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Ausgabe:

1915 Nr. 1

Spalte:

417-418

Autor/Hrsg.:

Wagenmann, Karl

Titel/Untertitel:

Seelsorgebezirke 1915

Rezensent:

Goltz, Eduard Alexander

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417

Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 18/19.

418

muß ein anderes Geficht haben als einer für jüngere oder
ältere Pfarrer. Was Verf. bietet, ift eine vielfach zur
Selbftbefinnung und Selbftvertiefung anregende Lektüre
für Pfarrer: ein Student oder Kandiddt der Theologie
wird durch das Buch nicht fo fehr in die Praktifche Theologie
eingeführt als durch die Fülle von Bemerkungen,
deren Gründe er gar nicht überfehen kann, auseinandergezogen
und verwirrt. Für Studenten kann man keinen
Grundriß der Praktifchen Theologie auf 314 Seiten fchreiben
— da muß ihm zu viel Stoff vorenthalten werden, den
der Pfarrer fich fonftwoher ergänzen kann, der Student nicht.

Ungern habe ich in Vorftehendem fo viele Beanftan-
dungen zur Geltung gebracht. Denn es fteckt fehr viel
Arbeit in dem Buch, viel theoretifches Wiffen und um-
faffende praktifche Erfahrung, dazu Scharffinn, vielfach
fehr gefundes Urteil (neben allerhand, das zum Wider-
fpruch reizt): allein die Tatfache, daß ein in arbeitsreichem
Pfarramt Stehender fich fo in das Ganze der Praktifchen
Theologie wiffenfchaftlich vertieft hat, verdient die größte
Anerkennung. Aber brauchbar ift das Buch nur für den
Mann der kirchlichen Praxis, der an ihm feine feitherige
Tätigkeit grundfätzlich prüfen und fich auf allerhand
Korrekturen und Ergänzungen befinnen kann. Möge es
in diefer Richtung eine heilfame Wirkung ausübenl

Halle a. S. K. Eger.

Schian, Prof. D. Mart.: Der gegenwärtige Stand der Ge-
meindeorganifation in den größeren Orten Deutrchlands.

Auf Grund e. v. P. Drews veranftalteten Umfrage bearb.
(Hefte der Konferenz f. ev. Gemeindearbeit. Nr. 3 u. 4.)
(64 S.) gr. 8°. Leipzig, J. C. Hinrichs 1913. M. I —

Wagenmann, Konfift.-Rat Karl: Seelforgebezirke. (Vortrag
, geh. in dem Inftruktionskurfus f. Jugendpflege u.
Gemeindearbeit zu Hannover 1913.) (Hefte ufw. Nr. 5.)
(23 S.). gr. 8°. Ebd. 1913. M. —60

Matth es, Sem.-Oberlehr. Prof. Lic. Heinrich: Ift eine
Neubelebung unterer evangelifchen Kirche möglich? und
Warum ift gerade jetzt .Gemeindearbeit- notwendig?
(Hefte ufw. Nr. 6.) (35 S.) gr. 8°. Ebd. 1914. M. — 50

Wie die Arbeit der Konferenz für evangelifche Gemeindearbeit
fich erfreulich weiter entwickelt, fo enthalten
auch die von ihr herausgegebenen Hefte wertvolle Beiträge.

Schian hat auf Grund einer noch von Paul Drews
veranftalteten Umfrage eine Statiftik des gegenwärtigen
Beftandes der Gemeindearbeit veröffentlicht, bei der er
580 Berichte aus 173 mehr als 20000 Seelen umfaffenden
Orten verwerten konnte. Die Umfrage erftreckte fich auf
die Seelenzahl, die Zahl der geiftlichen Kräfte, die Einteilung
in Seelforgerbezirke oder andere Arbeits Verteilungen
, die Vereine und Gemeindehäufer, die Hausväterverbände
u. a. Die eingegangenen Antworten gruppiert
Schian fehr gefchickt und verfährt auch bei der Beurteilung
der gewonnenen Angaben fehr befonnen und
umfichtig. Die Schrift ift die wichtigfte Veröffentlichung
auf dem Gebiet der evangelifchen Kirchenkunde in den
letzten Jahren, weil fie fehr genaue Einblicke in die Art
der kirchlichen Verforgung unferer Gemeinden gewährt,
foweit fich darüber überhaupt allgemeine Angaben
machen laffen. Am wenigften durchfichtig erfcheint mir
der Verfuch, jetzt fchon ein Urteil über den Zufammen-
hang mit der Sulzefchen Gemeindereformbewegung zu
wagen, deren Einfluß mir auch von Schian noch über- [
fchätzt zu fein fcheint. Für einen gerechten gefchicht-
Hchen Rückblick bedarf es noch einer größeren Entfernung
von den eben erft durchmeffenen Wegftrecken.
Jedenfalls kann es der Sache nur dienen, wenn recht viele
Freunde des Gemeindelebens von der Schianfchen Überficht
Kenntnis nehmen.

Eine Einzelfrage, die der Seelforgebezirke be- I

handelt K. Wagenmann. Er tritt fehr warmherzig für die
Durchführung diefer Einrichtung ein und wird für fehr
viele Verhältniffe Recht haben. Er muß aber felbft den
Gemeindegliedern das Recht vorbehalten wiffen, wenn fie
es wünfchen ihren Seelforger felbft zu wählen. Damit
ift grundfätzlich die volle Durchführung einer lokalen
Bezirkseinteilung unmöglich. Wie die Ausfprache auch
auf dem Gemeindetag in Hannover zeigte, wird es nie
ganz ohne ein Kompromiß zwifchen der lokalen-geogra-
phifchen und der auf der Bildung perfönlichen Vertrauens
bafierenden Abgrenzung der Wirkungsgebiete abgehen.
Sowohl die Geiftlichen wie die Gemeindeglieder find fo
fehr Menfchen, daß in unzähligen Fällen alle Theorien
und Syfteme an ihren Eigentümlichkeiten fcheitern.

Die als 6. Heft der Sammlung eingereihten Vorträge
von Matthes waren fchon 1911 im Druck erfchienen und
haben bereits 1912, Spalte 249 diefer Zeitung eine Be-
fprechung erfahren. Es fei aber nochmals empfehlend
darauf hingewiefen.

Greifswald. Ed. von der Goltz.

Referate.

Dahfe. Pfr. Jons.: Die gegenwärtige Krifis in der altteftamentlichen
Kritik. Ein Bericht. (30 S.) gr. 8°. Gießen, A. Töpelmann 1914.

M. —40

Dahles Arbeit ift die Wiedergabe eines Vortrags, in welchem
er fchon früher von ihm dargelegte Gedanken in gedrängter Kürze
wiedergibt. Zum erften Mal trat er 1903 in dem Archiv für Re-
ligionswiffenfchaft mit .textkritifchen Bedenken gegen den heutigen
Ausgangspunkt der Pentateuchkritik' hervor, die er dann
ausführlicher in feiner Hauptfchrift 1912 ,Textkritifche Materialien
zur Hexateuchfrage' begründete. Es lind nicht durchaus neue
Gedanken, die in diefen Schriften geboten werden, vielmehr haben
Männer wie Kloftermann u, a. fchon vor ihm Ähnliches dargelegt,
aber Dahfe bleibt das Verdienft, zum erften Mal in methodifcher
und umfallender Weife die von ihm vertretenen Gedanken begründet
und damit die Aufmerkfamkeit der Fachgenoffen auf
gewiffe bisher zu fehr vernachläfflgte Unterfuchungen gelenkt zu
haben. Im erften Hauptteil verfucht D. den Nachweis, daß der
Ausgangspunkt der Pentateuchkritik, nämlich der Wechfel der
Gottesnamen Jahve und Elohim fowie der Patriarchennamen Jakob»
Ifrael, ein verfehlter fei, auch laffe fich weder die Behauptung, daß
fleh die auf diefe Weife ausgefchiedenen Quellen durch eine be-
ftimmte Phrafeologie von einander unterfcheiden, noch daß fie eine
verfchiedene Vorftellung von der Gottheit in ihrer Wirkfamkeit
haben, flcher beweifen. Seine erfte Behauptung ftützt fich auf die
nicht genügend von den Kritikern beachtete Tatfache, daß der MT
nicht der urfprüngliche fei, vielmehr laffe fleh aus der LXX der
Beweis erbringen, daß Redaktionen fpeziell mit den Gottesnamen
vorgekommen find; ähnlich liege die Sache mit den beiden Patriarchennamen
, die ebenfalls im Laufe der Gefchichte des Bibeltextes
nicht unangetaftet geblieben find, ja D. fucht zu zeigen,
daß, auch abgefehen von diefen Namen, der hebr. Text eine ganze
Reihe von Fehlern enthält und Vertreter einer Rezenfion ift, die
fich dadurch von den älteren Texten unterfcheidet, daß ße das
Refultat einer fyftematifchen Bearbeitung des Bibeltextes durch
die Schriftgelehrten ift.

Im zweiten Hauptteil gibt D. Andeutungen, wie er (ich die
Löfung des Pentateuchproblems denkt. Die fo oft uns entgegentretenden
ftörenden Wiederholungen, aus denen man auf Aneinanderreihung
verfchiedener Quellen gefchloffen hat, glaubt D.
befriedigend aus der Annahme erklären zu können, daß wir im
Pentat. und zwar gerade immer an der Grenze zweier jüdifchen
Lefeabfchnitte, am Anfang oder manchmal auch am Ende der
hebräifchen Sedarim Überfchriften bezw. Inhaltsangaben haben,
die auf Efra's Hand zurückgehen. Zu diefen Überfchriften kamen
erbauliche Erweiterungen und Auslegungen, die den Pentateuch
durchziehen, und die ebenfalls von fpäterer Hand find, das ift die
fogen. deuteronomiftifche Bearbeitung. Dazu kommt eine theo-
kratifche Bearbeitung aus der Königszeit, der vielleicht auch ganze
Erzählungen zugehören. Vielleicht noch älter ift eine andere Bearbeitung
, die wir heute etwa mit J2 bezeichnen. Scheiden wir
diefe Bearbeitungen aus, fo bleibt der Grundftock der Mofesbücher.

Zur Beurteilung diefer teils übertriebenen, teils zur Löfung
der Schwierigkeiten durchaus ungenügenden Behauptungen ver-