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Ausgabe:

1915 Nr. 22

Spalte:

460-461

Autor/Hrsg.:

Weber, Hans Emil

Titel/Untertitel:

Historisch-kritische Schriftforschung und Bibelglaube. 2., bedeutend erweit. Aufl 1915

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 22.

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Hier lag die Gefahr, daß es allmählich die Schranken
der Orthodoxie abftreifen könnte. Daher bemühten fich
konfervativ gefinnte Männer, die Grundzüge der Orthodoxie
im Mönchtum zu erhalten. Zu ihnen gehört Kufchairi
1074 t. In feiner Abhandlung befpricht er die Entwicklung
des Mönchtums bis auf feine Zeit und fodann in fünfzig
Kapiteln ebenfoviele Eigenfchaften und Tugenden des
Myftikers, ohne diefe jedoch in eine überfichtliche Ordnung
zu bringen. Eine wichtige Aufgabe des Darftellers
beftand alfo darin, im Intereffe des Überblickes und der
Genießbarkeit diefer Gedanken für moderne Menfchen,
hier Ordnung zu fchaffen — felbft auf die Gefahr hin,
daß dadurch moderne Auffaffungen hineingedeutet werden.
Das Bild, das H. uns auf diefe Weife bietet, zeigt I. die
religiös-fittliche Grundbeftimmtheit des Sufitums (a. Ausgangpunkt
, b. Grundfätze der praktifchen Beteiligung,
c. Ziel). II. Die Theorie desfelben. III. Das Mönchsleben
(tarlka), und IV. den myftifchen Enthufiasmus. Daß auch
eine andere Ordnung des Stoffes möglich ift und daß
diefe manche Züge und Farben anders hervortreten ließe,
ift unzweifelhaft, verfchlägt aber nichts, da auch in der
vorliegenden das Wefentliche deutlich wird.

Bei der fpontanen und unmittelbaren Natur des
myftifchen Gotteserlebens ift es felbftverftändlicb, daß viele
Begriffe nicht adäquat wiederzugeben find. Natürliche
Dinge erhalten einen übernatürlichen Zug; was rein weltlich
klingt z. B. in vielen Tugenden, hat eine befondere
Beziehung zu Gott. Daher find viele Termini nur im
prägnanten Sinne, d. h. mit diefer myftifchen Färbung
zu verftehen, wenn fie auch in der fonftigen Literatur
diefe Bedeutung nicht befitzen. Im Deutfchen find fie
daher zu umfchreiben. H. ift mit Glück und Gefchick
beftrebt, diefer fchwierigen Aufgabe gerecht zu werden1.

1) In manchen Punkten könnte man anderer Aufladung fein, z. B.:
wenn es das Wefen der „Untertänigkeit" unter Gott (6,15) ift, daß
man fich den Beftimmungen Gottes willenlos Uberläßt, dann liegt es
nahe tasarruf (6,5) nicht als .freies Verfügungsrecht' zu überfetzen,
einer Bedeutung, die es allerdings meiftens hat, fondern als: ,die Fügungen
Gottes über fich ergehen laffen' als Reflexivum zu tasrif. Die ,Untertänigkeit
' ift ferner kein Ausgangspunkt; denn fie kommt auch den
vollendeten Asketen, fogar noch in höherem Maße (Kuäairi 99,1. 100,13),
zu, die fchon zum Erfchauen Gottes gelangt find. Die Freiheit bildet
keinen ,entgegengefetzten Pol' (8,4) zur Untertänigkeit'; denn fie ift
keine Unabhängigkeit von Gott fondern nur ,von dem mächtigen Be-
herrfchtfein durch die Gefchöpfe, fodaß für den Myftiker alle Akzidenzien
(1 d. h. die Weltdinge, die nur flüchtige äußere Erfcheinungen am
göttlichen Wefen find) gleichwertig und gleichgültig find', und zwar
fogar die des materiell gedachten Jenfeits (109,7) w'e es <len gewöhnlichen
Muslimen verheißen ift. Der Asket kennt nur ein geiftiges Jenfeits

- ficherlich eine bedeutfame Veredelung des Islam. Eine wichtige i dingtheit der° hiftorifch-krinTjhen die
Punktion diefer wahren Freiheit ift, daß man die Mitmonche willig be- n„_ • vir i^ r 1 -/vi 1 •. , A* /• T. 1

dient (ib. 22 ff.) — alfo wieder eines der beliebten sufifchen Paradoxa: allgemeine Weltanfchauung ift der leitende Gefichtspunkt

Der Dienft der Mitbrüder ift wahre Freiheit. Daß die Geduld ,yon feiner Ausführungen. Unverdroffen bekämpft er ,das

Gott weg', die als eine ,Graufamkeit' für den Myftiker bezeichnet wird, Unwahre und Irreführende der Lofung einer dogmatifch

etwas Tadelnswertes fei (19 ift aus dem Texte nicht ficher. sie ungebundenen, vorausfetzungslofen religionsgefchichtlichen

ift das Ausharren in der Gottverlaflenheit, einer der fchwerften Prüfungen. t? °r 1__tv„ t?___1 j- r • 1 1 o

Dem entflicht auch der Kommentar des Ansän: .Die Geduld ift das Forfchung Die Frage kann nur die fein welche Voraus-

Bezwingen der Seele bei der Trennung von etwas Angenehmem. Sie ift letzungen berechtigt lind oder fich als Schlüffel Zur Er-

des Lobes und Erftrebens wert'. Lifän S. 48,7 ift vielleicht die Gloflb- 1 kenntnis der gefchichtlichen Wirklichkeit bewähren (185).
lalie (vgl. Sa'räni i 135,19). — 176,8 unt. al-kaum: die Schule, die j r)iefe Frage beantwortet er dahin, daß die methodifche

Leute desfelben Faches, derfelben Richtung vgl. ZDMG 66, 756, 23.1b. Konzentration f j • 1 r,Prrh'irhtt* firh erfrhlieRende

7 unt. ft. konftatiert 1.: niedergefchrieben haben, fo atbata (.feftlegen' Konzentration am das in der Uelcüichte ücü ericmieiaende
auf dem Papier) oft bei Kifti u. and. ib. 2 unt. ft. ,ihr zu entfprechen' I menlchhche Leben wirklich die Bejahung des JLranszen

Auf größere religionsgefchichtliche Probleme weifen die
Wunder und ekftatifchen Erlebniffe hin.

Bonn. M. Horten.

Weber, Prof. D. Dr. H.E.: Hiftorifch-kritifche Schriftforfchung
u. Bibelglaube. Ein Verfuch zur theolog. Wiffenfchafts-
lehre. 2., bedeutend erweit. Aufl. (XII, 250 S.) gr. 8°.
Gütersloh, C. Bertelsmann 1914. M. 4.50; geb. M. 5.25

Die erfte Auflage diefer Schrift (Theol. Ltzg. 1914,
Nr. 2) war in wenigen Monaten vergriffen. In dieiem
Erfolg durfte der Verf. mit Recht eine Ermunterung fehen,
die Gedanken und Erwägungen, die in der erften Auflage
vielfach nur angedeutet waren, eingehender zu entwickeln;
fo ift denn auch der Umfang der Arbeit gegenüber der
1. Auflage (79 Seiten) auf etwas mehr als das Dreifache
(250 Seiten) angewachfen. Die Richtung, in welcher die
durch W. vorgenommene Erweiterung ftattfand, ift bereits
durch einige Änderungen angezeigt, die es fich lohnt
hervorzuheben. Charakteriftifch ift zunächft die Um-
ftellung, welche die in der Überfchrift angeführten Gegen-
ftände erfahren haben. Während in der I.Auflage der
,Bibelglaube' zuerft erwähnt war, wird gegenwärtig die
,hiftorifch-kritifche Forfchung' an die Spitze geftellt. .Dadurch
wird von vornherein dem Mißverftändnis gewehrt
fein, als läge eine praktifch-erbauliche Auslaffung über
den „Bibelglauben" in der Abficht des Verfaffers. Die
wiffenfchaftstheoretifche Auseinanderfetzung erheifcht
dringend eine Erweiterung. Sie führt einerfeits in das
Zentrum der theologifchen Anfchauung, indem fie das
theologifche Denken des Bibelglaubens in feine Wurzeln
hinein verfolgt, die ihm in feiner mannigfachen Verzweigung
die Eänheit und das Leben geben; fie führt
andererfeits in die hiftorifche und die allgemeine philo-
fophifche Wiffenfchaftslehre hinein' (VI). Weiter wird an
die Stelle des früheren Untertitels (Beitrag zur Auseinanderfetzung
und Verftändigung') in der gegenwärtigen
Bearbeitung das Augenmerk auf den .Verfuch zur theologifchen
Wiffenfchaftslehre' gerichtet. Allerdings ift dabei
die urfprüngliche Abficht des Verf. nicht aufgegeben;
auch jetzt noch ift er in der Auseinanderfetzung um eine
Verftändigung bemüht, die ebenfo das Recht und die
Wahrheit des Bibelglaubens wie der hiftorifch-kritifchen
Forfchung fefthält.

Seiner vor zwei Jahren vertretenen Grundanfchauung ift
Weber treu geblieben. Seine Auffaffung von der Be-

1. ,fie auszuführen'. 178,1 ,Wenn ein Süfi fich einer von feinem Orden
(ft. ,Pfad') abweichenden Richtung anfchließt, fo ift dies nur die Folge
feiner (der kollektive Artikel im Arab. als Plural aufgefaßt, im Deutfchen
überfetzt mit dem indeterminierten Artikel im Singular) irrigen Anflehte
von ... . ib Z. 8 ft. des Vorganges 1. der Tradition (itr). 179, 4—6:
Hätten fie keine befondere Eigenfchaft und Auszeichnung befeffen, dann
wäre das Verhältnis das umgekehrte gewefen. 182,9 Bewahrheitung
1. felbftändige Überzeugung (auf Grund eigenen Nachprüfens) im Gegendenten
als des Hintergrundes offen läßt. Im Gegenfatz
zur Immanenzanfchauung, welche die Wurzel der Wunder-
leugnung bildet, bekennt fich W. zu dem Glauben an die
in derPerfon und dem Lebenswerke Chrifti fich zufammen-
faffende übergefchichtliche Offenbarung des in der Ge-
fchichte fich kundgebenden und betätigenden überweltlichen
Gottes. — In diefer Thefe gibt fich der Zufammen-

fatze zum Autoritätsglauben (= Z. 8: .Anlehnung'). 183,5 ,einfchrän- r j_r thpnlnmTrhpn Arheit UL1,0,r a„i,„„„„„ „;„

kendere' 1. „umfaflendere, allgemeinere" Meinung, d. h er folgt dem ; »an.S der UeolOgliCüen AVbeit Webers ZU erkennen ein

Tutiorismus. ib. Z. uft. ,dem Beftehen auf dem was' l. .dem Ausführen ! Zulammentiang, den er lelblt ausdrucklich hervorhebt.

deffen, was', ib. 1. 12: ft. ,Stufe der Wahrheit' (dies wäre: al-hakk) 1. | -

Stufe des (Erfaffens des) Wefens Gottes (vgl. Gairdner: ,The Way' S. ! famkeit' 1. ,mit Billigung, Anerkennung'. Der „Vertrag" (177,8 ,feftes

23). Sonft bezeichnet hakika das innerfte Wefen eines Dinges, hier die Glaubensverhältnis') des Novizen mit Gott befteht nach 182,3 unt- 183,9

höchfte Stufe des myftifchen Erkennens, die das eigentliche Wefen Gottes ! 185,10 in einer Selbftverpflichtung zum sufifchen Leben, läßt fich alfo

erfaßt, nicht nur feine Eigenfchaften und Namen, ib. 21 ft. ,Vorbetei' mit ,Gelübde zum Ordensleben'überfetzen, das zuerft unbeftimmt gehalten

1. Führer. 184,1 unt. 187,13, 192,6, 206,1 unt. ft.: ,fo kommt nichts von ift und bei der Erneuerung und der Wahl des Seelenführers auf diefen

ihm' 1. ,fo leiftet er nichts, bringt nichts fertig' 185,2 ft: ,mit Aufmerk- bezogen wird.