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Ausgabe:

1915 Nr. 1

Spalte:

412-413

Autor/Hrsg.:

Zänker, Otto

Titel/Untertitel:

Grundlinien der Theologie Martin Kählers 1915

Rezensent:

Haering, Theodor

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4ii

Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 18/19.

412

Auf alle Fälle liegt ein gewaltiger Antrieb zur Läuterung
des inneren Lebens in dem tiefen Todesernft, mit
welchem fchon der junge K. davor warnt, daß man den
höchften Troft für die Linderung weltlicher Sorgen verwende
(26). Er dringt vielmehr darauf, ,der Gefahr und
des Schreckens guten Streit' durchzukämpfen. Gerade
das höchfte Leben habe das fchwerfte Leiden (47). Aber
es vermag auch des Satans Engel durch Glaubenhalten
in einen Boten Gottes zu verwandeln (Vgl. 1, S. 42).

In der zweiten Schrift: Kritik der Gegenwart, charak-
terifiert K. diefe als hervorragend Reflektierend', aber ohne
Energie der Leidenfchaft; daher einfeitig kritifch und wirklichem
Handeln abgeneigt (S. 5 f.). So fehlt ihr die prak-
tifche Willenskraft. Aus augenblicklich aufbraufender
Begeifterung verfinktfie, fobald es zur Tat kommen müßte,
in apathifche Indolenz. Solche Charakterlofigkeit geißelt I
der geniale Durchgrübler des Innenlebens mit Geiftes-
blitzen fchneidender Satire. Das oberflächliche Reflexionsverhältnis
zum Leben konftituiert fleh dann als .Reffen-
timent', das alles Hohe zu befeitigen oder doch zu nivellieren
fuche. Das Publikum aber fei der unbekannte
Niveliierungsmeifter, der feinerfeits erft wieder durch die
Preffe gebildet werde, da er an fleh eine Abftraktion fei
(35). Weiter leitet er aus der tatfeheuen Reflektiertheit
des Zeitalters deffen Gefchwätzigkeit, Formlofigkeit, Oberflächlichkeit
, Neigung zu bloßem Spielen mit der Liebe i
und zu der äußerlichen Gemeinfchaftsbildung ab(S. 43 —55).

Dennoch fei ein Hindurcharbeiten durch die Reflexion
die Bedingung für ein intenfiveres Handeln und für eine j
auf die ,Klugheit' folgende höchfte Begeifterung, die wohl 1
einfieht, ,was das Klügfte ift, aber verachte, es zu tun' I
(59). Nur müffe folche Begeifterung eben hinzutreten, um j
Kräfte der Reflexion hinaus in die Entfcheidung zu führen :
(43). Von folcher Hypertrophie der Reflektiertheit ver- |
möge indeffen einzig religiöfe Innerlichkeit frei zu machen, j
Und doch gehe jene gerade ,an der religiöfen Individualitäts- j
ausfonderung vor Gott und der Verantwortung in der
Ewigkeit' vorbei (28). Das Individuum müffe aber lernen, [
in der Wefentlichkeit der Religiofität vor Gott fleh mit
fleh felber zu begnügen (32).

Da beide Schriften K.s hier zum el ften Mal in deut-
fcher Sprache erfcheinen, mußte ich etwas auf ihren Inhalt .
eingehn. Diefer dürfte um fo mehr zu näherer Kenntnis- [
nähme anregen, als fein Kern noch aktuelle Bedeutung
befitzt. Ohne Zweifel mit Recht, betont K. die letzte
Gründung der Religion auf das Individuum. Auch gilt
die kritifche Charakterifierung feiner Gegenwart gewiß
nicht nur für Dänemark, fondern zum guten Teile auch
heute noch für Deutfchland. Selbft auf politifchem Gebiete
fehlte auch unferer Reflektiertheit die Tatkraft, bis
in die neuften Zeiten, deren Nötigungen uns endlich zum
Handeln nach großen Zielen aufrafften, fodaß wir nun
unfre nationale Entwicklung felbft in die Hand nahmen.
Indeffen richten wir auch jetzt unfre Energie mehr auf
politifche, volkswirtfchaftliche, technifche Fortfehritte, als
auf charaktervolles, fittliches Handeln; wiewohl man zugeben
darf, daß der Weltkrieg zu erfreulichen Anfängen
auch innerer Erneuerung geführt hat.

Die Sprache beider Überfetzungen lieft fleh wie
deutfeher Text. Nur durfte die Satzbildung nicht wefent-
lich erleichtert oder geglättet werden (vergl. z. B. 1, S. 42),
da fonft der unmittelbare Ausdruck K.fchen Geiftes Einbuße
erlitten haben würde.

An die foeben befprochenen Schriften fchließt fleh
eine dritte an, welche auf die Anfchauungen Haeckers,
ihres Herausgebers, felbft geht. Es ift hier Dallago nicht
um die Kritik ungelefener Schriften K.s (S. 5), noch auch
um deffen oder Haeckers Weltanfchauung an fleh zu tun.
Er verfucht vielmehr feine eigne Gefühlsanfchauung der
Haeckerfchen entgegenzuhalten oder an ihr zu meffen (31).
Auch ich habe alfo nur Anlaß, auf die Anfchauung mit
einigen Worten einzugehn, die Dallago felbft in feiner
Brofchüre darlegt. Vor allem liegt ihm daran, das echte

Chriftentum, und zwar im Gegenfatz zum verweltlichten
Kirchenchriftentum, als höchftes Menfchentum zu erweifen
(26. 45. 23). Der chriftliche Glaube ift ihm der Durchbruch
der Innerlichkeit diefes .Menfchentums' (44). Zum
echten Menfchentum rechnet er auch die leibliche, fleifch-
liche Seite des Lebens, wenn auch das Geiftige den tiefften
Lebensgrund bildet. Das Sinnliche foll, durch die Vollendung
des Menfchentums im Religiöfen, nicht befeitigt
werden, fondern nur zurückbleiben (28 h 46).

Der gefunde Grundgedanke einer Vergeiftigung des
Menfchlichen, auf die es angelegt ift, (17. 19. 21 f.), ergänzt
teilweife K.s zu ftarke Entgegenfetzung des Menfchlichen
und Chriftlich-Religiöfen. Anderfeits muß ich D.s völlige
Verwerfung jeder Entwicklung, insbefondere auch in bezug
auf die Gefchichte der Sittlichkeit und Religion, (12) be-
ftreiten. Man könnte meinen, daß Verf. zu diefer Uber-
treibung dadurch käme, daß er im Grunde nur eine Entwicklung
bloß aus fleh felbft —■ und das mit Recht —
zurückweift (14). Indeffen erfcheint ihm, gemäß feinem
,Urfprungsglauben', eine andere, als eine rein in fleh ruhende
Entwicklung, als unmöglich. Danach ift ihm ein
Verftändnis für Gefchichte, und gar für die Leitung der-
felben durch eine zugleich überweltliche und innerweltliche
Gottheit, abzufprechen.

Wenn D., im Zufammenhang hiermit, Seele und Geift
ohne weiteres aus dem Gefühl ableitet, fo verkenne ich
nicht, daß dem ein wahres .Gefühl' zu Grunde liegt, muß
jedoch hier darauf verzichten, auf die Ungenauigkeit einzugehn
, die mit der Faffung folchen .Gefühls' verbunden
ift. Der wahre Kern feines Urfprungsglaubens ift wohl
der, daß der Menfch darauf angelegt ift, fleh zu jeder
Zeit zu Gott als feinem allgegenwärtigen, .ewigen' Ur-
fprung hinzuwenden (15); wenn auch freilich felbft folche
Hinwendung ihre Gefchichte hat. Der Streit um die
,Gottheit' des gottdurchdrungenen Menfchen Jefus ift m. E.
heutzutage faft nur noch als ein Streit um Worte anzuflehen
(vgl. 43). Im übrigen ift die Schrift geiftvoll und
befruchtend.

Wernigerode. P. Schwartzkopff.

Zänker, Pred.-Sem.-Studiendir. Lic. Otto: Grundlinien der
Theologie Martin Kählers. (Beiträge zur Förderung
chriftl. Theologie. 18. Jahrg., 5. Heft.) (101 S.) 8°.
Güterloh, C. Bertelmann 1914. M. 2 —

,Ein befcheidener Kranz auf K's Grab', ,ein Gruß an
die Freunde nah u. fern, mit welchen den Verf. das
Andenken des „alten Herrn" dauernd verbindet.' Als
folcher ,Kranz' und ,Gruß' darf das Buch freundlicher Aufnahme
mit gutem Recht ficher fein. Überall zeigt es
die perfönliche Note und bringt dadurch noch einmal
lebendig zum Bewußtfein, wie umfaffend und tief die perfönliche
Wirkung K's gewefen ift. Gerade im Blick auf
K. werden fleh die Fernerftehenden von einem vertrauten
Schüler gerne daran erinnern laffen, um für ihre Schätzung
das richtige Augenmaß zu bekommen.

Nicht ebenfo einfach ift es, rein fachlich über das
hier gebotene Bild der K'fchen Theologie zu urteilen. Das
ift überhaupt bei den Darftellungen der meiften Theologen
des 19. Jahrh. fchwierig. Gewiß, die bedeutendften
unter ihnen hatten das Schickfal, von den Nachdrängenden
zurückgedrängt zu werden, ehe fie volle Wirkung entfalten
konnten. Darunter litt vielfach die Objektivität,
manchmal fo .ftark, daß man, wenn man etwa den einen
oder den anderen näher gekannt hat, fleh oft verwundert,
was fie nach folchen Darftellungen gelehrt haben follen.
Die einzelnen Sätze mögen genau, vielleicht fogar mit
Anführungszeichen verfehen fein; die Beleuchtung, in die
fie gerückt werden, dient der Verdunkelung. Das gilt
nun nicht von Z's Bericht über K's Theologie. Kr hat
die wichtigften Punkte fachgemäß herausgeftellt, eben geleitet
von jener verftändnisvollen Pietät. Treffend fetzt