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Ausgabe:

1915 Nr. 1

Spalte:

415-417

Titel/Untertitel:

Praktische Theologie im Grundriß. Von P. Th. 1. Bd 1915

Rezensent:

Eger, Karl

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 18/19.

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bendig zu erhalten und zu verstärken vermag, aber keine i
Befriedigung geben kann. Die zweite Gruppe von Versuchen
, die fich auf die ethifche Seite des Menfchengeiftes
Stützt, (27—36) führt nur in den Formen zum erftrebten
Ziel, die im Normbewußtfein dastieffte Wefen und die Bestimmung
des Menfchen finden. Jede kraftvolle Betonung
des Unbedingten und der Hingabe an die Werte derMenfch-
heit atmet aber jenen fittlich-religiöfen Geift, der zum Wichtigsten
am Protestantismus gehört (36—46). — Diefer |
Überzeugung, daß erSt der Protestantismus, trotz feiner
Unfertigkeit und feiner Mängel, die Fähigkeit hat, das moderne
Sehnen zu erfüllen, verleiht auch St's zweiter Vortrag
einen klaren und tapfern Ausdruck. Der Vf. befragt
die Gottesdichter (54—65) und die Philofophen (65—76),
und neben folchen, die Gott dichtend, denkend und wollend
nahe zu kommen glauben, weift er auch auf Richtungen
hin, die von Gott im Tone höchster Prophetie und zugleich
höchster Wiflenfchaft zu reden wiffen (Spiritismus, Okkultismus
, Theofophie, Christliche Wiffenfchaft). Ein eingehendes
Verständnis aller diefer Bestrebungen, eine liebevolle
Beschäftigung mit dem modernen Geistesleben, weit I
entfernt, am evangelifchen Christentum irre zu machen, zeigt
die Überlegenheit des evangelifchen Gottesglaubens gegenüber
allen von St. mit weitem Blick und feiner Anempfin-
dung gefchilderten Gottesgedanken. Die Löfung der gegenwärtigen
Wirren liegt deshalb nicht in einem Kompromiß j
mit dem modernen religiöfen Suchen, etwa der Umbildung j
des Christentums zu einer reinen Diesfeitsreligion, fondern
allein darin, daß der evangelifche Gottesglaube mit kraftvoller
Betonung gerade feiner charakteristischen Züge an
die Wirklichkeiten des modernen Lebens herantritt; in
der inneren Auseinanderfetzung mit ihm muß er die Gedanken
und Motive entwickeln laffen, in denen er fich
felbft behauptet, das moderne Leben fich innerlich aneignet
und die Kultur in der Richtung auf das Reich
Gottes hin fortbilden hilft; nicht theoretische Konstruktion
oder ängstliche Berechnung, fondern dielebendige praktische
Frömmigkeit wird Weg und Kraft dafür finden (78—80. I
III—IV). Die reichen Anmerkungen, Zitate undErgänzungen
(81—93) werden allen, die fich mit den behandelten
Fragen eingehender zu befchäftigen wünfchen, wertvolle
Dienfte leisten.

Straßburg i./E. P. Lob Stein.

Praktirche Theologie im Grundriß. VonP.Th. i.Bd. (III, 316 S.)
gr. 8°. Leipzig, Dieterich 1913. M. 6—; geb. M. 7 —

Nach dem Vorwort will Verf. eine Darstellung der
Praktischen Theologie liefern, die ,univerfal' (alle Tätigkeiten
der Kirche einschließlich der Heidenmiffion umfallend
), .fyftematifch', ,praktifch', ,aktuell' (die Gefchichte
lediglich im DienSt des Verftändniffes der Gegenwart verwertend
), ,konzis' (mit Beifeitelaffung nicht nur des hilto-
rifchen, fondern auch des literaturkundlichen Ballafts),
/prägnant' (mehr Wege bahnend als Wege weifend) zu
fein beansprucht. Die Praktische Theologie wird definiert
als die wiffenfchaftliche Disziplin, die zu ihrem Gegenstand
hat die Lehre von der Tätigkeit der Kirche der
Gegenwart an Menfchenfeelen zur Gewinnung des im
Evangelium befchloffenen Heils. Aus diefer Definition,
die in der Reihenfolge: das Heil, das Evangelium, die
Menfchenfeele, die Kirche erläutert wird, werden als Teile
der Pr. Th. abgeleitet: 1. die Tätigkeit der Kirche an
Christen; 2. die Tätigkeit der Kirche an Nichtchriften, und
zwar a) an Nichtchriften unter christlichen Einflüffen, b)
an Nichtchriften im Vollfinn des Wortes. In jedem Hauptteil
geht der Lehre von der betr. Tätigkeit ein Abfchnitt
voraus, der auf die Kenntnis der gegenwärtigen Zuftände
zielt: im 1. Teil Kirchenkunde, im 2. Teil religiöfe Volkskunde
, im 3. Teil Religionskunde. Der vorliegende 1.
Band (der 2. foll wefentlich kürzer werden, auch der 1. hat
aber nur 314 Seiten ziemlich weiten Drucks) erörtert die

Tätigkeit der Kirche an Christen. Zunächst werden (auf
etwas über 3 Seiten!) in der ,Kirchenkunde' die .Voraus-
fetzungen' diefer Tätigkeit behandelt, wobei wefentlich
die Notwendigkeit der Kirchenkunde behauptet wird und
einige methodologifche Winke für ihre Bearbeitung gegeben
werden. Dann folgen die .Mittel' der kirchlichen
Tätigkeit in der Kirchenverfaffung, gegliedert in (persönliche
) .Organe' (Predigtamt, fonftige Wortverkündigung,
kirchliches Auffichtsamt, akademifches Lehramt, literarifche
Tätigkeit) und (fachliche) .Stätten', als welche Kirchengebäude
und Kirchengeräte, Gemeinderäume, Pfarrhaus
(unter der Rubrik Kirchenverfaffung!) erfcheinen. Die
.Kirchenwerke'gliedern fich i. im Dienft des übergefchicht-
lichen Bestandes der Kirche: Liturgik, Diakonik (Gemeindepflege
, Diafporapfiege, Weltpflege), Katechetik; 2. im Blick
auf den tatfächlichen Befund: Homiletik, Poimenik, Evan-
geliftik, die wieder in Evangeliftik im engern Sinn (in der
evangelifchen Kirche felbft) und Evangelifatorik(l) (bei
Angehörigen außerevangelifcher Kirchengruppen) zerfällt.

Ich bin mit Paul Drews geneigt, dem .Syftem', in
das die einzelnen Zweige der praktischen Theologie eingeordnet
werden, keine allzu große Wichtigkeit beizulegen
, wenn nur das fachlich Wertvolle und Notwendige,
und zwar in dem ihm gebührenden Umfang, befprochen
wird. Aber das Syftem des Verf., auf das er zudem be-
fondern Wert legt, leidet denn doch an zu empfindlichen
Mängeln, als daß man es unbeanstandet laffen könnte.

Einmal wird fachlich Zusammengehöriges in unleidlicher Weife aus-
einandergeriffen: fo, wenn Kirchengebände und Kirchengeräte von der
Liturgik losgelöft und zur Kirchenverfaffung gefchlagen werden, wenn die
Predigt unter einen völlig andern beherrfcheuden Gefichtspunkt gerückt
wird als der Gottesdienft, in dem fie doch den Mittelpunkt bilden foll.
Wie kann man Diakonik von Poimenik und Evangeliftik fo vollftändig
trennen; wie will man die ,Nichtchriften unter chriftlichen Einflüffen' in
einem 2. Haupttei 1 (f) ohne Künftelei zum Gegenftand kirchlicher Tätigkeit
machen neben den Tätigkeiten der Diakonik, Poimenik und Evangeliftik
; wie will man die ,religiöfe Volkskunde' auf diefe Nichtchriften
unter chriftlichen Einflüffen befchränken und fie in fo weitem Abftand von
der Kirchenkunde behandeln? Zu kurz kommt infolge des vom Verf.
aufgeftcllten Syftems namentlich die kirchliche Rechtsverfaflung — was
allerdings wohl auch damit zufammenhängt, daß Verf. dem Gebiet der
kirchlichen Rechtsordnung offenbar mit fehr geringen Sympathien gegen-
überfteht.

Immerhin find die Hauptftücke der .Tätigkeit der
Kirche an Christen' Schließlich doch alle irgendwo untergebracht
worden. Sachlich Schädlicher als das ungeeignete
Syftem fcheint mir deshalb die Art und Weife, wie Verf.
feinen Grundfatz, .aktuell' und .konzis' zu fein, durchgeführt
hat. Gewiß wollen wir eben alle aus dem Hiftoris-
mus in der Praktifchen Theologie heraus: aber das dürfte
denn doch zu weit gehen, wenn man in einer wiffenfchaft-
lichen Darstellung der Praktifchen Theologie den geschichtlichen
Werdegang kirchlicher Institutionen und Ordnungen
auch da unbehandelt läßt, wo der Einblick in
die diefen Werdegang beherrfchenden Tendenzen zum
Verständnis der kirchlichen Gegenwart unentbehrlich ift.
Das gilt Speziell bei Liturgik und Kirchenverfaffung. Mit
einer gelegentlich und nach Belieben herausgegriffenen
geschichtlichen Notiz ift da nichts getan. Die kann dann
auch noch wegbleiben. So wie Verf. die Sache handhabt
, nötigt er feine Lefer, feine perfönlichen Räfonnements
über fich ergehen zu laffen, ohne fich ein eignes begründetes
Urteil bilden zu können. Man lefe z. B. einmal
den Abfchnitt .kirchliches Auffichtsamt' S. 74ff. und frage
fich, ob damit ein halbwegs zureichendes Verständnis
unteres gegenwärtigen kirchlichen Verfaffungswefens vermittelt
ift.

Nach dem Vorwort will das Buch denen dienen, ,die
in der Kirche und für die Kirche tätig find, nicht bloß
Studenten, Kandidaten und Pfarrern, jüngeren wie älteren,
aber freilich den Theologen vor allen'. Schon wenn man
fich lediglich auf die Theologen befchränkt, ift der Lefer-
kreis für eine befriedigende Löfung der dem Verf. vorschwebenden
Aufgabe zu weit genommen. Ein Grundriß
der Praktifchen Theologie für Studenten und Kandidaten