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Ausgabe:

1915 Nr. 1

Spalte:

398-399

Autor/Hrsg.:

Weiß, Johannes

Titel/Untertitel:

Das Urchristentum. 1. Teil: 1. - 3. Buch 1915

Rezensent:

Vischer, Eberhard

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 18/19.

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Zeitfchrift zu üben ift hier nicht der Ort; wohl aber dürften

Die talmudifche Diskuffion über das .Fünftel'. — Vier

einige die Eigenart diefes neuen Jefchurun (Zeitfchriften Auffätze des Herausgebers führen in die gewaltigen Ergleichen
Namens haben z. B. S. R. Hirfch und Jofeph Ko- I eigniffe der Gegenwart: Der Weltkrieg, der gefetzestreue
bak herausgegeben) deutlich machende Bemerkungen hier J Jude und der Krieg, der Krieg und die Moral, das große Haf-

am Platze fein

Mit Recht wird in dem Auffatze ,Vorgefchichte
Ifraels und feine Religion' hervorgehoben, daß S. Jam-
pel's gleichnamiges Buch an ftarken Übertreibungeu und
vorfchnellen Urteilen leidet (zu S. 443 fei hinzugefügt:
die Völkertafel Gen. 10 gibt nicht ,Babylonien als die
Stätte an, von der die Kultur ausgegangen ift'; Sumer
ift aller Wahrscheinlichkeit nach nicht identifch mit Si-
near). Dav. Hoffmann behandelt Probleme der Pentateuch-
exegefe: Gen. 1,1.5; 2»4a; »die fcheinbaren Widerfprüche
zwischen den beiden Schöpfungsgefchichten' (aber 2,19
kann "12^ nicht 'zurückgreifend' fein; den Wechfel der
Gottesnämen in der Genefis (Verf. berückfichtigt nicht,
daß die durch die literarifche Analyfe gefonderten Stücke
fich auch durch den Sprachgebrauch unterfcheiden, f.
meine Einleitung in das A. T. § 11). Ein Auffatz über
das .Kainszeichen' Gen. 4,15 deutet rvitf .Gegend'. Das
läßt fich fprachlich nicht genügend begründen. Gleiches
gilt von der fachlich anfprechenden Deutung Lev. 11,23
Ö'ibri 23", S ,vier Fußpaare' (Jef. 6,2 u. Sach. 3 9 fprechen
gegen diefe Deutung; zu Sach. vgl. Offbg. 5,6). Der leider
feitdem verftorbene Jakob Barth führt Beweife dafür an,
daß das Deuteronomifche Gefetz älter ift als die Zeit
feiner .Auffindung' unter Jofia. Zu dem Auffatze ,das
Gihonrätfel* bemerke ich, daß Jef. 8 nicht in die Zeit des
Hiskia, fondern in die des Ahas gehört.

Wichtiger für uns find die auf die jüdifche Theologie
bezüglichen Aulfätze. D. Feuchtwang zeigt, daß
,die drei Säulen' des echten Judentums noch jetzt fein
follen: Thora, Gottesdienft fAboda) und Erweifung der

fen; ferner fchrieb jof. Carlebach über ,die große Zeit'. Mangel
an Raum verbietet, aus diefen Äußerungen hier bemerkenswerte
Sätze mitzuteilen. — Die Überfchriften füllten
bei manchen Artikeln deutlicher fein: aus den Worten
des Inhaltsverzeichniffes .Hinter Mauern' und ,Vom alten
Stamm' kann man nicht erfehen, daß Erzeugniffe der
Unterhaltungsliteratur befprochen werden; auch .kritifche
Rundfchau' ift nichtsfagend.

Der Herausgeber einer neuen Zeitfchrift hat mit
großen Schwierigkeiten zu kämpfen, und die zweite Hälfte
des Jahres 1914 war befonders fchwer. Der Herausgeber
des neuen Jefchurun' hat fich nicht vergebens bemüht.

Berlin-Lichterfelde W. Herrn. L. Strack.

Weiß, Prof. D. Johannes: Das Urchriftentum. I TL 1.—3.

Buch. (IV, 416 S.) gr. 8°. Göttingen, Vandenhoeck &
Ruprecht 1914. M. 7.60

Das Buch, das zur Befprechung vorliegt, ift vom Ver-
faffer als Teil eines größeren Werkes über Jefus und das
Urchriftentum ausgegeben worden, und die Darfteilung
bricht nicht nur mitten in einem Kapitel fondern felbft
mitten in einem Satze ab. Das Vorwort fpricht die Hoffnung
aus, daß die fehlende Hälfte noch im Laufe des
Jahres 1914 folgen werde. Es erfchien deshalb um fo
richtiger, mit der Anzeige auf die Fortfetzung zu warten,
als das Werk auch dann noch nicht vollendet gewefen
wäre. Hätte doch nach der Abficht des Verfaffers dem
vorliegenden Halbbande, der in dem erften Abfchnitte
Nächftenliebe. ,Im Doppelftrom der mündlichen und fchrift- j von der Urgemeinde und in den zwei folgenden von

liehen Tradition — untrennbar wie die Flügel atemfpen
dender Lungen — durchfließt fie [die Thora] Zeiten und
Räu me der Gefchichte und hat in allem Wandern und
Wandeln, ob durch Schrift oder durch Wort, jüdifches
Dafein gerichtet und geregelt' In der 'Aboda ift ,die
religiöfe Andachtverrichtung in Ordnung und Regel ge

Paulus handelt, nicht bloß ein zweiter folgen follen. Vielmehr
follte ein weiterer Band den religionsgefchichtlichen
Hintergrund und Mutterboden fchildern und die Gefchichte
und Verkündigung Jefu zeichnen und damit die Ausführungen
über das Urchriftentum unterbauen und begründen.
Am 24. Auguft v. J. ift jedoch Johannes Weiß erft fünfzig-

bracht. Daß die Gebete in unfrer heiligen Sprache ver- j jährig geftorben. Und da dem bereits erfchienenen Teile
richtet werden, ift ein unfehlbares Hilfsmittel zu Samm- bisher keine Fortfetzung gefolgt ift, fo wird man fie wohl
lung und Andacht'. Wohltätigkeit und Barmherzigkeit ! auch nicht mehr erwarten dürfen. Nach dem vorgedruck-
find von alters her Kennzeichen des frommen Juden ge- ten Regifter hätte fich nur noch ein Kapitel mit Paulus
wefen, und ich erkenne voll an, daß für die Ethik des und zwar mit feiner Ethik befchäftigen follen. Es wäre
gegenwärtigen Judentums allgemeine Menfchenliebe Ge- deshalb vielleicht möglich, wenigftens diefes fehlende Stück
bot ift. Aber von neuem muß hier (wie fchon 1884) feft- j noch nachträglich folgen zu laffen. Auch dann bliebe
geftellt werden, daß zuerft Jefus, in der Parabel vom freilich, befonders im Hinblick auf den weitern Kreis, den
barmherzigen Samariter, das Gebot der Nächftenliebe als j der Verfaffer im Auge gehabt hat, zu bedauern, daß es
auf alle Menfchen bezüglich bezeichnet hat (vgl. Erich ! ihm nicht vergönnt gewefen ift, fein Werk zu vollenden
Bifchoff Jefus und die Rabbinen, Leipzig 1905, S. 104 ff), i und damit den Ertrag feiner Bemühungen um das Ver-
— Aus' dem Auffatz von If. Unna über äfthetifche Ge- J ftändnis des Urchriftentums in einer größern Darfteilung
fichtspunkte im Religionsgefetz fei hier das ,Stimmungs- i zufammenzufaffen. Zeigt doch der fertig vorliegende Teil

wort' (fo würde Franz Delitzfch fich ausgedrückt haben)
angeführt: ,Der Gelehrte, auf deffen Kleid Schmutz, ift
des Todes fchuldig', Trakt. Sabbath 114a. Der recht beachtenswerte
, wenn gleich etwas fchönfärbende Auffatz
von A. Sulzbach ,Zur Charakteriftik der Weifen des Talmund
' beginnt mit dem verwandten Ausfpruche Raba's
Joma 72 b: ,Die heilige Lade war innen und außen mit
Gold überzogen. Daraus können wir lernen, daß ein Gelehrter
, deffen Inneres nicht feinem Äußeren gleicht, kein
Gelehrter ift'. — Zwei kleine Auffätze erörtern ,das Ihora-
ftudium und die Frauen'. Zu S. 134 fei bemerkt, daß in
der Mifchna Nedarim 4,3 die Worte ,und feine Töchter'
weder im Codex Cambridge noch im Münchener Talmudcodex
flehen.

Von andren Abhandlungen feien genannt; ,Die Ha-
lacha und die Herzenspflichten' (das Wefen der Frömmigkeit
; das Gebet. S. 184I. D^-lS-DPII); Der Eid der Juden;
Eine Halacha über Gelübde (vgl. Matth. 23,16); Die Bedeutung
der Gutachtenliteratur für die jüdifche Gefchichte;

aufs Neue, wie erfolgreich Johannes Weiß feine eigenen
Wege gegangen ift, wie viel wir deshalb durch feinen
frühzeitigen Tod verloren haben.

Trotzdem Weizfäckers klaffifches Werk über das
apoftolifche Zeitalter fchon 1886 zum erften Male er-
fchienen ift, liegt es immer noch nahe, jede neue Behandlung
desfelben Gegenftandes, fomit auch das vorliegende
Buch, mit diefem Vorgänger zu vergleichen. Dabei fällt
zunächft der Unterfchied in der Form auf, in der beide
Verfaffer ihre Ergebniffe vortragen. Beide wenden fich
nicht bloß an den engern Kreis ihrer Fachgenoffen, obwohl
nur Weiß ausdrücklich erklärt, er habe fich bemüht,
feine Darftellung auch für Nichttheologen lesbar zu ge-
ftalten. Aber während er aus diefem Grunde in den Text
keine nicht überfetzten griechifchen Wörter aufgenommen
hat, holt er das Unterlaffene um fo gründlicher in gelehrten
Anmerkungen nach, die zuweilen (fiehe z. B. die
Ausführungen über die Formel ,in Chriftus' S. 359 fr.) zu
kleinen Abhandlungen werden. Aber auch im Texte läßt