Jahreszahl
,Ceciliae 1520' einfach für einen Druckfehler des Originaldruckes
erklärt, fo überfieht er die in Italien in Betracht
kommende Rechnung nach demCalculus Pisanus, der
mit dem 25. März das neue Jahr anfing. S. 568 verteidigt
er für Luthers Brief an Spalatin Enders III, 23 das
Datum 21. Dezember 1520 gegen Knaake, der ihn auf
den 29. Dezember fetzte, weil ja L. am 29. bereits die
neue Jahreszahl (1521) gefchrieben haben würde. Das
gefchieht allerdings häufig bei Briefen vom 25. Dezember
an, wird aber auch manchmal unterlaffen, fo daß diefes
Merkmal nicht entfeheidend ift. (Spalatin hat beim
Empfang die Zahl M.D.XXI darauf gefchrieben.) Die
Entfcheidung liegt in andern Umftänden: 1) 21. Dez. wäre
Thomae apoftoli, hier aber datiert Luther: Thomae Mar-
tyris (ut creditur a multis), und das paßt nur auf Thomas
I Becket, 29. Dez.; 2) Spalatin ift mit dem Kurfürften auf
j der Reife nach Worms; Luther hat von ihm Briefe nicht
1 nur aus Allftedt, fondern auch fchon aus Kindelbrück zu-
gefchickt erhalten (Enders III, 23). Nun war derKurfürft
am 20. Dez. noch in Allftedt (Cyprian, nützl. Urk. II 199),
alfo können Briefe aus Kindelbrück früheftens am 21.
abgefendet worden fein, L. kann fie alfo nicht an diefem
Tage fchon in Wittenberg in Händen gehabt haben.
Auch diefer Umftand ift entfeheidend für den 29. Dez.,
und Knaake behält Recht gegen Enders und Smith.

Berlin. Kawerau.

Hermelink, Prof. D. Dr. Heinrich: Die Verhandlungen über
das altwürttembergifche Kirchengut feit 1806. Sonder-
abdr. aus den Württ. Jahrbb. f. Statiftiku. Landeskde.
Jahrg. 1914. 1. Heft. (S. 46—83-) gr. 4». Stuttgart,
W. Kohlhammer 1914.

Schon im Jahre 1900 hatte Hermelink als Student
der Tübinger Juriftenfakultät eine Preisarbeit über die
Gefchichte des allgemeinen Kirchenguts in Württemberg
eingereicht, die mit Recht gekrönt wurde. In erweiterter
Geftalt hat er dann feine Arbeit in dem württ. Jahrbüchern
für Statiftik und Landeskunde 1903 I., 78—101 und II,
1—81 veröffentlicht. Die Gründlichkeit, die Sachkenntnis,
die Beherrfchung einer reichen Literatur überrafchten und
empfahlen 1905 den jungen Verfaffer den Minifterien des