Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1915 Nr. 22

Spalte:

461-463

Autor/Hrsg.:

Peiser, Felix E.

Titel/Untertitel:

Hosea. Philologische Studien zum Alten Testament 1915

Rezensent:

Staerk, Willy

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 22.

462

,Die Theologie Martin Kaehlers ift für meine Arbeit weithin
die hiftorifche Bafis; ich möchte geradezu die Aufgabe
diefes Verfuches darin fehen, an feinem befcheidenen
Teil Kaehlers Neubegründung des Bibelglaubens durch
Aufnahme des gefchichtskritifchen Problems zu ergänzen
und fortzuführen' (VI). In der klaren und tapferen Hervorhebung
und Herausarbeitung diefer letzten Aufgabe
liegt der Schwerpunkt diefer erweiterten Ausgabe. Das
fchon früher entworfene Programm nimmt der Verf. mit
lobenswerter Entfchiedenheit wieder auf. Man lefe, was
er von der Enthaltung und Befreiung des Glaubens durch
die Kritik fchreibt (43—46), und wie er auch in der
Behandlung einzelner Fragen über den bibliziftifchen
Standpunkt Kaehlers hinausgeht: .Gerade die religions-
gefchichtliche Erklärung hilft dazu, den Offenbarungsgehalt
eines Buches wie die Apokalypfe zu entbinden'
(39—42, 146). ,Es wird kaum beflritten werden können,
daß der Supranaturalismus nicht wenig als hemmender
Faktor für den Portfchritt der hiftorifchen Erkenntniffe
gewirkt hat.' Die älteren Erklärungen werden wiederholt
und unterftrichen. ,Das praktifche Ziel der Fruchtbarmachung
des Schriftwortes darf nicht gefichert werden
durch den Bannfpruch über die hiftorifch-kritifche Schriftbehandlung
. Die Kirche muß den Forderungen der
Wiffenfchaft ihr Recht geben. Es ift eine Pflicht der
Wahrheit, deren Mißachtung fleh rächen muß. Es darf
auch nicht fo fein, daß man etwa prinzipiell die Verbal-
infpiration aufgibt und die hiftorifch-kritifche Schriftbehandlung
anerkennt, aber praktifch im Wefentlichen
alles beim alten läßt. Die Kirche muß in ihrer Verkündigung
und in ihrer Erziehungsarbeit der hiftorifchen
Kritik Raum geben, fie muß hindurch durch die Spannung,
die Gefahren, die in ihr liegen. Die Theologie kann und
muß ihr dazu helfen, Spannung und Gefahren zu überwinden
' (212. Vgl. 1. Aufl. 65). — Das Buch ift in feiner
erweiterten Geftalt der theologifchen Fakultät der Uni-
verfltät Halle gewidmet, welcher der Verf. fünf Jahre als
Privatdozent angehört und von welcher er die theologifche
Doktorwürde erhalten hatte. Zu mannigfacher Anregung
und Förderung, die er diefer Hochfchule zu verdanken
bekennt, dürfte man wohl auch die reiche Belefen-
heit, das befonnene Urteil und den vornehmen Ton, die
feine Schrift auszeichnen, hinzufügen.

Straßburg i/E. P. Lobftein.

Peifer, Felix E.: Hofea. Philologifche Studien zum Alten
Teftament. (IX, 87 S.) gr. 8°. Leipzig, J. C. Hinrichs
1914. M. 3.60

P. verfucht in der vorliegenden Studie, die von ihm
aufgeftellte Gloffen- und Kolumnentheorie, mit der
er 1903 im 8. Band der MVAG den urfprünglichen Text
des Habakuk wiedergewinnen wollte, an dem in der Tat
völlig verwahrloften Hofeatext durchzuführen. Seine Arbeit
über Habakuk ift in diefer Zeitfchrift mit keinem
Wort erwähnt worden, auch fein zweiter textkritifcher
Verflach an Pf. 16 (OLZ 1910, 1; die dort angekündigte
Fortfetzung ift bis jetzt nicht erfchienen) hat fogut wie
gar keine Beachtung gefunden. Die Gerechtigkeit erfordert
es aber m. E., an den mit großem Scharffinn und Fleiß
durchgeführten philologifchen Unterfuchungen P.s nicht
achtlos vorüberzugehen. Ich kann mich daher nicht ent-
fchließen, die mühevolle Kleinarbeit, die er in feinem
Hofea vorgelegt hat, mit einigen referierenden Worten
abzutun, obgleich ich der Überzeugung bin, daß meine
Anzeige kaum dazu beitragen wird, der Gloffentheorie
in weiteren wiffenfehaftlichen Kreifen Anhänger zu ver- J
Ichaffen. Dazu ift fie m. E. viel zu verwickelt und in
ihren philologifchen Vorausfetzungen zu fubjektiv. Sie
fcheint auch mir zur Zeit noch eine bloße Summierung
von entfernten Möglichkeiten zu fein, die wohl kaum den
Grad wiflenfehaftlicher Wahrfcheinlichkeiten, gefchweige

denn von Wirklichkeiten erreichen werden. Aber man
foll fleh wenigftens bemühen, P.s Theorie zu verftehen.

Zum Verftändnis diefer Gloffentheorie muß man folgende
von P. an den Texten gemachten Beobachtungen
fefthalten:

1. Gloffen zu einer Stelle find beim Abfchreiben an
andere Stellen geraten. 2. Diefe Stellen entfprechen fleh
als gleichhochftehende Kolumnenzeilen, zwifchen denen
die Gloffen eingefetzt waren. 3. Aus folchen Stellen läßt
fleh eine Vermutung über Kolumnenhöhe und Zeilenlänge
| gewinnen. 4. ,Wo anfeheinend eine verbindende Gloffe
(d. i. je eine Zeile zweier Kolumnen) eine andere Kon-
ftellation der Kolumnen verlangen würde, ift zu vermuten,
' daß eine fpätere Abfchrift mit nach Einfügung von Paral-
| lelen verändertem und daher in der Kolumnenordnung
verfchobenem Text vorliegt.' 5. So läßt fleh das An-
wachfen des Textes mit Einbeziehung der an den Rand
gefchriebenen Parallelen beobachten.

Wertvolle Dienfte für das Verftändnis der vorliegenden
Texte leiftet nach P. auch die von P. Roft aufgeftellte
Stichworttheorie (vgl. OLZ 1903 passim).

Mit Hilfe diefer Elemente einer philologifchen Wahr-
fcheinlichkeitsrechnung kommt P. bei Hofea zu folgendem
Refultat: 1. Die erfte erkennbare Stufe der Textentwicklung
wird dargeftellt a) durch etwa 211 Stichen von durch-
fchnittlich je 3 Worten, die fleh zu größeren Dichtungen
zufammenfchließen oder Refte von Strophen find; b) 118
Stichen von verfchiedenem metrifchen Bau, die fleh auf
Zufügungen und Zitate zu a) aus einer anderen Literatur-
fchicht verteilen. Diefes Material erftreckt fich, von ein
paar fpäteren Nachträgen aus dem 6. Jahrhundert abge-
fehen, über einen Zeitraum von etwa 100 Jahren. Der
Sammler dürfte gegen Ende des 7. Jahrhunderts anzufetzen
fein. 2. Die zweite Entwicklungsftufe des Textes beginnt
mit dem Übergang diefer Sammlung in den judäifchen
Literaturbetrieb, etwa im 5. Jahrhundert. Dadurch find
im Laufe der Zeit eine Fülle von Gloffen und Beifchriften
zum bereits kommentierten Textbeftande hinzugekommen,
die fich auf folgende drei Stadien verteilen lafien: Anfang
der judäifchen Benutzung in der 1. Hälfte des 5. Jhdt.s;
Zeit der Lehrtätigkeit von etwa 450 bis ins 3. Jhdt; die
folgende Zeit bis zur Feftftellung von MT. Diefer Entwicklungsftufe
gehört nach P. etwa V3 der ganzen überlieferten
Textes an.

Um die von 1'. aufgeftellte Theorie und feine philologifche Methode
an einem praktifchen Beifpiel zu veranfchaulichen, greife ich aus
dem von ihm rekonftruierten Gedicht Hofea 5, 1—9 eine Strophe heraus
und zeige, wie er fich den jetzigen mafforetifchen Text diefer Stelle ent-
ftanden denkt. Wie die meiften der zufammenhäugendeu Stücke in Hofea
beftand das Gedicht 5, 1—9 nach P. urfprünglich aus Strophen von 4 Halb-
ftichen mit je 3 Tonhöhen und war nach Art der in der babylonifchen
Poefie üblichen Schreibweife mit deutlicher Trennung der Versglieder
innerhalb der Stichen gefchrieben. Die 3. Strophe in diefem Gedicht
(5, 5—7) lautete urfprünglich

sxitoi yiM nssv»

DJW3 ihujrji D"i1Bcslb

or-ixAn-nx ixxai ttivJ

Das ift ein Minus von 16 Worten gegenüber dem heutigen Text
von 5, 5—7. P. fucht nun diefe Differenz durch die Annahme zu erklären,
der Urtext fei allmählich gewachfen durch Zufätze, Gloffen und falfche
Einfügung von Randgloffen zu anderen Stellen. 5 bxitJil Gloife wahr-
fcheinlich zum 2. Halbftichos mit verlefenem Gloffenftrich — VUJS3 Zu-
fatz, deffen Beziehung nicht deutlich ift. Am Rande muß hier der ganze
Satz 113B2 i&nlBi "pM hXft geitanden haben; von da aus iß er auch
in die Nebenkolumne geraten, die alfo auf gleicher Höhe etwa 7,8—ro
enthielt, vgl. 7, 10a — "ljl mW-DS blC3 fpäterer Zufatz zu 5b —
6 D1p331 D3NS3 Gloffe zu 4, 16 3111333 'n DSU; Diliphn-rX iß in
MT nach v. 7 b verfchlagen — mni-rX wohl = "TlX = 'PlPX =
verkürzte Stichworlgloffe DnipbfrrSt zur Markierung der urfprünglichen
Stellung diefes Satzteiles — DflD lAn Verfchreibung für das hier zu
vermutende, Dfiipbprnx parallele Objekt; aus der Gloffe 1133 =- D11J3
(findet fich auch 6, 7!) vermutet P. flXihn, was die Begriffe exuviae und
Kleid vereint — 7 mfiia fpäterer Einfatz — V131 Dill D133 13 fpätc
Gloffe zu dem Urtext von 2, 6 (der nach P. DPX DiJSt 1J3 lautete), ent-
ßanden mit Benutzung des Gloffenwortes Dill, das zu 8, 7 gehört, jetzt
aber in 7, 9 ßeht [unverßändlich: zu Dill 7, 9 bemerkt P. ,Gloffe zu
8, 7', aber er akzeptiert den von MT gebotenen Text 8, 7 MlUSi i^lR
Dill; wozu alfo die Gloffe?] — PPS Rcdaktorcnzuiatz — DSIRi