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Ausgabe:

1915

Spalte:

385-386

Autor/Hrsg.:

Pfannschmidt, Heinrich

Titel/Untertitel:

Was muß geschehen, um eine größere Würdigung der Kirchenmusik im kirchlichen und öffentlichen Leben herbeizuführen? Vortrag 1915

Rezensent:

Smend, Julius

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 16/17.

386

meffianifche d. h. vorchristliche Erlöfungsidee, die die Erlösung
nur als Zukunft, und zwar als moralifche Einigung
der Menfchheit, kennt und von der fitllichen Ideenmacht
Gottes im fortfchreitenden Kampfe, nicht von einem Gott- |
menfchen in einem einmaligen fertigen Akt bewirkt wird. I

Diefe Kritik an dem mit dem chriftlichen Erlöfungs-
dogma verbundenen Kantianismus wird von deffen inneren
Vorausfetzungen aus fchwerlich abgelehnt werden können.
Ob C.s eigene Lehre wirkliches Judentum ift, ift dann freilich
eine andere Frage. Aber als religionsphilofophifche Lehre
muß fie ja über den Gemeindeglauben hinausgehen, und
es ift nicht zu beftreiten, daß fie mit den Grundzügen des
jüdifchen Meffianismus und Theismus beffer harmoniert
als mit der paulinifchen Chriftus-, Erlöfungs- und Gnadenidee
, die der proteftantifche theologifche Kantianismus
in die Religionsphilofophie des Kritizismus hineinarbeitet.
Infofern mag C. feine Lehre mit Recht als wiffenfchaftliche
Rechtfertigung des Judentums betrachten, das damit zum
hiftorifchen Träger der eigentlichen religiöfen Menfchheits-
idee wird. Den kirchlich-jüdifchen Charakter behauptet C.
im Wefentlichen nur durch die Forderung, die hebräifchen
Gebete in der Urfprache feftzuhalten, die Bibel und die
jüdifche Religionsphilofophie hochzufchätzen. Im übrigen
will er mit einer idealifierten, d. h. rationalifierten prote-
ftantifchen Theologie gerne in heilfamen Wetteifer um
Annäherung an das Vernunftziel eintreten und darin Humanität
und Toleranz bewähren.

Meinerfeits kann ich diefen Ausbau der Kantifchen
Religionsphilofophie zum formalen ethifch-theiftifchen
Rationalismus nicht für richtig halten. Ich finde da die
hiftorifch-pfychologifchen Wirklichkeiten des religiöfen
Lebens von diefem Rationalismus nicht richtig verftanden
und eingefchätzt und kann insbefondere C.s Urteile
über die Religions- und Dogmengefchichte, fowie über
die Gefchichte der philofophifchen Ideenentwickelung nicht
zutreffend finden. Doch kann das hier nicht näher ausgeführt
werden, ich kann für meine Auffaffung diefer
Dinge hier nur auf meine Abhandlung ,Grundprobleme
der Ethik', Gef. Schriften II, verweilen. Überhaupt ift der
reiche und ernfte Gehalt der Schrift in einer fo kurzen
Anzeige nicht zu erledigen.

Das Intereffantefte daran ift ja auch der Vergleich
diefer Religionsphilofophie mit den auf chriftlichem Boden
erwachfenen. Jede Religionsphilofophie ftrebt natürlich
ins Über-Konfeffionelle, fonft wäre fie nicht Philofophie.
Aber in ihren Abftraktionen bleibt doch immer etwas
lebendig von dem Boden, aus dem fie erwachfen ift.
Wendet fie fich zu praktifchem Einfluß, fo wird fie eben
damit zu dem Mutterboden zurückgelenkt werden, von dem
fie ausgegangen ift. So geht es C. mit feiner und mir
mit meiner. Wo aber jeder Zufammenhang mit irgend
einem Mutterboden ausgetilgt ift, da bleibt man in der
Luft, d h im Reiche der Brofchüren und Bücher, hangen.
So geht es den heutigen neuen Religionsftiftungen der
.reinen Wiffenfchaft'.

Berlin. Troeltfch.

Scholz, Priv.-Doz. Dr. Heinrich: Die Kirchenmulik in ihrer
Bedeutung f. das Leben der Kirche u. des Volkes.
Vortrag, geh. auf dem 1. preuß. evangel. Kirchen-
mufikertag zu Berlin, am 15. April 1914- (Aus: -Der
1. preuß. evang. Kirchenmufikertag zu Berlin*.) (28 S.)
gr.8°. Göttingen,Vandenhoeck&Ruprecht 1914. M.—60

Pfannfchmidt, Kgl. Mufikdir. Heinrich: Was muH ge-
fchehen, um eine größere Würdigung der Kirchenmuiik im
kirchlichen und öffentlichen Leben herbeizuführen? Vortrag
, geh. auf dem 1. preuß. evangel. Kirchenmufikertag
zu Berlin, am 15. April 1914. (Aus: ,Der 1. preuß.
evang. Kirchenmufikertag zu Berlin'.) (22 S.) gr. 8n.
Göttingen, Vandenhoeck&Ruprecht 1914. M. —40

Wolfrum, Gen.-Mufikdir. Prof. D. Dr. Philipp: Die evan-
gelifche Kirchenmufik, ihr Stand u. ihre Weiterentwicklung
. Vortrag. (Kirchenmufikalifches Archiv.)
8°. Bremen, Schweers & Haake 1914. M. — 60

Der Vortrag von Scholz geht auf philofophifch-
äfthetifche Grundlagen zurück, ift aber in feinen Unter-
fcheidungen nicht glücklich. Er verlieht unter ,gottes-
dienftlicher Mufik' folche, neben deren Darbietuno-
ein Geiftlicher und eine Gemeinde mit tätig find,
macht alfo einen nach evangelifcher Anfchauung nebenfächlichen
Umftand, das Auftreten eines beamteten
Liturgen, in unzuläffiger Weife geltend und verkennt,
daß auch in fog. Kirchenkonzerten die Gemeinde mitwirken
kann und foll. Auch die Scheidung von elementarer
und ornamentaler Mufik in der Kirche ift irreführend
. Dem Begriff evang.-kirchlicher Tonkunft fehlt
zwar nicht die Zweckbeziehung auf den Kultus oder
deffen Surrogate, wohl aber die Herkunft aus dem Schöße
der künftlerifch wirkfamen Gemeinde. Einige Gefchmacks-
urteile (wie das über Bortnianski) find betrübend. — Die
P'orderung Pfannfchmidts, daß der Kirchenmufiker
zum Gemeindekirchenrat (Presbyterium) gehören, im Kon-
fiftorium und in den Synoden Sitz und Stimme haben
folle, ift mit Recht und gerade im Intereffe des Standes
der Tonkünftler abgelehnt worden. Die gefchichtlichen
Angaben, mit denen die Wünfche des Redners geftützt
werden, unterliegen mannigfachen Bedenken. Die reichliche
Verwendung aufgeregten Sperrdrucks wirkt unerfreulich
und erfchwert dem Lefer die Zuftimmung zu den
richtigen und berechtigten Gedanken. — Bei Wolfrum
muß man eine burfchikofe Ausdrucksweife, temperamentvolle
Geften und perfönliche Anzapfungen wie immer in
Kauf nehmen. Er ift ein Freund fefter (gefetzlicher)
Gottesdienftordnungen und fpricht von ,der Liturgie' als
einer allgemein anerkannten Größe. Manche feiner mit
großer Gewißheit vorgetragenen Sätze werden bei Kennern
Befremden erregt haben. Daß in der Meffe ,das hl. Wort
der Menge durch Gefang kenntlich (!) gemacht' wird; daß
Luther ,den gregorianifchen Choral der deutfchen Profodie
entfprechend einrichtete'; daß Bachs Mufik ,im innigften
Kontakt mit der Liturgie' flehe u. dgl. — würde fchwer
zu begründen fein. Auch verwechfelt Wolfrum die
Priefter des Alten Bundes mit den Leviten. Erfreulich
ift, daß er feine Begeifterung für bezahlte Kirchenfänger
einfchränkt und nur noch unter Umftänden ,ein irgendwie
zu entfchädigendes einfaches oder Doppelquartett'
als Grundftock des Kirchenchores empfiehlt. — Alle drei
Redner haben natürlich auch viel Gutes und Beherzigenswertes
gefagt.

Münfter i. W. J. Smend.

Richter, Prof. D. Julius: Die Million in dem gegenwärtigen

Weltkriege. (Biblifche Zeit- u. Streitfragen, X. Serie,
3. Heft.) (47 S.) 8°. Berlin-Lichterfelde, E. Runge
1915- M. — 60

— Der deutlche Krieg u. die deutlche evangelilche Million.

(Flugfchriften der deutfchen evangelifchen Miffions-
Hilfe. 1. Heft.) (19 S.) 8°. Gütersloh, C. Bertelsmann
I9IS- M. — 20

1. In diefer lefenswerten Brofchüre eines unferer beften
Kenner der Miffion der Gegenwart wird zuerft der Weltkrieg
, sodann die aus ihm für die evangelifche Miffion
erwachsene Not, darauf die Wirkung der Proklamation
des heiligen Krieges auf unfere Stellung zum Islam ge-
fchildert, endlich werden einige aus der gegenwärtigen
Lage von der Miffion zu beherzigende Warnungen erhoben
. Der Charakter eines der Information weiter Kreife
dienenden Schrift bringt es mit fich, daß die fchwierio-en
in dem letzten Abfchnitt berührten Probleme nur kurz
behandelt werden.