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Ausgabe:

1915 Nr. 2

Spalte:

438

Autor/Hrsg.:

Schneider, Artur

Titel/Untertitel:

Die abendländische Spekulation des 12. Jahrhunderts in ihrem Verhältnis zur aristotelischen und jüdisch-arabischen Philosophie 1915

Rezensent:

Horten, Max

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437

Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 20/21.

438

recht zurück. Der Staat felbft wird wie bei Clemens und den ftoifchen
Theoretikern der Monarchie auf die Vernunft und Vorfehung zurück
geführt, wenn auch die Chriften felbfl an ftaatlichen Ämtern fich nicht
beteiligen, da fie Höheres zu tun haben. Die Sklaverei wird als Infti-
tution hingenommen, alfo wohl auch auf das Naturrrecht zurückgeführt
. Die Unterfcheidung eines abfoluten und relativen Naturrechts
fehlt wie bei Clemens. Jedenfalls ifl fie nicht ausgefprochen. Der
überhaupt fchroffer chriftliche Irenaus hatte hier bereits die präziferen
Formeln.

Näher zum eigentlichen chrifllichen Naturrecht kommen wir bei den
Abendländern. Minutius Felix betont wie Seneca und Epiktet die aus
der Vernunftanlage folgende Gleichheit. Bezüglich der Monarchie denkt
er wie die ftoifchen Theoretiker der Monarchie. Bei dem Juriften Ter-
tullian ift fchon nicht mehr bloß von Lex naturae, fondern auch von
Jus naturae die Rede. An diefem mit dem Dekalog identifchen Natur-
recht ift alles menfchliche Gefetz zu prüfen. ,In ratione lex constat' und
zwar das gefchriebene fowohl als das Gewohnheitsrecht. Bezüglich des
Staates unterfcheidet Tertullian einen urfprünglichen und einen fekundären
Zuftand, ohne aber beide näher zu charakterifieren. Der beftehende Staat
ift ihm eine Mifchung von Vernunftrecht und polytheiftifch infizierter
Sünde, zu dem die Chriften ein gebrochenes Verhältnis haben und deffen
Kaifer fich der Sünde nicht entziehen können. Das Eigentum fcheint
ihm zum Naturrecht zu gehören, der chriftliche Kommunismus ift lediglich
Liebeskommunismus oder Rarität. Die Sklaverei erfcheint gegenüber der
wefenhaften inneren Gleichheit bei Tertullian und Cyprian als unwefentlicher
äußerer Zuftand. Eine Theorie vom fekundären Naturrecht ift bei ihnen noch
nicht ausgebildet, doch ihr Sinn vorausgefetzt. Am nächften kommen wir
zum chrifllichen Naturrecht bei dem Ciceronianer Laktanz. Hier erfcheint
das ftoifche Naturgefetz in ausdrücklichem Anfchluß an Cicero als Natur-
recht. Aus ihm geht der Staat und alles pofitive Recht hervor als
Veranstaltung zum Schutze des Wohles und der Ordnung. Die Chriften
übertreffen diefen Begriff nur dadurch, daß fie ihm die Gerechtigkeit
gegen Gott d. h. den wahren monotheiftifchen Kultus im Gegenfatz zu
dem Gott fein Recht verfagenden Polytheismus hinzufügen. Eine folche
vollkommene Ordnung im Sinne des abfoluten Naturrechts und des mit
ihm identifchen Christentums herrfchte im goldenen Zeitalter. Seit dem
Abfall zum Polytheismus herrfcht ein bloß relatives Naturrecht in den
heidnifchen Staatsbildungen, in denen Macht und Zwang jetzt zum relativ
Guten wirken, während im normalen Urftaat zwar foziale Ordnung, aber
zugleich Freiheit, Liebe, Gleichheit herrfchten. Das Privateigentum gehörte
fchon zum abfoluten Naturrecht, war aber dort durch den Liebes-
kommunifmus temperiert. Die Sklaverei gehört erft dem relativen Naturrecht
an. Innerhalb eben desfelben bewegt fich das Strafrecht, das
Schutz der Gefellfchaft, Abfchreckung und Befferung bezweckt. Auch die
Monarchie entfpricht dem letzteren, indem Laktanz mit Seneca das Weltreich
als die der letzten und jüngften Periode entfprecheude Organifation
bezeichnet. Hier find die Grundbegeriffe des abendländifchen chriftlichen
Naturrechts bereits ausgebildet; der Anfchluß an Cicero und Seneca ift
ganz klar ausgefprochen, wenn auch nicht bei allen Einzelheiten direkt
zu beweifen. Irenäus und Laktanz zeigen alfo — innerhalb der erhaltenen
Literatur — am deutlichsten die Grundzüge des fpäteren christlichen
Naturrechts mit der Herleitung und Anerkennung der bestehenden Ordnung
vermöge des .relativen Naturrechts'; Tertullian kommt ihnen nahe.
Die übrigen zeigen mehr bloß einen allgemein verfclswommenen und
idealen Begriff des Naturgefetzes überhaupt.

Auf diefe Grundlegung folgt die Darfteilung der morgenländifchen
Gruppe von den Kappadoziern bis Chryfoftomus, Theodoret, Ifidorus
Pelufiota, Cyrillus Alex, und den apoftolifchen Konftitutionen, darauf
die der abendländifchen von Ambrofius, Ambrofiafter und Auguftinus
bis Caffiodor, Primafius und Gregor I. Den Schluß bildet die Kodifikation
der abendländifchen Begriffsentwicklung bei Ifidor von Sevilla. Leider
verbietet Raummangel hier einen genaueren Bericht.

Die fehr intereffanten und entwicklungsgefchichtlich
bedeutfamen Unterfchiede der beiden letztgenannten
Richtungen fetzt eine andere Befprechung desfelben
Buches in der Hift. Zeitfchrift auseinander. Hier kann
ich nur dem Verfaffer für die höchft wertvollen Erweiterungen
meiner Darftellung danken. Was er dabei gegen
Overbeck und mich ausführt, läßt fich in der Kurze
nicht erledigen. Es ift möglich, daß wir den Kontraft

genug. Hierin aber kann ich Sch. nicht zuftirnmen. Die
Dinge liegen hier nicht fo glatt und einfach, wie er es
annimmt.

Berlin. Troeltfch.

Schneider, Prof. Dr. Artur: Die abendländilche Spekulation
des 12. Jahrhunderts in ihrem Verhältnis zur ariltotelifchen
und jüdifch-arabifchen Philolophie. Eine Unterfuchung
über die hiftor. Vorausfetzgn. des Eindringens des
Ariftotelismus in die chriftl. Philofophie des Mittelalters.
(Beiträge zur Philofophie des Mittelalters. Bd. XVII,
Heft 4.) (VIII, 76 S.) gr. 8°. Münfter i. W., Afchen-
dorff 1915. M. 2.6b

Der gewaltige Auffchwung der Geifteskultur im dreizehnten
Jahrhundert erfchien bis vor kurzem als ein durchaus
neues Ereignis, das mit der vorhergehenden Periode
in keinem entwicklungsgefetzlichen Zufammenhang flehe.
Die genauere Kenntnis des frühen Mittelalters und des
ihm vorliegenden philofophifchen Gedankenmaterials
haben hier wefentliche Auffchlüffe gebracht. Nicht nur
lebten platonifche Ideen im XIII. Jahrhundert fort, auch
die frühere als platonifierende bekannte Periode hatte
mancherlei Kenntniffe des Ariftoteles, und fodann beliehen
mancherlei fachliche Beziehungen fpezififcher Lehren der
auguftinifch-platonifchen Richtung zu folchen des ara-
bifchen Neuplatonismus, ja fogar des reinen Ariftotelismus.
So wird die Brücke zwifchen beiden Perioden des Mittelalters
gefchlagen. Es hat keinen jähen Abbruch fondern
überall nur eine klar erkennbare Kontinuität der
Entwicklung gegeben, und diefe hat der iflamifche Neuplatonismus
bewerkftelligt. Es handelt fich hier um die
Lehre von der Einheit, die in der Gottheit wefentlich ift,
in den Gefchöpfen durch die Gottheit bewirkt ufw., die
von der Materie als Grund der Vielheit und Unvollkommen-
heit, und die von der Mittelftellung des Menfchen zwifchen
Materie und reinen Geiftern. Die Vorherrfchaft Piatos
in der Frühfcholaftik wird eingehend dargftellt und erklärt
, fodann das Bekanntfein derfelben Zeit mit Ariftoteles
in den einzelnen Teilen der Philofophie (Logik,
Methaphyfik, Kosmologie, Pfychologie und Ethik) erläutert
Diefe mit großer Sachkenntnis durchgeführten Unter-
fuchungen über das zum Verftändniffe der Entwicklung
fo wichtige Problem (ariftotelifcher Lehren in der Frühfcholaftik
) werden jedem, der fich für mittelalterliche Kultur
intereffiert, willkommen fein.

Bonn. Horten.

Zibermayr, Landesarchivdir. Dr. Ign.: Die Legation des
Kardinals Nicolaus Cuianus und die Ordensreform in
der Kirchenprovinz Salzburg. (Reformationsgefchicht-
liche Studien u. Texte. 29. Heft.) (XX, 128 S.) gr. 8°.
Münfter i. W., Afchendorff 1914. M. 3.75

Diefe auf gründlichen und umfaffenden Studien in
Archiven und Bibliotheken beruhende Arbeit hat es nicht
nur mit der Ordensreform des Nikolaus von Cufa in der
zwifchen abfolutem und relativem Naturrecht zu fcharf ; Kirchenprovinz Salzburg, der einzigen auf päpftliche Inigenommen
haben. Doch bleibt es dabei, daß das relative tiative hin erfolgenden Klofterreform des 15. Jahrhunderts,
Naturrecht und damit der Charakter des gegenwärtigen | zu tun, fondern in Zufammenhang damit auch mit der
Staates und feiner Inftitutionen als poena et remediium j auf die Beftrebungen der Orden felber (vgl. befonders die
peccati zu betrachten find, foweit die abendländifchen Ausführungen über die Melker und die Raudnitzer Regel)

Betracht kommen. Es handelt und auf die Tätigkeit der Landesfürften von Ofterreich

Kirchenfchriftfteller in .

fich hier im einzelnen um Nuancen, die noch dazu bei
den verfchiedenen Autoren selber wechfeln, nicht um
einen prinzipiellen Gegenfatz gegen Overbeck und mich

und Bayern zurückgehenden Reform. So erhalten wir ein
wertvolles, mit reichen Einzelheiten ausgeftattetes Bild der
reformerifchen Beftrebungen des 15. Jahrhunderts, das

Insbefondere habe ich nie die ,opinio communis von einer einen befonderen Wert noch dadurch erhält, daß der

Entftehung des Staates aus der Sünde' und von der Sünd- Verfaffer überall daraufhinweift, daß und wo noch genaue

haftigkeit des Staates vertreten. Ich habe fie vielmehr Unterfuchungen nötig find. Der Verfaffer verkennt nicht,

bekämpft, nur offenbar nach Sch.s Meinung nicht radikal daß die Sendung des Kardinals zur Verkündigung des