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Ausgabe:

1915 Nr. 1

Spalte:

424

Autor/Hrsg.:

Dahlke, Paul

Titel/Untertitel:

a-424d Buddhismus als Religion und Moral 1915

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424 a

Beilage zu Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 18/19.

424 b

Buddhismus als Religion und Moral.

Eine Erwiderung.

H. Hackmann, Amfterdam, hat in diefer Zeitfchrift (Nr. 13)
eine Kritik meines Buches ,Buddhismus als Religion und Moral'
gegeben. Ich konnte nicht erwarten, daß ein Buch, welches aus
feiner Stellungnahme gegenüber dem Chriftentum kein Hehl
macht, bei einem chriftlich Gläubigen fonderlicheSympathie finden
würde. Tatfächlich gefleht mir H. nichts zu als daß ich ,in der
urfprünglichen Lehre des Buddha gut zu Haufe bin'; in allem
übrigen verfage ich feiner Anficht nach völlig.

Ich geltehe offen, daß trotz diefes ganz abfälligen Urteils
H.'s Kritik mir gefällt. Denn ein Autor, der neue Gedanken
bringt, verlangt nur eins: daß er gelefen wird. Ob er gelobt
oder getadelt wird, kommt ihm erft in zweiter, ja dritter Linie.
Er wird mit dem Schotten Burke fagen: ,1 love a good hater'.
Ich rechne es H. hoch an, daß er das Buch nicht nur als berufsmäßiger
Kritiker, fondern aufmerkfam gelefen hat; das ergibt fleh
mir aus der Tatfache, daß er den fchwachen Punkt desfelben
entdeckt hat. Tatfächlich itl das fünfte Kapitel mangelhaft durchgearbeitet
; wenn aber H. über das fiebente Kapitel ebenfo abfällig
urteilt, fo beweift mir das, daß er den eigentlichen Kern
deffen, was ich in diefem Buch gebe, leider nicht verflanden hat.
Mit feinem abfälligen Urteil fcheint mir H. den gleichen Fehler
zu begehen, den er mir vorwirft: über eine Sache zu urteilen, über
die er feinem geiftigen Entwicklungsgange nach nicht das Recht
hat zu urteilen. H. ift, wenn ich nicht fehr irre, Pfarrer; ich
bin Arzt. Wirft er mir alfo in bezug auf Bibelftellen mangelhaftes
Wiffen vor, fo bin ich von vornherein geneigt zu fagen:
,Der Mann wird wohl recht haben; er muß es beffer wiffen wie
ich'. Spricht er aber in diefem abfälligen, fafl fpöttirchen Tone
über einen naturwiffenfchaftlichen Gedankengang, fo fage ich mir:
H. ift unvorfichtig; denn hier fleht er auf einem Boden, auf dem
er nicht zu Haufe ift.

Ich kann nicht erwarten, daß der Lefer aus den Bruchftücken
meines Buches, die H. anführt, fich eine Vorftellung machen kann
von dem, was ich meine und fage; ich ergreife daher die Gelegenheit
, um mich darüber kurz zu äußern:

Jedem, der fich ernfthaft mit Buddhismus befchäftigt, muß
es auffallen, daß der Buddha prinzipiell abweift, etwas zu geben,
was, in naturwiffenfchaftlichem Sinne, einer Weltanfchauung ent-
fpricht. Er fcheint alfo hier in Bezug auf die Fähigkeit der Auf-
faffung weit hinter feinen ungefähren Zeitgenoffen, dem Thaies,
dem Heraklit, dem Demokrit zurückzuftehen. Mit einer gewiffen
Hartnäckigkeit, die auf den Lefer den Eindruck der Befchränktheit
macht weift er alle dahin zielenden Fragen ab und verrucht den
Frager auf fich felber zurückzuwerfen. Will jemand wiffen, ob
die Welt endlich oder unendlich, zeitlich oder ewig ift; ob Körperlichkeit
und Leben ein und dasfelbe find oder nicht, fo erhält er
die (lereotype Antwort: ,Das habe ich nicht gelehrt; eines nur habe
ich gelehrt: das Leiden, die Entftehung des Leidens, die Aufhebung
des Leidens und den Weg, der zur Aufhebung des Leidens führt'.

Das ift die eine Tatfache, die wir feilhalten muffen. Die andere
ift die, daß ausnahmslos alle naturwiffenfchaftlichen Verfuche
einer Weltanfchauung, wenn ausgedacht, in Abnarditäten endigen.

Der befte Beweis hierfür ift das mechanifch-matenaliftifche
Weltbild, das zur Zeit die Wiffenfchaft beherrfcht.

Diere Weltanfchauung führt alles Gefchehen auf den Ausgleich
von Spannungsdifferenzen d. h. auf den Fall im wetteflen
Sinne zurück. Was der Fall des Steines im Groben ift, das find
Wärme, Chemismus, Elektrizität in molekularer Form: ein Fall von
Orten höherer nach Orten niederer Spannung.

Daß diere Auffaffung bis zu einem gewiffen Grade richtig fein
muß, beweifl die Tatrache, daß fie diefe gewaltigen Refultate in Bezug
auf Rechnen und Vorausbeflimmen ergibt; daß fie aber nicht
das eigentliche Wefen des Weltgefchehens erfaßt, beweift die
andere Tatfache, daß fie, der Zeit wie dem Umfang nach ausgedacht
, fich als Abrurdität entpuppt. .

Die mechanifch-materialiltifche Weltanfchauung, der Zeit
nach ausgedacht, endet in folgendem Gedanken:

Wenn alles Gefchehen nichts ift als ein immer neuer Ausgleich
von Spannungsunterfchieden, fo müffen diefe mal zu einem
Endausgleich kommen, was dann den Welt-Tod bedeuten würde.
Oicfe Schlußfolgerung zieht die Wiffenfchaft felber im Gedanken
von der Entropie. Da fie aber begreiflicherweife (omnis natura
vult esse conservatrix sui) diefem Gedanken durch Hülfshypo-
thefen nach Möglichkeit zu entfchlüpfen fucht, fo hat fie fich noch I

nicht veranlaßt gefehen, das damit notwendig gegebene gedankliche
Korrelat zu formulieren, das etwa folgendermaßen lauten müßte:
,Beruht das ganze Weltgefchehen auf Spannungsdifferenzen die
einem fchließlichen Ausgleich und damit dem Welt-Tode zuftreben
wer hat dann urfprünglich diefe Spannungsdifferenzen gefetzt fo'
daß es überhaupt zu einem Weltgefchehen kommen konnte?'
Worauf dann die einzig vernünftige Antwort wäre: ,Der Finger
eines Gottes'. Damit würde die ganze moderne Naturwiffenfchaft
fich lediglich als Gefchäftsträger der größeren Gottesidee bekennen.
Man Hellt aber nicht ein Verfiandesfyftem auf, um fchließlich in
einem Glaubensakt enden zu müffen. Daher ifl diefer Schluß,
vom Standpunkt des Wiffenfchafters aus gefaßt, eine Abfurdität.

Dem Umfang nach ausgedacht fleht die modern wiffen-
fchaftliche Weltanfchauung vor dem Problem, auch das geiltige
Leben, Denken, Wollen, Empfinden, als einen Ausgleich von
Spannungsdifferenzen d. h. als Form des Falles zu begreifen. Für
I den Phyfiker liegt keine Notwendigkeit vor, fein Weltbild bis zu
diefem Umfang auszudenken, ebenfo wie für ihn keine Notwendigkeit
vorliegt, es zeitlich bis zu einem Weltanfang auszudenken.
Er will und braucht nichts als nur zu rechnen und fein Weltbild
genügt ihm, fo lange und fo weit es ihm zu rechnen erlaubt. Die
Tatfache ,Bewußtfein' ftört ihn hierin nicht. Bewußtrein ift nicht
wägbar, nicht greifbar, nicht finnlich, folglich exiltiert es für den
Phyfiker nicht.

Ganz anders liegt die Sache fobald der Pfychologe bzw. Biologe
verfucht, mit den von der Phyfik übernommenen Anfchauungen
und Formeln eine Weltanfchauung zu fchaffen. Für ihn ift es
geradezu erfte Aufgabe, fein Weltbild foweit auszudenken, daß der
pfychologifche Teil des Weltgefchehens mit Platz darin findet;
anders ausgedrückt: er hat die Aufgabe, Bewußtfein als einen
Spezialfall der grob-phyfifchen Bewegung d. h. als Form des Falles
zu begreifen. Diefe Aufgabe hat die moderne Biologie erkannt
und zu erfüllen verfucht. Sie Ift dabei felbft vor den letzten Ungeheuerlichkeiten
nicht zurückgefchreckt:

Jeder phyfikalifche Vorgang ift feinem Wefen nach
darin beftimmt, daß er umkehrbar d. h. von der Zeit
unabhängig ift. Ein Pendel, eine chemifche Verbindung, eine
erwärmte Waffermaffe laffen fich, foweit fie einen gewiffen Arbeitswert
darftellen (ftreng genommen nicht dem Material nach) in einen
beftimmten Anfangszuftand zurückverfetzen. Ein phyfikalifcher
Vorgang ift wiederholbar d. h. er hat keinen Eigensinn
'.

Ihrer Weltanfchauung zu liebe verfucht die Biologie allen
Emdes, Bewußtfein nach denfelben Gefetzen wie den fallenden
Stein, d. h. als einen umkehrbaren Prozeß zu begreifen, aber jeder
Blick nach innen, jede Betätigung des Wirklichkeitsfinnes zeigt,
daß folche Vordellungen abfurd find. Ich, als ein mit Bewußt,
fein begabtes Wefen, bin kein umkehrbarer, von der
Zeit unabhängiger Prozeß, der wieder in feine Anfangslage
zurückverfetzt werden könnte. Jedes Moment Hellt hier einen
Wert dar, der noch nie dagewefen ift, daher auch nie fich wiederholen
wird; anders ausgedrückt: jedes mit Bewußtfein begabte
Lebewefen erlebt fich felber als eigen-finnig.

Was das mit Bewußtfein begabte Lebewefen unmittelbar an
fich erlebt, das gilt für jeden Ernährungsvorgang: nämlich, daß er
in jedem Moment einen neuen Wert darftellt, eigen-finnig ift.

In diefer Eigenfchaft nicht umkehrbar, von der Zeit nicht unabhängig
zu fein, gleicht der Ernährungsprozeß durchaus dem Verbrennungsprozeß
. Auch die Flamme Hellt in jedem Moment einen
neuen Wert dar; fie kann nicht auf einen Anfangszuftand wieder ein-
geftellt werden wie ein Pendel oder wie eine erwärmte Waffermaffe.

Nun zeigen Fallbewegungen einerfeits, Ernährungs- und Verbrennungsvorgänge
anderfeits einen zweiten wefenhaften Unter-
fchied:

Jede Fallbewegung, grobe wie molekulare, befteht
nur, folange fie unterhalten wird, d. h. fie befteht lediglich
im Ausgleich vorhergefetzter Spannungsdifferenzen; fie hört auf
zu beliehen mit erfolgtem Ausgleich. Dahingegen jeder Ernährungs
- refp. Verbrennungs-Prozeß hat die Fähigkeit
fich felber zu unterhalten, indem er in jedem Moment felbft-
tätig immer wieder neue Spannungsdifferenzen fetzt, ein Vorgang,
den man eben gemeinhin Ernährung bzw. Verbrennung nennt.
Dementfprechend kann eine erwärmte Waffermaffe dadurch, daß
fie ihre Wärme auf die Umgebung weitergibt, nur an Wirkung ver-