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Ausgabe:

1915 Nr. 1

Spalte:

408-409

Autor/Hrsg.:

Dibelius, Franz

Titel/Untertitel:

Beiträge zur sächsischen Kirchengeschichte. 28. Heft 1915

Rezensent:

Clemen, Otto

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 18/19.

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verlangte perfönlichen Vergleich mit der Univerfität und
wies diefe zu billiger Auseinanderfetzung mit Karlftadt an,
der durch den Brief einigermaßen gewinnt. Fr. Amecke
teilt ein Schreiben des Leipziger Rats vom 13. Nov. 1522
an den Bifchof von Merfeburg mit, worin der Rat auf
Grund eines erneuten Befehls des Herzogs Georg fragt,
ob ein kürzlich gedrucktes Büchlein von H. Emfer zu-
läffig fei. Welche Schrift Emfers gemeint ift, wäre erft
noch genau feftzuftellen. E. Körner weift für Luthers
Tifchreden auf eine bisher nicht beachtete Quelle in Erasmus
Albers, eines zuverläffigen Berichterftatters, Schriften
hin. Die Gefchichte des hebräifchen Unterrichts in Wittenberg
beleuchtet W. Friedensburg. Er zeigt, wie nach
dem Tod des Aurogallus die Profeffur zwifchen Lukas
Edenberger und Theod. Fabritius geteilt wurde, letzterer j
bald wegen des geringen Gehalts verzichtete und nach
Zerbft ging und nun durch Brück Flacius, deffen Lehr- i
gefchick und Vertrauen bei der Jugend der Kanzler be- j
obachtet hatte, zur Profeffur kam. Einen Freund Melanch- j
thons aus feiner Tübinger Zeit, der aber nicht fein Lehrer,
fondern etwa Helfer bei Korrekturen war, wies Ref. in
Joh. Märklin, Pfarrer in Murr, Bruder des bekannten
Stuttgarter Schulmeifter AI. Märklin nach. Wie ftark
Melanchthon nach der Wittenberger Kataftrophe von
Kurbrandenburg für Frankfurt a. d. O. umworben wurde,
ergeben neben den Schreiben des Kurfürften und der
Univerfität die von Friedensburg mitgeteilten Rechnungseinträge
, die zeigen, wie die Städte einen eigenen Gefandten
an ihn fandten und ihm 100 Taler verehren wollten, die
Melanchthon nicht annahm, worauf fie ihm für 4SÜ. Wein
und Fifche fchickten. Aus der reichen Schatzkammer
der Zwickauer Ratsfchulbibliothek veröffentlichtO. C1 e m en
drei unbekannte Lieder aus einem Sammelband.

Das erfte befchäftigt (ich mit dem Frankfurter (a. d. O.) Prediger
Andr. Ebert, der bisher aus Luthers Briefwechfel durch feine Verhandlung
mit dem Reformator über ein angeblich befeffenes löjähriges Mädchen
bekannt war. Jetzt wird feine Vertreibung 1537 trotz der Fürbitte des
Rats und die Religionspolitik Joachims II. in helles Licht gefetzt. Das
zweite Lied zeigt Olmütz als einen Hort des Luthertums und einen Kar-
thäuferprediger, der bei einem Befuch des Königs Ferdinand von Joh.
Fabri zur Disputation herausgefordert wurde und diefem derb die Wahrheit
fagte, dann verhaftet, aber vom Volk befreit und endlich heimlich
ins Elend gefchickt wurde. Das dritte Lied, ein Nachklang von
Luthers Schrift ,wider Hans Word', und der Auslegung des 52. Pfalms !
wider die gottlofen blutdürftigen Sauliten und Doegiten diefer letzten |
fährlichen Zeiten von Urb. Rhegius ift ,der 52. Pfalm in Form eines
Liedes widder alle Gottlofe Tyrannen und Verfolger Göttliches worts', der
dem Dichter eine Weisfagung des h. Geiftes auf Heinrich von Braun-
ichweig zu fein fchien. Zum Schluß gibt Clemen ein willkommenes Inhaltverzeichnis
des Sammelbands, der mehrere bisher unbekannte Einzeldrucke
geiftlicher Lieder enthält.

W. Köhler gibt neun weitere Stücke Brentiana und
andere Reformatoria aus dem Codex Suevo-Hallensis, die
recht deutlich in die energifche Arbeit der Theologen
und Juriften am Ausbau der evangelifchen Kirche Süd-
deutfchlands, bezw. der Markgraffchaft Brandenburg-Ans-
bach, Nürnbergs und Halls, ihres Kirchen- und befonders |
des Eherechts und ihres Verhältniffes zum weltlichen Recht j
und zu ftaatlichen Ordnungen und Geboten blicken laffen.

Juriften und Theologen vertragen fich im Ganzen recht gut, da auch i
die Juriften gelten laden, daß z. B. in Ehefachen, Gewiden und Seelen- j
heil zu refpektieren find, während die Theologen bei einzelnen Stücken i
das Urteil der Juriften entfcheiden laden. Praktilcher Blick findet fich
bald bei Juriften bald bei Theologen mehr. Kräftig macht Brenz feine !
Selbftändigkeit gegenüber dem Staat geltend. Sorgfalt und Milde beweift
er in Beurteilung von Anklagen wegen Gottesläfterung eines Pfarrers und
wegen angeblicher Sittlichkeitsvergehen von Bürgern und im Schutz
der Haller Bauern gegen Doppelbeftrafung nach dem Bauernkrieg, wozu [
Flugfchriften aus den erften Jahren der Reformation 3. Bd. 4 Heft zu
vergleichen ift. Text und Erläuterung find tredlich. Doch ift S. 250
Z. 35 ftatt oder der (qui) zu lefen. S. 283 ift der Begrid Abfenzgelder
nicht richtig. Denn fie bekam der Inhaber der Pfründe (verus possessor)
von dem Priefter, der fie verfah. S. 287, Z. 13 ift zu früh abgebrochen,
es fehlt begegnen oder widerftreben. S. 288 Anm. ift zu ftreichen. Preffels
Vorlage hat den Nachfatz vorangeftellt. S. 275 geht der Vorwurf, daß
Brenz in peinlichen Sachen Rat erteile, kaum vom Rat in corpore, fondern
von den Altgläubigen aus, die gewohnt waren, daß ,die Doktores' fich
an peinlichen Sachen nicht beteiligten, da fie noch kirchliche Weihen ,
empfangen können, was nach Beteiligung an Bluturteilen unmöglich war. I
(Roth, Urkunden der Univerfität Tübingen S. 153). Zum Urteil über die

Folter S. 270 vgl. auch den Tübinger Vertrag und das Bedenken des
iVürtinger Vogts S. 182. Wenn S. 270 eine Ehebrecherin 2 Jahre in ein
Klofter gefleckt werden foll, kann das Gutachten nur den erften Jahren
der Reformation angehören und nicht auf Hall Bezug nehmen, das kein
Frauenklofter hatte, wohl aber auf Brandenburg-Ansbach.

O. Winkelmann beendigt feine Veröffentlichung der
Armenordnungen und zwar der Kitzinger vom 30. Aug.
1523, der Regensburger vom I. Mai d. J., die beide von
der Nürnberger abhängig find, und der von Ypern vom
6. Nov. 1525, die mit ihrem Bettelverbot und ihren Pfarrern
und Prädikanten (keine Priefter) und ihrem in Predigt und
Sakramenten beftehenden Gottesdienft (S. 17) fich als ein
Kind der Reformation erweift und fich nicht als katholifch
in Anfpruch nehmen läßt.

S. 10 ift Dicht nit ausgefalleu, der Sinn ift: Wo Mann und Weib
von einander getrennt lebt und doch jeder Teil ,fein' notdürftig, d. h. auf
den andern angewiefen ift, foll der anwefende Teil aus der Stadt gewiefen
und dem andern zugefchickt werden. S. 13 Z. 3 ift ,am Preprun' ganz
unver (ländlich.

Th. Wotfchke gibt eine Reihe wichtiger Schreiben
zur Gefchichte der beiden polnifchen Reichstage von 1550
und 1552 und der Synode der böhmifchen Brüder mit den
Polen in Kofchminek 1555, zu welcher H. Albrecht von
Preußen feinen Hofprediger Funk abordnete, der wegen
Ant. Bodenftein, Karlftadts Neffen, eines hartnäckigen und
eigenfinnigen Kopfes, verhandelt. 1550 verlangt das Volk
durch die Landboten lautere Predigt der Rechtfertigung,
evangelifches Abendmahl und Priefterehe. 1552 wirbt der
Klerus mit Gefchenken für fich. Viele Anhänger der
Landboten befeelt nicht frommer Eifer, fondern Ehrgeiz,
Furcht vor Gefahr und Haß gegen den Klerus. Das An-
fehen des Herzogs Albrecht ift durch Ofiander fehr ge-
fchädigt. Ausgezeichnet grob ift das Schreiben von St.
Bojanowski vom 8. Mai 1553 an ihn.

Im neunten Band hat Ref. den Schwarmgeift Aug.
Bader als König und Propheten gefchildert, und gibt jetzt
die forgfältig bearbeiteten 48 Akten als Belege dazu, unter
denen die Bekenntniffe Baders, die Schreiben der Regierung
mit dem Wechfel der Ketzerbehandlung und die Haltung
des Schwäbifchen Bundes Beachtung verdienen. Jetzt
fährt Kvacala in der Schilderung eines andern Schwarm-
geiftes, Wilh. Poftells, feiner Geiftesart und feiner Reformgedanken
fort. Mit dem einfachen Handwerker von Augsburg
Bader teilt Poftell, der fprachengelehrte Franzofe, der
für fein Vaterland fchwärmt, das eschatologifche Element.
Die restitutio Christianismi fteht ihm im Vordergrund.
Ebenfo teilt er mit Bader den Univerfalismus, der auch
die Türken umfaßt. Aber eigenartig ift der Einfluß kab-
baliftifcher Myftik, befonders des Buches Zohar, und die
Rolle der Weiblichkeit in der künftigen Erlöfung, die nicht
nur durch einen neuen Adam (Chriftus), fondern auch durch
ein Weib, eine neue Eva, als Miterlöferin, als Befreierin
des Menfchen von feinen niedern Treiben bewirkt werden
muß. Das ift die von Poftell hochverehrte, fromme aber
ungelehrte Jungfrau Johanna in Venedig, welche er in der
Beichte kennen gelernt hatte, und die jetzt nach ihrem
Tod in ihm lebte, wie Chriftus in den Seinen. Wir fehen
hier die Mariologie des Mittelalters traveftiert. Natürlich
konnte Poftell nirgends feften Boden gewinnen und fachte
auch mit Schwenkfeld anzuknüpfen. So ift der neue Band
überaus inhaltsreich und verdient auch mit feinen Literaturüberfichten
Dank.

Stuttgart. G. Boffert.

Beiträge zur lächfifchen Kirchengefchichte, hrsg. im Auftrage
der ,Gefellfchaft f. fächf. Kirchengefchichte' v.
Frz. Dibelius u. Thdr. Brieger. 28. Heft. (Jahresheft f.
1914.) (III, 19S S.) gr. 8°. Leipzig, J. A. Barth 1915.

M. 4 —

Der am weiteften in die Vergangenheit zurückreichende
Auffatz ift zugleich der wiffenfchaftlich bedeu-
tendfte: Bönhoff, deffen Arbeitskraft und Quellen- und
Literaturkenntnis immer erftaunlicher wachfen, bietet zur