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Ausgabe:

1915 Nr. 1

Spalte:

381-383

Autor/Hrsg.:

Schwarz, Hermann

Titel/Untertitel:

Der Gottesgedanke in der Geschichte der Philosophie. 1. Teil: Von Heraklit bis Jakob Böhme 1915

Rezensent:

Dorner, August

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Theologifche Literaturzeitung 1915 Nr. 16/17.

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fchiede übrig bleiben. Es ift nicht wohl möglich, hier
auch nur einen Abriß der allgemeinen Verhandlung, die
S. vorführt, zu geben. Wie von felbft konzentriert fie
fich auf die Frage nach dem Kriege, Rußlands Miffion,
die Kulturgemeinfchaft Europas, die Art und Aufgabe
des Chriftentums überhaupt und der einzelnen Konfef-
fionen im befonderen. Die (geringe) Bedeutung der
.Friedensbewegung' auch nur für Europa, die auffteigende
Gefahr des .Panmongolismus', zuletzt das Auftreten des
.Antichrifts'. S. macht felbft darauf aufmerkfam, daß er
.dichtet'. Aber die Figur des Antichriften ift doch bei
ihm kein Phantasma. Man nennt S. meift einen .Myftiker'.
Das ift er in der Tat in feiner Religiofität (das ift
jeder .Orthodoxe'), auch in feiner intuitiv gearteten Meta-
phyfik. Aber er hat noch andere Seiten. Er ift ein kluger
Völkerpfycholog und nüchtern ethifcher Kritiker, felbft
wo er, in der .Erzählung' vom Antichrift, wie ein Apoka-
lyptiker redet. Es ift eine Verkörperung von geiftig
hohem edelem, in manchen Beziehungen vom Chriftentum
genährtem, darum viele Chriften (gar nicht nur folche in
Gänfefüßchen) verführendem, dann doch gleichmäßig von
dem letzten Papfte (.Petrus HA dem wirklichen, wenn
auch nicht offiziellen Führer der Orthodoxie der Zeit
(dem .Älteften Johannes') und einem Repräfentanten des
Proteftantismus (.Profeffor Pauli'), als unecht durch-
fchautem und mutig entlarvtem Wefen, dasS. in derPerfon
des Antichrift veranfchaulicht. Denn diefem Wefen liegt
Selbftgefalligkeit und (lange unbewußte) Selbftliebe zum
Grunde. In großer Freiheit kontraftiert S. den rechten
biblifchen Chriftus, für den alle Konfeffionen letztlich
ein Verftändnis bewahrt haben, und den Scheinchriftus,
der innerlich nicht umhin kann, fich zum Antichrift aufzuwerfen
, als folcherj falfchen Frieden verkündet und
durch Gleißnereien zu erfchleichen verfucht.

Halle. F. Kattenbufch.

Schwarz, Prof. Dr. H.: Der Gottesgedanke in der Gefchichte
der Philosophie. I. Teil. Von Heraklit bis Jakob Böhme.
(Synthesis. Sammlung hiftor. Monographien philofoph.
Begriffe. 4. Bd.) (VIII, 612 S.) 8°. Heidelberg, C. Winter
1913. M. 5.80; geb. M. 6.80

Es ift ein erfreuliches Zeichen, daß die Frage nach
dem Gottesgedanken wieder fo ftark in den Vordergrund
geftellt wird, daß über die Gefchichte desfelben Monographien
o-efchrieben werden. Freilich, foviel Intereffäntes
die vorliegende Gefchichte des Gottesbegriffs bietet, fo
fcheint mir diefelbe doch mehr von einem vorgefaßten
Standpunkt aus den gefchichtlichen Prozeß zu beurteilen,
als felbft den immanenten Gang des Prozeffes objektiv
zu verfolo-en Der Verfaffer bemüht fich nach dem Schema
die Gefchichte darzuftellen, daß an die Stelle des Gottesgedankens
das Gotteserlebnis treten müffe und daß diefes
fo immanent vorzuftellen fei, daß eine metaphyfifche
Gotteserkenntnis auszufchließen fei. So findet unter den
griechifchen Denkern Plato am meiften Anerkennung,
weil er die Gottesvorftellung axiologifch behandelt, wobei
Schwarz die ganz moderne Unterfcheidung zwifchen prak-
tifchen Werturteilen und theoretifchem Erkennen vor-
fchwebt. Ganz befonders aber Hellt er Jefu Gotteserkenntnis
und die demfelben entfprechende Lehre von
Gott, fowie das Chriftuserlebnis und die Chnftologie der
hellenifchen Philofophie gegenüber, was er befonders an
der griechifch beeinflußten Lehre des Origenes zu
zeigen verfucht, den er wie Athanafius lediglich nach
Harnacks Auffaffung ohne näheres Eingehen auf die
Quellen darfteilt. Bei Origenes foll das chrifthche Element
durch das philofophifche Verfehlungen fein, und der
philofophifche Gehalt der Logoslehre fei verflacht. Afke-
tifcher Moralismus und Intellektualismus zeige fich hier.
Solche Urteile entfprechen nicht der Gerechtigkeit, fondern
entflammen einem Standpunkt, der an die Stelle

einer Gotteserkenntnis nur das immanente Erlebnis fetzen
will. Für Origenes ift vielmehr auf der rationalen Grundlage
des Subjekts mittels des Willens eine Einheit der
Seele mit dem Logos möglich, die zugleich ethifchen und
myftifchen Charakter trägt, wie ich in meiner Dogmen-
gefchichte des Näheren dargetan habe. Während Origenes
die Einheit mit dem Logos in die mit dem Willen geeinte
Intelligenz verlegt, finden fie Andere in dem mit
der Intelligenz geeinten Willen. Aber Origenes fleht auch
die Einheit mit dem Logos zugleich als eine ethifch-
myftifche und rationale an. In der grundfätzlichen Einheit
der Seele mit dem Logos ift die Einheit mit Gott
gegeben, da der Logos felbft göttlich ift. Wenn ferner
Athanafius die phyfifche Erlöfungslehre imputiert wird,
fo ift dabei auch der ethifchen Seite feiner Erlöfungslehre
nicht Gerechtigkeit widerfahren.

Während der erfte Abfchnitt unter der Überfchrift:
,Der Gottesgedanke in der griechifchen Philofophie' bis zu
Origenes reicht und Jefu Gotteserlebnis der griechifchen
Denkweife entgegenfetzt, behandelt das zweite Kapitel den
Gottesgedanken im Mittelalter und reicht von Auguftin bis
zu .Luthers transzendentem Glaubenswunder'. In fehr ge-
fchickter Weife fucht der Verf. hier zu zeigen, wie die Idee
der Gottmenfchheit fich hier immer klarer durchfetzt als Erlebnis
, das gänzlich immanent ift. Von Auguftins Gottesanlage
, von feiner Betonung des Willens Gottes als unferes
geiftigen Grundgefetzes, von dem areopagitifchen Neu-
platonismus und Scotus Erigna's Panentheismus fchreitet
die Entwicklung fort zu der Myftik von Bernhard und
Franz v. Affifi, die Jefus- und Vergottungsmyftik ift und
Liebesgefinnung betont, ferner zu dem göttlichen felbft-
bewußten Subjekt des Thomas und der voluntariftifchen
Gelaffenheit des Duns Scotus. Die Höhe der Entwicklung
fleht er hier in der Myftik Eckarts, den er fo deutet, daß
er in feinem letzten Stadium die Immanenz voll erreicht
habe, indem Gott nur als die überindividuelle Geiftigkeit
erlebt wird, von der das Subjekt auf Grund feiner Gottesanlage
ergriffen wird, und die zugleich ethifche Gefin-
nung hervorruft. Da fo das Gotteserlebnis ganz in das
Subjekt verlegt wird, fo fällt hier jede metaphyfifche
Vorftellung von Gott weg. ,Die Seele hat hier nicht bloß
Gotteserkenntnis, fie ift Gottes Selbfterkenntnis'. Hier fei der
Logosbegriff nicht mehr transzendent, was er von Origenes
bis Thomas geblieben fei, vielmehr werde er in die
innerfte Lebendigkeit jedes menfehlichen Bewußtfeins verwandelt
. ,Gott ift der Erkenntnisprozeß felbft. Gott
wacht im erkennenden und liebenden Menfchen als logifche
und fittliche Tat auf, um immer mehr Tat zu werden'.
Wenn aber ebenfo auch nach Eckart durch die Selbft-
aufgabe alle Dinge wieder in Gott zurückgehen follen, fo
findet Schwarz Siefen Gedanken mangelhaft und weift
darauf hin, daß Eckart felbft dazu fortgefchritten fei, die
Aktivität des Erkennens und Handelns zu betonen. ,Mit
der Lehre von Gott, der der Seele bedarf, um in ihr
zu werden, und mit der Vertiefung diefer Lehre, daß im
Werden aller Werte, Wahrheiten und individuellen Dinge
unfere allgemeinfame überindividuelle Seelentiefe hervortritt
, ift eine neue gefchichtliche Größe in das religiöfe
Leben und Denken getreten'. Gott für fich zu nehmen,
fei nachEckarts letztemStandpunkt.Vorftellungstäufchung'.
,Nicht um ein Verhältnis, das nach außen auf einen bypo-
thetifchen Gott geht, fondern um ein Verhältnis nach
innen zu den Nötigungen unferer Gottesanlage
handelt es fich in der reifften Eckartfchen Art der Frömmigkeit
'. .Eckehardt felbft hatte durchfehaut, daß die
metaphyfifche Frageftellung überhaupt nichtig fei' (?).
Kurz der Verfaffer fucht zu zeigen, wie aus einem transzendenten
metaphyfifchen Gott ein immanenter pfycho-
logifcher wird, indem die Seele zum Gefäß von überindividuellen
Werten wird. Der Gedanke der Vergottung
fei erft damit überwunden, daß ,das Erlebnis des neuen
Werdens kein Verhältnis zu einer transzendenten Größe
bedeutet, fondern den Durchbruch unferes eigenen über-